Mannheim. Wer Omas Häuschen erbt – das hat die Politik immer versprochen – soll in der Regel keine Steuern auf den Nachlass zahlen müssen. Ab 2023 könnte sich aber vor allem bei Ein- und Zweifamilienhäusern die steuerliche Bewertung ändern. Damit würde auch die Erbschaft- und Schenkungsteuer steigen, falls der Immobilienwert die Freibeträge übersteigt.
Gegen diese Pläne der Bundesregierung gibt es Widerstand. Das Jahressteuergesetz soll im Dezember vom Bundesrat verabschiedet werden. Kann sein, dass sich an den Details etwas ändert, weil die Verbände und die Unionsparteien Sturm laufen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Warum müssen viele Angehörige ab 2023 mehr Steuern auf Erbschaft und Schenkung zahlen?
„Mit dem Jahressteuergesetz 2022 will die Ampel die steuerliche Bewertung von Immobilien und Grundstücken zum Jahreswechsel ändern, ohne jedoch die Freibeträge bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer entsprechend anzupassen“, kritisiert der Bensheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Meister. Josef Piontek, Vorsitzender von Haus & Grund Mannheim, schätzt, dass die Werte dann um 20 bis 30 Prozent, in bestimmten Fällen sogar um mehr als 50 Prozent steigen könnten.
Meister befürchtet, dass die „deutliche Steuererhöhung Immobilienerben in vielen Fällen zum Verkauf zwingen wird“. Der Finanzexperte verweist darauf, dass in vielen Regionen Deutschlands die allgemeinen Freibeträge schon jetzt nicht mehr ausreichen würden, um Wohneigentum steuerfrei zu vererben oder zu verschenken. „Ohne eine verhältnismäßige Erhöhung der Freibeträge, die seit 2009 unverändert geblieben sind, wird diese Entwicklung weiter massiv befördert.“
Und was sagt FDP-Finanzminister Christian Lindner?
Lindners Ressort muss die Änderungen im Jahressteuergesetz umsetzen.Lindner findet höhere Freibeträge jetzt auch plötzlich gut. Er spielt den Ball aber ins Feld der Bundesländer, die müssten tätig werden, denn die Erbschafts- und Schenkungssteuer würde ja ihnen allein zufließen. Bayern hat das Spielgerät aufgenommen und will eine Initiative im Bundesrat starten. Nur: Die Zeit wird knapp, das Jahressteuergesetz soll im Dezember durchs Parlament. Dass ausgerechnet Lindners Ministerium die Änderung des Bewertungsrahmens umsetzen muss, ist für die CSU „doppelter Wortbruch“. Ihr Finanzpolitiker Sebastian Brehm zur „FAZ“: „Lindner hat versprochen, mit seiner Partei werde es keine Steuererhöhungen geben.“ Und die Koalitionsspitzen hätten zugesagt, im Winter keine weiteren belastenden Maßnahmen einzuführen.
Warum hat Lindner die Brisanz nicht erkannt?
Gute Frage. Das Thema schwirrt erst seit kurzer Zeit durch die Medien. Im Internet kursiert ein Berechnungsbeispiel, auf das sich auch CSU-Politiker Brehm als treuer Leser der „Süddeutschen Zeitung“ beruft. Demnach würde sich ab 2023 der gegenwärtige Wert eines Einfamilienhauses (Wohnfläche 220 Quadratmeter; Grundstücksgröße 700 Quadratmeter) von 497 505 Euro auf 785 704 Euro erhöhen. Eine Steigerung um 61 Prozent.
Wie würde sich das auf die Steuer auswirken?
Würde das Objekt an ein Kind (Freibetrag 400 000 Euro) übertragen, würde die Schenkungssteuer in dem Rechenbeispiel von 9625 auf 57 855 Euro steigen. Wie passt das aber mit Lindners Aussage zusammen, dass sich ab 2023 für die Erben und Beschenkten kaum etwas ändern würde? Seine Begründung: Die meisten Immobilien würden auf Basis des Vergleichswertverfahrens taxiert. Bei diesem Verfahren würde alles bleiben, wie es ist. Nur bei den Sachwert- und Ertragswertverfahren würden sich die Parameter verändern. Der Eigentümerverband Haus & Grund widerspricht: Stimmt nicht, durch die Anpassungen würden bis zu zwei Drittel aller Immobilien höher bewertet.
Was steckt hinter diesem ganzen Durcheinander?
Die Bewertung von Immobilien ist kompliziert. In Paragraf 182 des Bewertungsgesetzes ist festgelegt, wie der Wert der bebauten Grundstücke zu ermitteln ist. Am Vergleichswertverfahren – da hat Lindner Recht –wird sich tatsächlich nichts ändern. Es soll nach den Buchstaben des Gesetzes auf die meisten Immobilien angewendet werden, also Eigentumswohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser.
Das Ertragswertverfahren wird demnach in der Regel für Mietobjekte angewandt, und das Sachwertverfahren kommt dagegen nur bei besonderen Objekten wie Fabriken, alten Gutshöfen sowie öffentlichen Bauten zur Anwendung. Aber: Wenn für das Ein- und Zweifamilienhaus oder die Eigentumswohnung kein Vergleichswert vorliegt, schreibt das Gesetz das Sachwertverfahren vor. Und das ist die entscheidende Stelle in dem komplizierten Paragrafenwerk.
Das Sachwertverfahren wird also doch häufiger angewandt?
Ja, vor allem bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist dies der Fall, weil es oft keine Vergleichswerte gibt. Das hat Lindner wohl nicht gewusst. „In Heidelberg kommen Ein- und Zweifamilienhäuser in der Regel verhältnismäßig wenig zum Verkauf. Deshalb kann der Gutachterausschuss nur wenige Kaufverträge auswerten und daraus auch keine Vergleichswerte bilden. Außerdem sind Ein- und Zweifamilienhäuser unabhängig davon sehr individuell“, sagt Klaus Kinzinger, Leiter der Geschäftsstelle und Mitglied des Gutachterausschusses Heidelberg.
Steuerberater Philipp Flößer von der Weinheimer Kanzlei Flößer & Kollegen bestätigt dies. „Das Vergleichswertverfahren wird für diese Objekte in der Praxis nie angewandt. Das war auch bei keinem meiner bisherigen 45 Fälle so. Ich kann aber sagen, dass die mit dem Vergleichswertverfahren ermittelten Werte in der Regel höher liegen als beim Sachwertverfahren“, sagt Flößer. Eine Finanzbeamtin, die ihren Namen nicht in diesem Beitrag lesen will, teilt diese Auffassung und lacht am Telefon, als ihr der Reporter den Wert des Objekts aus der „Süddeutschen Zeitung“ vorliest. „Selbst der neue Wert ab 2023 in Höhe von 785 704 Euro kommt mir zu niedrig vor“, sagt sie.
Wer hat die Änderungen der steuerlichen Bewertung der Immobilien überhaupt angestoßen?
Die alte Bundesregierung, der ja auch Meisters und Brehms Parteien angehörten. Sie hat die Immobilienwertermittlungsverordnung bereits im Sommer 2021 geändert. Zuständig war das damals von Horst Seehofer (CSU) geleitete Bundesinnenministerium. Ziel war es, die steuerliche Bewertung von Immobilien an die Marktlage anzupassen – denn die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren krass gestiegen.
Das heißt im Klartext: Wer mit der Materie vertraut war, hätte also wissen müssen, dass die geänderten Parameter in der Praxis dazu führen würden, dass auch die Steuer auf Omas Häuschen im Erb- oder Schenkungsfall in der Regel höher ausfallen würde. Denn die Freibeträge wurden ja nicht erhöht.
Da das alles im Jahressteuergesetz in einem ganzen Wust von Änderungen versteckt wurde, hat auch Steuerberater Philipp Flößer davon erst aus der Presse erfahren. „Ich habe bisher noch keinen Ansturm von schenkungswilligen Hausbesitzern in unserer Kanzlei feststellen können.“
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Was soll sich beim Sachwert- und Ertragswertverfahren ändern?
Achtung, das ist jetzt wirklich nur etwas für Feinschmecker! Beim Sachwertverfahren wird ein Regionalfaktor eingeführt, der die Werte vor allem in Ballungsgebieten und Großstädten steigen lässt. Außerdem wird der Sachwertfaktor, der gegenwärtig je nach Region und Immobilie bei 0,9 bis 1,1 liegt auf 1,3 bis 1,5 erhöht. Mit diesem Faktor wird der Restwert multipliziert. In dem Rechenbeispiel (Erhöhung von 0,9 auf 1,3) beträgt die Wertsteigerung dann 44 Prozent. Beim Ertragswertverfahren führen ein sinkender Liegenschaftszins und eine Änderung beim Abzug der Bewirtschaftungskosten zu einem steigenden Wert der Immobilien.
Ist es nicht gerecht, dass die Nachlasssteuer steigt, wenn die Immobilienpreise boomen?
Ja, sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, schränkt aber ein: „Wenn es durch die Bewertungsänderungen tatsächlich zu erheblichen Mehrbelastungen kommt, gerade innerhalb von Familien, kann man sicherlich auch über eine parallele Erhöhung der Freibeträge nachdenken.“ Gleichwohl betont der ehemalige Mannheimer Grünen-Bundestagsabgeordnete, dass die Bewertungsänderungen gerichtlich vorgeschrieben seien, „damit Menschen die Steuern bezahlen, die zum Wert ihres Erbes oder ihrer Schenkung passen“.
Grundsätzlich sorge das angesichts enorm gestiegener Immobilienpreise für mehr Fairness. Wichtiger sei es aber, dass dieses Prinzip im gesamten Erbschaftsteuerrecht gelte. „Die Bewertungsänderungen sorgen jetzt dafür, dass bei vergleichsweise kleinen Erbschaften, etwa von einzelnen Immobilien, ganz genau hingeschaut wird, während es für Millionen- und Milliardenerbschaften weiter zahlreiche pauschale Ausnahmeregelungen gibt“, kritisiert Schick. „Solche Ausnahmen für Superreiche führen zu Mindereinnahmen aus der Erbschaftsteuer von mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr“, sagt der Ex-Politiker und nennt ein Beispiel: „Wer 300 Wohn-ungen erbt, muss auch nach den Bewertungsänderungen weiter keine Erbschaftsteuer zahlen.“
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