Wer von seinen Eltern eine Million Euro erbt, bekommt 400 000 Euro geschenkt, für den Rest liegt der Steuersatz bei 15 Prozent. Beim Manager, der ebenfalls eine Million Euro auf dem Gehaltskonto hat, dafür aber auch hart arbeiten muss, beträgt der Spitzensteuersatz 45 Prozent. Selbst unter Reichen geht es also ungerecht zu.
Solche Beispiele haben natürlich wenig mit der Lebenswirklichkeit der überwältigenden Mehrheit der Menschen in Deutschland zu tun. Sie erben gar nichts und verdienen auch keine Million Euro im Jahr. Dafür liegt ihr Steuersatz aber schon bei einem recht niedrigen Gehalt über 15 Prozent. Gerechtigkeit ist also immer relativ.
Erst recht, wenn es um das emotionale Thema Erben geht. Wer ein Haus bekommt, freut sich natürlich. Dass er sein Glück aber auch mit der Gesellschaft teilen soll, hat nicht jeder verinnerlicht. Wer dagegen für seinen Traum vom Eigenheim einen hohen Kredit aufnehmen muss, hat wahrscheinlich kein Verständnis dafür, dass die Erben – denen der Nachlass ja ohne Eigenleistung in den Schoß fällt – auch noch meckern, wenn der Fiskus sich meldet.
Deshalb ist es kein Wunder, dass die heimlich, still und leise geplante Änderung der Bewertung von Immobilien ab 2023 die Gemüter erhitzt. Eine Minderheit ärgert sich, die Mehrheit denkt wahrscheinlich: Geschieht denen doch recht! Unabhängig von diesen Befindlichkeiten ist es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber bei den Berechnungsparametern für Immobilien Korrekturen vornehmen will. Der Grund: Die Preise für Häuser und Wohnungen sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die ermittelten Immobilienwerte, die Grundlage für die Berechnung der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind, spiegeln das aber nicht wider. Das ist ungerecht, denn der Erbe eines Aktienpakets muss auch mehr Steuern zahlen, wenn der Wertzuwachs wie bei den Immobilien in den vergangenen Jahren sehr hoch war.
Höhere Freibeträge für diese Klientel hat bisher aber keiner gefordert. Jetzt, da es um Immobilien geht, bringen Vertreter von Union und FDP genau dieses Instrument ins Spiel. Das ist nicht überraschend, denn die Politik hat in der Vergangenheit das Vererben oder Verschenken von Immobilien immer privilegiert, weil diese nicht nach dem aktuellen Verkehrswert bewertet wurden. Und als das Bundesverfassungsgericht 1994 diese Praxis kippte, wurden die Freibeträge erhöht, damit Omas Häuschen steuerfrei bleibt.
Natürlich ist ein Haus, an dem Erinnerungen der Familie hängen, etwas anderes als ein Aktienpaket. Aber schon jetzt muss der Ehepartner oder das Kind unabhängig von den Freibeträgen unter bestimmten Voraussetzungen auch keine Erbschaftsteuer zahlen. Omas Häuschen kommt also nicht automatisch unter den Hammer.
Der aktuelle Streit ist aber in Wirklichkeit ein Nebenkriegsschauplatz. Natürlich kann man über höhere Freibeträge reden. Doch klar muss auch sein: Erbschaften und Schenkungen müssen fair besteuert werden. Davon kann aber keine Rede sein. Die Steuer auf große Erbschaften ist oft geringer als bei kleinen. Ab einem Nachlass von 300 (!) Wohnungen – da hat die Lobby hervorragend gearbeitet – sind gar keine Steuern fällig. Doch damit nicht genug: 2020 erbten in Deutschland 602 Menschen mehr als zehn Millionen Euro. 40 Prozent zahlten keinen Cent. Und die 127 größten Schenkungen mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro wurden mit weniger als einem Prozent versteuert. Diese erschreckenden Zahlen nennt die Bürgerbewegung Finanzwende. Die Politik schützt also die Millionäre und Milliardäre in besonderem Maße. Deren starke Schultern müssen dann im Erbfall nur eine kleine Last tragen. Das ist die wahre Perversion unseres Steuerrechts.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Der Staat schont die Reichen bei der Erbschaftsteuer
Die Bundesregierung will die Werte von Immobilien anpassen - das würde sich auf die Erbschaftsteuer auswirken. Warum geht er aber nicht ans Erbe der Millionäre und Milliardäre ran, fragt unser Kommentator Walter Serif