Wiesbaden. Angeheizt von steigenden Energiepreisen ist die Inflation in Deutschland auf den höchsten Stand seit fast zehn Jahren gestiegen. Im Mai lagen die Verbraucherpreise um 2,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt errechnet hat. So hoch war die jährliche Teuerungsrate in Europas größter Volkswirtschaft zuletzt im September 2011. Dazu wichtige Fragen und Antworten:
Wie entwickelt sich die Inflation aktuell?
Seit Januar sind deutliche Erhöhungen zu beobachten. Und in der zweiten Jahreshälfte erreicht die Preissteigerung eventuell drei Prozent. In einer Analyse der Deutschen Bank heißt es sogar: „In einzelnen Monaten könnte die Jahresteuerungsrate auf bis zu vier Prozent klettern.“
Weshalb steigen die Preise gerade jetzt so deutlich?
Im Corona-Jahr 2020 lief die Weltwirtschaft stark gebremst, die Nachfrage durch Firmen und Haushalte ging zurück. Händler konnten deshalb ihre Preise kaum erhöhen. Mit dem Nachlassen der Pandemie in reichen Staaten wie USA und Deutschland setzt nun der Nachholprozess ein. Die Nachfrage wächst stark, damit gehen die Preise nach oben.
Besonders sichtbar ist das beim Erdöl. Im Vergleich zum Sommer 2020 hat sich der Preis ungefähr verdoppelt. Hinzu kommt, dass die USA und Europa gigantische Konjunkturprogramme gestartet haben, um die Einbußen der Krise wettzumachen und die Wirtschaft zu modernisieren. Weil die Geschäfte monatelang geschlossen waren, haben außerdem viele Privathaushalte überschüssiges Geld auf ihren Konten. Auch das könnte die Händler zu Preiserhöhungen veranlassen.
Warum will die EZB eine gewisse Inflation auslösen?
In der Euro-Zone und in den USA gilt eine Inflation von knapp unter zwei Prozent als wünschenswert. Diese gibt einen gewissen Spielraum für Wirtschaftswachstum, ohne die Haushalte und Unternehmen zu überfordern. Und sie verhindert das Gegenteil, die Deflation. Dabei würden die Preise sinken – ein erfahrungsgemäß schwieriger Zustand, aus dem die Wirtschaft schlecht herausfindet. Für eine gewisse Inflation sorgen die Notenbanken, indem sie die Zinsen vergleichsweise niedrig halten und zusätzliches Geld auf die Märkte bringen.
Ändert sich die Politik der Zentralbanken nun?
Jerome Powell, der Präsident der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), kündigte vergangenes Jahr eine neue Strategie an. Die expansive Geldpolitik mit niedrigen Notenbankzinsen könne künftig auch dann beibehalten werden, wenn die Inflation für einige Zeit über zwei Prozent steigt. Bisher war es üblich, die Zinsen in diesem Fall zügig zu erhöhen. Künftig will die US-Notenbank nun einen längeren Zeitraum zugrundelegen, in dem die Geldentwertung um die Zwei-Prozent-Grenze schwanken kann. Auf dieser Basis erklärte die Fed im März 2021, die Zinsen noch bis 2023 auf dem sehr niedrigen Niveau zu belassen.
Die Frage ist nun, wie die US-Notenbank ihre Strategie umsetzt, da ja derzeit auch in den USA die Verbraucherpreise vergleichsweise stark zunehmen (fünf Prozent im Mai). Die Zentralbanken stecken in einer gewissen Bredouille: Die steigende Inflation könnte zeitig höhere Zinsen erforderlich machen, diese erschwerten allerdings die wirtschaftliche Erholung, da sie Kredite für Firmen und Bürger verteuern. Möglicherweise werden Fed und EZB deshalb eher nach und nach ihre Anleihekäufe verringern und die Zinsen anheben.
Steigen bald die Sparzinsen und gleichen die Inflation aus?
Vorläufig wohl nicht. Und auf den Spar- und Tagesgeldkonten der Privathaushalte wird sich eine eventuelle Richtungsänderung wohl erst spät bemerkbar machen. Die Geschäftsbanken und Sparkassen lassen sich vermutlich Zeit.
Wie sieht die Inflationserwartung in den kommenden Jahren aus?
„Eine nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten“, heißt es in einem Bericht aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. „Denn aktuell sind keine Anzeichen einer Lohn-Preis-Spirale zu beobachten, die zu dauerhaft hoher Inflation führen kann.“ Das Wirtschaftsministerium rechnet also nicht damit, dass Gewerkschaften und Beschäftigte zu hohe Lohnforderungen durchsetzen.
In die gleiche Richtung argumentieren viele Ökonominnen und Ökonomen, etwa Giovanni Gay, Geschäftsführer bei Union Investment. Die augenblicklichen „Sondereffekte“ der Nach-Corona-Inflation „dürften 2022 wieder nachlassen“. Der Preisauftrieb werde dann auf ein „moderates Niveau“ sinken.
Welche Preise könnten hierzulande steigen?
Energieprodukte werden auch in den kommenden Monaten mehr kosten, vor allem fossile Brennstoffe. Beim Benzinpreis kommt noch hinzu, dass viele Bundesbürger in diesem Jahr im Inland verreisen und dafür vermutlich das Auto wählen, die Nachfrage nach Sprit also wächst. Im Übrigen geht der staatlich verordnete Kohlendioxidpreis in Deutschland in den kommenden Jahren nach oben. Auch die Preise einzelner Produkte könnten zunehmen: Etwa Kaffee mag teurer werden, weil die Ernte in Brasilien, dem größten Kaffee-Anbauer, wahrscheinlich schlechter ausfallen wird als 2020.
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