Mannheim. Vor 150 Jahren wurde die "Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitze in Mannheim" gegründet. Sie ist der Vorläufer des TÜV. Die Idee einer unabhängigen Prüforganisation hat sich seither weltweit durchgesetzt. Die historischen Meilensteine:
1865: Die Vorgeschichte
Ein Riss in der Hülle eines Dampfkessels, mit dem in der Mannheimer Brauerei zum "Großen Mayerhof" Maische indirekt über Dampf erhitzt wurde, löste eine verheerende Explosion aus. Der Kesselheizer stirbt, mehrere Menschen werden teils schwer verletzt. Die Ursachen: Wassermangel, zu hoher Druck und mangelhafte Wartung. Zudem war das Personal der Brauerei mit den Gefahren des Kesselbetriebs nicht vertraut. Das Unglück in der Mannheimer Brauerei, die 60 Jahre später von der Eichbaum-Brauerei übernommen wurde, ist kein Einzelfall. Die Zahl der Dampfkesselbetreiber (mit denen Dampfmaschinen angetrieben wurden) wächst im Zeitalter der Industrialisierung rasant, auch die Zahl der Unfälle.
1866: Die Gründung
22 Mannheimer Unternehmer reagieren auf das Brauereiunglück und gründen am 6. Januar 1866 die "Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitze in Mannheim". Ziel war es, Menschen, Sachgüter und Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen der Technik zu schützen. Sowohl die Regierung im Großherzogtum Baden als auch die Industrie unterstützen die Gründung. Durch regelmäßige Überprüfungen der Kessel sollen künftige Unglücke verhindert werden. Das Mannheimer Modell wird Ausgangspunkt der technischen Überwachung in Deutschland. Am 16. Oktober 1866 tritt der 29 Jahre alte Ingenieur Carl Isambert als erster hauptamtlich tätiger Sachverständiger seinen Dienst an. Das Ergebnis seiner ersten Inspektionsreise ist ernüchternd: Etliche Kessel weisen gefährliche Mängel auf, Anlagensicherheit ist ein Fremdwort.
1881: Einheitliche Standards
In Bayern wurde ein "Verein zur Prüfung und Überwachung der Dampfkessel für das diesrheinische Bayern" gegründet, in Württemberg ein "Dampfkessel-Revisionsverein". Die Prüfer heben als "Erfolgsquote" hervor, dass keiner der von ihnen überwachten Dampfkessel explodiert. Bei den von staatlichen Prüfern überwachten Anlagen kommt es dagegen mehrfach zu Explosionen. 1881 einigen sich die deutschen Dampfkesselrevisionsvereine mit den "Würzburger Normen" auf Grundsätze zur Materialprüfung bei Dampfkesseln. Kontrollierte Dampfkessel waren zwanzigmal sicherer als unkontrollierte, so die Statistik.
1906: Die ersten Autos beim TÜV
Im September 1906 erlässt die badische Regierung eine Verordnung, welche die Überprüfung von Kraftfahrern und Automobilen im Großherzogtum vorschreibt. Wird ein Auto angemeldet, ist "der Anzeige das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen beizufügen". Mit der Durchführung der Prüfungen wird der Badische Dampfkessel-Revisionsverein beauftragt. In der Fabrik des Autoerfinders Carl Benz in Mannheim werden 12 Kessel-Ingenieure zu Kfz-Sachverständigen ausgebildet. Sieben Jahre später werden die ersten Aufzüge vom TÜV geprüft und 1921 ist "Rauchgasverhütung bei Dampfkesselfeuerungen", heute würde man Emissionsschutz sagen, erstmals ein Thema, 1929 werden auf dem Oktoberfest erstmals "fliegende Bauten", darunter eine Achterbahn, TÜV geprüft.
1938: Gleichschaltung
Wie andere Vereine auch werden die unabhängigen TÜVs gleichgeschaltet oder es findet eine "Selbstgleichschaltung" statt. In Bayern ordnet der Verein frühzeitig die Verwendung des Hitlergrußes an, jüdische Mitarbeiter werden aus dem Verein gedrängt. Im März 1938 werden aus 37 Institutionen 14 regionale Überwachungsvereine, die erstmals einheitlich als TÜV (Technische Überwachungsvereine) bezeichnet werden. Bis dahin hießen die Vereine DÜV (Dampfkesselüberwachungsverein). Nach dem Zweiten Weltkrieg gründet sich der TÜV in Westdeutschland neu.
1951: Das Auto muss zum TÜV
1951 schreibt ein Gesetz vor, dass alle zulassungspflichtigen Fahrzeuge zur Hauptuntersuchung müssen. Mit der Durchführung wird fast überall der TÜV betraut. Ein Jahr später wird in Stuttgart ein medizinisch-psychologisches Institut für Verkehrssicherheit ins Leben gerufen, später kommt dann die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), landläufig "Idiotentest" genannt. Ab 2009 werden auch Elektroautos geprüft.
1957: Anfänge der Kernenergie
Der TÜV Bayern erstellt ein erstes Sicherheitsgutachten für den Kernforschungsreaktor in München und ist beim Bau des ersten Atomversuchskraftwerks in Kahl bei Aschaffenburg sowie beim Bau des ersten Kernkraftwerks in Grundremmingen als Gutachter beteiligt.
1977: Geprüfte Sicherheit
Fast so bekannt wie die TÜV-Plakette auf dem Auto ist das GS-Siegel. Es steht für "Geprüfte Sicherheit". Erstmals konnten sich Industrie, Verbände, Prüfinstitute und Politik einigen. Eines der ersten Produkte mit GS-Siegel sind Skibindungen.
1989: TÜV als Unternehmen
Der TÜV wird zunehmend jenseits der angestammten Überwachungsgebiete privatwirtschaftlich tätig. Unternehmen können ihre Produkte mit TÜV-Zertifikat auf den Markt bringen. Die privaten TÜV-Aktivitäten machen heute zwischen 20 und 30 Prozent des Geschäfts aus.
2015: Von Deutschland in die Welt
Die ersten Auslandsaktivitäten stammen aus den 1960er Jahren, als TÜV-Sachverständige ins Ausland gerufen wurden, wenn es bei Anlagen deutscher Unternehmen Schwierigkeiten gibt. Später werden Filialen in den USA und Asien gegründet. Letztes Jahr beschäftigt der TÜV Süd erstmals mehr Mitarbeiter im Ausland als in Deutschland.
2016: Jubiläum in Mannheim
Am 14. Januar wird in Mannheim zum Jubiläum im Quadrat D 2/6 eine Stele enthüllt, die an den Ort der Gründungsveranstaltung erinnert, ein ehemaliges Kaffeehaus.
Was der TÜV alles prüft
- Es werden nach Angaben einer TÜV-Sprecherin grob drei Arten von Prüfungen unterschieden:
- Hoheitliche Aufgaben in Vertretung staatlicher Stellen: Hauptuntersuchung bei Autos und allen anderen Fahrzeugen mit einem amtlichen Kennzeichen. Eine TÜV-Plakette haben auch Rolltreppen und Fahr-stühle. Ebenfalls geprüft werden Kernkraftwerke und große Industrieanlagen wie Raffinerien aber auch Fahrgeschäfte auf Volksfesten.
- Prüfungen nach oft internationalen Normen, die nicht verpflichtend sind aber beispielsweise von Versicherungen gefordert werden. Dazu gehören Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme aber auch Produkte mit dem GS-Siegel, vom Bügeleisen bis zum Haarfön.
- Der TÜV bietet als private Dienstleistungen Prüfungen nach eigenen Kriterien an, unter anderem Servicequalität von Dienstleistungen, den Datenschutz bei Online-Shops und Smartphone-Apps oder das Angebot von Ökostromanbietern. Solche Prüfungen kann jeder in Auftrag geben.
- Der TÜV Süd erzielte 2015 einen Umsatz von 2,2 Milliarden Euro, doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Beschäftigt werden rund 22 600 Mitarbeiter.
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