Berlin. Christa Markusch ist total begeistert. „Mein Hörgerät ist ein absoluter Zugewinn von Lebensqualität“, sagt die 75-Jährige. Endlich kann sie im Biergarten ihre Freunde wieder klar verstehen, kann mitreden. Und dies auch wieder in einem angemessenen Tonfall statt eine Spur zu laut, wie ihr vorher oft gesagt wurde. Mindestens genauso freut sich die agile Rentnerin, „dass mir gar nicht mehr schwindelig ist“. Das bessere Hören habe ihren Gleichgewichtssinn wiederhergestellt. Zuvor war sie mehrfach gestürzt. „Ich laufe jetzt wieder viel sicherer und ohne Angst.“ Ein Leben ohne Hörgerät ist für sie nicht mehr denkbar.
Nicht immer ist klar, warum ein Hilfsmittel teurer ist
Allerdings haben sie die Hilfsmittel im Ohr auch ein kleines Vermögen gekostet. Insgesamt musste Markusch 3100 Euro für die Anschaffung dazuzahlen. Ihre Krankenkasse übernahm nur einen Anteil von 1775 Euro. „Das sind für mich mehr als zwei Monatsrenten“, berichtet Markusch. „Wenn ich nicht etwas Geld von meiner Tante geerbt hätte, könnte ich mir dies nicht leisten.“ Insgesamt testete sie vier Monate lang mehrere Hörgeräte verschiedener Preisklassen. Am Ende wählte sie ein Modell aus dem Mittelfeld. Eines, mit dem sie per Bluetooth auch Handygespräche annehmen kann. Ein Gerät ohne Zuzahlung wurde ihr vom Akustiker nicht angeboten. Mit dem Argument: „Damit werden sie nicht glücklich.“
Ob Hörgeräte, Brillen, Schuheinlagen, Rollatoren oder Bandagen – Hilfsmittel spielen bei der medizinischen Behandlung eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich haben alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen Anspruch auf ein bedarfsgerechtes Hilfsmittel, das die medizinisch notwendigen Ansprüche erfüllt – und zwar kostenfrei. Wer ein teureres Modell bevorzugt, muss die Mehrkosten selbst bezahlen. Wie Frau Markusch. In allen Fällen kommt noch die gesetzliche Zuzahlungspflicht von fünf bis zehn Euro hinzu.
Die Ausgaben und Nachfrage für Hilfsmittel steigen seit Jahren kontinuierlich an, berichtet der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV). 2023 gaben die gesetzlichen Krankenkassen elf Milliarden Euro für 32 Millionen Hilfsmittel aus. Damit kletterten die Kosten in diesem Bereich im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent und die Zahl der Versorgungsfälle um neun Prozent. Patienten zahlten zusätzlich noch 982 Millionen Euro für Mehrkosten. Die Krankenkassen gaben die höchsten Beträge für Hörhilfen (1,3 Milliarden Euro), Inhalations- und Atemgeräte (1,2 Milliarden Euro), Messgeräte (972 Millionen Euro) sowie Orthesen/Schienen (971 Millionen Euro) aus.
„80 Prozent der Hilfsmittel erhielten GKV-Versicherte im Jahr 2023 kostenfrei“, nennt die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, das Ergebnis einer Kostenauswertung, die dieser Redaktion exklusiv vorliegt. 20 Prozent der Kassenpatienten – etwa 6,6 Millionen – entschieden sich wiederum für ein Hilfsmittel, für das sie Mehrkosten in Kauf genommen haben. Dabei mussten sie im Durchschnitt 149 Euro aus eigener Tasche bezahlen, acht Euro mehr als im Vorjahr.
Die höchsten Mehrkosten fallen bei Hörhilfen an: Im Durchschnitt zahlen Patienten 1505 Euro je Hörgerät dazu, so die GKV-Auswertung. Insgesamt gut 600 Millionen Euro. Danach folgen Augenprothesen – wie künstliche Augäpfel – mit 504 Euro. Für Sehhilfen wie Brillen oder Kontaktlinsen zahlen Patienten im Schnitt 171 Euro dazu. Für Gehhilfen wie Stöcke, Rollstühle, Krücken oder Rollatoren legen Versicherte durchschnittlich 177 Euro dazu. Bei Schuheinlagen entschieden sich 55 Prozent für teurere Varianten und zahlten im Schnitt 39 Euro dazu.
Doch sind Mehrkosten auch gerechtfertigt und bringen eine bessere Versorgung? Die GKV-Chefin hegt hier Zweifel, da nicht immer klar ist, warum ein Hilfsmittel teurer ist: „Erst wenn die Krankenkassen auch die Gründe dafür kennen, ist es möglich, Versicherte noch besser vor ungerechtfertigten Mehrkosten zu schützen. Hier sollte der Gesetzgeber endlich tätig werden und eine gesetzliche Meldepflicht für Gründe von Mehrkosten festlegen.“ Pfeiffer empfiehlt allen Kassenpatienten, sich immer zuerst die kostenfreie Variante zeigen zu lassen. „Die Leistungserbringenden sind seit 2017 gesetzlich verpflichtet, umfassend zu Mehrkosten aufzuklären und zuerst mehrkostenfreie Hilfsmittel anzubieten“, rät die GKV-Vorsitzende. Zudem sollten Preise bei mehreren Anbietern verglichen werden: „Auch hier gibt es Unterschiede.“
Teure Kompressionsstrümpfe mit Spitzenrand
Denn Mehrkosten seien zumindest medizinisch nicht notwendig. Beispiel Kompressionsstrümpfe, so Pfeiffer: „Diese sind üblicherweise mehrkostenfrei. Es gibt aber auch teurere Modelle mit Spitzenrand – diese Mehrkosten trägt dann nicht die Solidargemeinschaft, sondern zahlen Versicherte selbst.“
Für Christa Markusch war vor allem der monatelange Test verschiedener Modelle und der gute Service ihres Akustikers hilfreich. „Für mich war der Klang der Stimmen wichtig.“ Dass sie mit ihren Hörgeräten nun auch telefonieren könne, bezeichnet sie als „Spielerei“, aber dass man damit auch Außengeräusche wegdimmen kann, sei sehr nützlich. Ihre Hörgeräte legt sie jedenfalls nur nachts ab – zum Wiederaufladen für den nächsten Tag.
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