Interview

Sparkassenpräsident: "Rezession immer wahrscheinlicher"

Peter Schneider fordert von der EZB weitere Zinserhöhungen, obwohl das für die Konjunktur nicht ungefährlich ist. Im Interview verrät er, ob eine neue Bankenkrise droht

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Walter Serif
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Strom und Gas werden immer teurer, auch deshalb können immer weniger Kunden Geld auf die Seite legen, sagt Sparkassenpräsident Peter Schneider. Die EZB habe die Inflationsgefahr zu lange unterschätzt. © dpa

Frankfurt. Herr Schneider, Sie sind ja als schwäbischer Polterer fast schon legendär, stimmt Sie jetzt der Zinsschritt der EZB ein wenig milde?

Peter Schneider: Der Zinsschritt ist jetzt zwar deutlich, aber er war natürlich überfällig. Die Ursache meiner bisherigen Haltung hat nichts mit meiner Mentalität zu tun, sondern war sachlich begründet. Ich habe immer betont, dass die EZB die Gefahr der Inflation unterschätzt hat. Die Zentralbanker haben viel zu lange versucht, uns zu beruhigen, das Durchschauprinzip war in Wirklichkeit ein Wegschauen. Und es wäre falsch, diese Fehleinschätzung nur auf den Ukraine-Krieg und die Energiefrage zu schieben. Die Inflationsrate lag schon vorher bei fünf Prozent.

Die EZB hat als Inflationsziel aber zwei Prozent ausgegeben.

Schneider: Eben. Deshalb hätte sie viel früher ihre Null- und Negativ-Zins-Politik beenden müssen, die immerhin zehn Jahre gedauert hat. Schon die Erhöhung des Leitzinses im Juli um 0,5 Prozentpunkte war zu niedrig und kam zu spät. Und ich sage es ganz klar: Selbst der aktuelle deutliche Zinsschritt um 0,75 Prozentpunkte reicht nicht aus. Es müssen weitere bis zum Jahresende folgen.

Was schwebt Ihnen da vor?

Schneider: Wir brauchen mindestens noch zwei ebenso deutliche Zinsschritte. Der Leitzins müsste in der Größenordnung von zwei bis drei Prozent liegen. Damit würde die EZB demonstrieren, dass sie die Bekämpfung der Inflation jetzt ernst nimmt. Mit Trippelschritten geht das nicht. Denn die EZB ist ja hinter der Welle, sie hinkt der Entwicklung also hinterher. Die Marktzinsen sind ohne ihr Zutun bereits deutlich gestiegen. Jetzt muss sie wieder das Heft in die Hand nehmen.

Sie sind doch bestimmt auch nicht wirklich cleverer als die Leute von der EZB. Wie konnte es dann aber zu einer solch fatalen Fehleinschätzung der Zentralbanker kommen?

Schneider: Das ist eine sehr gute Frage. Die EZB hat die meisten Experten und verfügt über umfangreiche Wirtschaftsdaten. Und dennoch hat sie solche eklatanten Fehlprognosen abgeliefert.

Also kann es doch gar nicht am mangelnden Sachverstand in der Frankfurter Zentrale liegen. Hat die EZB ihr Inflationsziel verraten, weil sie zu sehr auf die Schuldenländer wie zum Beispiel Italien geschaut hat? Denn für die sind höhere Zinsen ja Gift.

Schneider: Sie hat ihr Inflationsziel nicht verraten, Sie haben aber in einem Punkt recht: Die EZB steckt in einem Dilemma. Für sie hat die Bekämpfung der Inflation nicht mehr allein die oberste Priorität, wie es vor der Einführung des Euro bei der Bundesbank der Fall war . . .

Peter Schneider

 

Peter Schneider (64) stammt aus Riedlingen (Baden-Württemberg).

Der gelernte Jurist war von 1992 bis 2006 Landrat in Biberach und von 2001 bis 2016 CDU-Landtagsabgeordneter.

Bereits seit Mai 2006 ist Schneider Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands. was

… die nahm auch ein Abschmieren der Wirtschaft in Kauf …

Schneider: … die EZB dagegen hat auch immer ein Auge auf …

… Italien …

Schneider: … und andere Staaten und wägt deshalb ständig ab, ob diese Länder mit ihren enormen Staatsschulden in die Knie gehen würden, wenn sie die Zinsen erhöht.

Die EZB hat sich also bis zur Zinswende für Italien und gegen die Inflationsbekämpfung entschieden?

Schneider: Für die EZB ist die Schuldentragfähigkeit ihrer Mitgliedsländer genauso wichtig wie die Inflationsbekämpfung.

Jetzt könnten Sie sich ja als schwäbisches Cleverle auf die Schulter klopfen und sagen: Endlich hören die auf mich.

Schneider: Meine Freude hält sich da leider in Grenzen.

Warum?

Schneider: Die höheren Zinsen belasten die Konjunktur und verstärken die rezessiven Tendenzen. Putin führt uns ja am Nasenring durch die Manege, indem er den Gashahn zudreht, weshalb die Energiepreise und damit die Inflation so stark gestiegen sind. Höhere Zinsen sind da Gift für die Wirtschaft. Deshalb wird eine Rezession leider immer wahrscheinlicher.

Wie schlimm wird es werden?

Schneider: Das weiß ich nicht.

Erwarten Sie eine Insolvenzwelle?

Schneider: Je länger eine Rezession dauert, umso eher wird es Insolvenzen geben, das ist leider Gottes so. Aber ich will jetzt auch nicht alle verrückt machen: Bis dato sehen wir dafür keine Anzeichen. Wir sehen keine Bonitätsverschlechterungen und keine vermehrten Kreditausfälle. Ich weiß aber: Es wird nicht so bleiben. Wenn aber eine Rezession länger dauern würde, wir das Energieproblem nicht lösen und der Winter sehr hart wird, dann sieht es düster aus. Es ist ja jetzt schon so, dass die Konjunkturzahlen im Sinkflug sind. Die Leute kaufen nicht mehr groß ein und konsumieren weniger. Wir sind zwar eine Exportnation, dürfen aber nicht vergessen: Die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung hängt am Konsum. Wenn Menschen vorsichtig werden und aufs Bremspedal treten, erwarten uns schwierige Zeiten.

Und daran lässt sich wirklich nichts ändern?

Schneider: Nein, die EZB muss die Zinsen erhöhen, damit die Nachfrage am Markt gedämpft wird, nur dann kann die Inflation sinken.

Das Problem ist aber: Wenn die Nachfrage zu stark zurückgeht, kommt es zur Rezession.

Schneider: Das ist der Mechanismus der Geldpolitik und damit das Dilemma der EZB. Aber wenn die Inflation so stark steigt, muss die Zentralbank entschieden handeln.

Das heißt, wenn eine Zentralbank zu lange wartet mit Zinserhöhungen, macht sie alles schlimmer.

Schneider: So ist es. Es sei denn, sie gibt ihr Ziel der Inflationsbekämpfung auf. Aber davor kann man nur warnen. Dann wäre die Lage nicht mehr beherrschbar. Die Währung würde weich, und die Preise würden immer weiter steigen.

Also Verhältnisse wie in der Türkei.

Schneider: Die Gefahr sozialer Verwerfungen würde deutlich zunehmen. Pro Jahr werden die Menschen schon jetzt um sieben Prozent entreichert, weil die Inflation so hoch und die Anlagezinsen so niedrig sind. Das heißt, auf drei Jahre gerechnet verlieren die Verbraucher ein Fünftel des Werts ihres Vermögens und damit auch einen Teil ihrer Altersvorsorge. Schon jetzt haben rund 50 Prozent unserer Kunden kein Geld mehr zum Sparen. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung.

Es gibt auch Leute, die haben zwar noch Geld auf der hohen Kante, müssen aber ihren Traum von den eigenen vier Wänden begraben.

Schneider: Das hat mehrere Ursachen: Zum einen steigen seit Jahren die Preise für die Grundstücke und Objekte. Dazu gehen die Baukosten durch die Decke. Und jetzt steigen dazu auch noch die Kreditzinsen. Einige geben deshalb schon ihre Kreditzusagen zurück und streichen ihre Pläne.

Ich kann mich noch an zweistellige Bauzinsen erinnern.

Schneider: Ja, das stimmt. Aber es ist eben halt heute ein erheblicher Unterschied, ob bei den Zinsen eine Null oder eine Drei vor dem Komma steht. Die Ersten können das nicht mehr stemmen.

Dann können Sie ja Ihre Bausparkassen dicht machen.

Schneider: Um Himmels willen! Nein, wir machen ein Geschäft wie noch nie.

Wie bitte?

Schneider: Sie können sich bei unser LBS aktuell eine langfristige Finanzierung über 20 Jahre zu einem Zinssatz mit einer Eins vor dem Komma sichern.

Wie robust sind denn die Banken? Müssen wir Angst vor einer neuen Finanzkrise haben?

Schneider: Natürlich teilen die Banken ihr Schicksal mit der Wirtschaft. Es kann ja nicht sein, dass es der Wirtschaft und den Menschen schlecht geht, und die Banken machen dann super Gewinne.

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Das war nicht meine Frage.

Schneider: Wir werden die Bremsspuren auch spüren. Wenn die ersten Unternehmen zumachen müssten, würde es Kreditausfälle geben. Die Sparkassen müssen aber gegenwärtig nicht beunruhigt sein. Wir haben ein gutes Kreditgeschäft gemacht. Wir haben nicht zu 100 Prozent und nicht zu jeder Kondition finanziert. Aber noch mal: Wenn eine Rezession sich dauerhaft reinfressen und die Inflation weiter steigen würde, könnten wir uns davon nicht abkoppeln. Wir sind aber vorbereitet durch eine hohe Risikovorsorge und eine gute Kapitalquote. Wir halten also schon einiges aus.

Wie sieht es denn bei der Konkurrenz aus?

Schneider: Ich will nicht die Konkurrenz bewerten.

Würde mich aber interessieren.

Schneider: Unsere Hauptwettbewerber sind die Genossenschaftsbanken, die haben ähnlich stabile Verhältnisse wie wir. Es gibt aber auch andere in der Finanzwelt, da denke ich: Viel Vergnügen mit eurem Kreditgeschäft. Die haben Kredite zu 100 Prozent und bis zu 25 Jahre mit sehr geringen Zinssätzen vergeben. Mit denen will ich nicht tauschen.

Welche Banken meinen Sie denn?

Schneider: Die will ich jetzt nicht namentlich nennen.

Wo sollen die Leute, die noch Geld haben, ihr Bares anlegen? Ich bin ja schon älter, da sind Aktien eher riskant, mehr als einen Crash kann ich mir da nicht leisten. Die jungen Leute dagegen investieren derzeit gerne in ETFs. Ist das aktuell nicht gefährlich?

Schneider: Aktien sind Sachanlagen. Damit sind die Anleger in der Vergangenheit auf lange Sicht gut gefahren, vor allem, wenn sie ihre Anlage breit gestreut haben. Einzelaktien sind aber immer riskanter und machen erst Sinn, wenn man größere Beträge langfristig investieren kann. Bei Wertpapierfonds wird das Risiko breiter gestreut. Das macht auch schon mit kleineren Beträgen Sinn. Darüber reden wir mit unseren Kunden, denn gerade in diesen Zeiten sind Sachanlagen wichtig, da sie inflationsbeständiger sind.

Der Staat will den Menschen helfen, er hat schon mehrere Entlastungspakete geschnürt. Ist das mehr als nur Strohfeuer?

Schneider: Es ist gut, dass der Staat reagiert, dass es eine Mehrheit in der Koalition gibt. Es sind ja immense Summen. Der Staat erweist sich also als tatkräftig. Gleichwohl macht mir die Finanzierung dieser gewaltigen Ausgaben schon auch Sorgen. So weiß doch noch niemand, wie man die sogenannten Zufallsgewinne abschöpfen kann. Erst jüngst hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass die wahre Verschuldung des Bundeshaushalts 2023 gut vier Mal so hoch ist, weil zum Beispiel die Ausgaben und Schulden in Sondervermögen verlagert sind.

Aber der Staat hat doch schon in der Pandemie viel getan.

Schneider: Das war auch richtig so. Er hat damit viele Unternehmen gerettet, die Wirtschaft hat deshalb diese Krise gut bewältigt. Der Preis war aber eine sehr hohe Staatsverschuldung, die jetzt noch weiter nach oben geht. Da stellt sich schon die Frage, ob der Staat wirklich alles abfedern kann. Da testen wir schon unsere Grenzen aus.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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