Pro-Stimme »Ob Fahrspaß, Reichweite oder Kosten: Stromer sind schon heute tauglich für den Alltag«
Vergangenen Monat hat das Meinungsforschungsinstitut Civey wieder ein Stimmungsbild eingeholt. Für mehr als die Hälfte der 5110 Befragten, nämlich 55 Prozent, kommt die Anschaffung eines E-Autos nicht in Frage. Ihre Argumente: zu teuer, zu wenig Reichweite, zu wenig Ladestationen. Ich widerspreche aus vierjähriger Erfahrung energisch: E-Autos haben längst ihre Alltagstauglichkeit bewiesen.
Wie oft habe ich die ungläubige Frage im Freundes- und Bekanntenkreis gehört: Du willst wirklich komplett umsteigen? Nur noch Stromer fahren? Es folgten und folgen immer wieder dieselben Diskussionen mit denselben Argumenten: zu teuer, zu wenig Reichweite, wegen der hoch problematischen Batterien kein Gewinn für die Umwelt, eher das Gegenteil.
Jede Menge Fahrspaß
Die meisten Argumente halten einem ideologiefreien Faktencheck nicht stand. Doch neben allen Argumenten wird immer wieder eine Tatsache vergessen: E-Autos bereiten jede Menge Fahrspaß. Auch für „forciert fahrende“ Verkehrsteilnehmer. Ein E-Smart kann beim Start vielen deutlich höher motorisierten Verbrennern die Rücklichter zeigen. Schließlich geht die Energie ohne Umwege direkt auf die Achsen und den Antrieb – ohne größere Verluste.
Klar: Jeder Kickstart macht sich in der Reichweite bemerkbar und frisst potenzielle Kilometer – übrigens auch beim Verbrenner. Nur zeigen das die Anzeigen im Armaturenbrett nicht. Deshalb gönnt sich der E-Autofahrer solchen zweifelhaften Spaß eher seltener. Ansporn ist dagegen viel mehr, den optimalen Ausgleich zwischen Reichweite und Tempo zu ergründen. Die Freude ist groß, wenn sich laut Anzeige meines Hyundai Ioniq 5 nach dem Ladevorgang die Leistung auf deutlich mehr als 400 Kilometer hochgeschraubt hat. Und das, ohne dass ich als Verkehrshindernis über die Straßen und Autobahnen der Region geschlichen bin.
Es ist eine Mär, dass E-Autos nicht genügend Reichweite haben. Die meisten Menschen benötigen in der Regel ihr Auto, um damit zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Wochenend-Ausflug in die Pfalz oder den Odenwald zu fahren. Und dafür reicht eine Reichweite von 300 bis 400 Kilometer locker. Mein Wagen hat eine 72 Kilowattstunden starke Batterie. Damit komme ich ab dem Frühjahr tatsächlich über 400 Kilometer Reichweite.
Und ja, auch das gehört zur Wahrheit: Bei kälteren und Minus-Temperaturen reduziert sich dieser Radius auf 330 Kilometer. Daran ist vor allem die Batterie-Chemie schuld und auch ein wenig die Klimaanlage. Wobei moderne E-Autos mit Wärmepumpe arbeiten und somit die Reichweite wieder spürbar erhöhen.
Laden während des Einkaufs bietet sich an
Ein weiteres, immer wieder gehörtes Argument gegen die E-Mobilität lautet, dass die Ladezeiten so lange dauern. Ja, ein Verbrenner ist in fünf Minuten vollgetankt. Aber wir müssen grundsätzlich umdenken, wenn wir uns auf die E-Mobilität einlassen wollen. Man kann an der heimischen Wallbox volltanken – wenn man denn eine hat. In den Zentren der Großstädte ist das eher die Ausnahme. Zum Beispiel in Mannheim und Umgebung gibt es Hunderte Ladestellen, sich bei vielen Gelegenheiten ansteuern lassen. Zahlreiche Supermärkte, Fachmarktzentren und Parkhäuser bieten Stromzapfsäulen, die sich während des Einkaufs oder beim Freizeitvergnügen wunderbar nutzen lassen. Das Rhein-Neckar-Zentrum hat einen ganzen Ladepark errichten lassen. Es gilt, Strom zu tanken, wo und wann immer es geht und das Auto ungenutzt herumsteht. Mit Apps und Ladekarten stehen in ganz Europa mittlerweile 400 000 Ladestationen zur Verfügung. Die lassen sich allesamt mit einer Ladekarte oder einer App nutzen. Eine Vielzahl von Apps ist nicht nötig.
Und bei längeren Reisen und Urlaubsfahrten? Mittlerweile verfügt das Fernstraßennetz in Deutschland über eine gute Ladeinfrastruktur, wenn gleich sie mit dem steigenden Bedarf durch E-Fahrzeuge weiter wachsen muss. Es gibt immer mehr Fahrzeuge, die mit einer 800 Volt-Ladetechnik ausgestattet sind. Damit füllt sich der Tank in knapp 20 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Da wird die Kaffeepause mit Toilettenstopp zeitlich knapp. Gerade erst getestet: Die 300 kW-Ladesäule an der Raststätte Wonnegau-West pumpt bis zu 240 Kilowatt Gleichstrom in den Akku. Und ja: Im Winter dauert der gleiche Ladevorgang – Batteriechemie – 30 Minuten. Aber mit ein bisschen Planung kommt man nur unwesentlich langsamer von Mannheim nach Hamburg als mit dem Benziner. Regelmäßige Pausen am Steuer sind ohnehin empfohlen.
Dann ist da noch der Preis. Ja es stimmt: E-Autos sind in der Regel derzeit deutlich teurer als vergleichbare Verbrenner. Hier prognostizieren die Fachleute, dass sich mit der höheren Stückzahl der Preis sinken wird. Außerdem hat Tesla mit seiner Preisoffensive ohnehin zum Halali auf die deutschen Autobauer geblasen. Allerdings: Betriebswirtschaftlich betrachtet relativiert sich der Preis durch deutlich niedrigere Unterhaltungskosten. Ein E-Auto braucht keinen Ölwechsel, keinen neuen Auspuff und erleidet auch keinen Getriebeschaden. Eine Inspektion ist deutlich günstiger. Alltagstauglich sind Stromer schon heute. Definitiv.
Kontra-Stimme »Beim Laden hört der Spaß auf«
In den vergangenen eineinhalb Jahren bin ich um die 20 verschiedene vollelektrische Autos für diese Zeitung testweise gefahren. Anfangs ist das ein Riesenspaß. Aus dem Stand kann die volle Leistung abgerufen werden, und man zieht den anderen Autos davon. Mit der Zeit verliert das seinen Reiz, erst recht, wenn man sich bewusstmacht, dass das auf Dauer viel Energie kostet. Womit wir beim Laden wären. Da hört der Spaß ganz auf.
Zur Erläuterung: Es gibt Wechselstrom-Ladesäulen mit einer Standardleistung von 11 oder 22 Kilowatt (kW). Die Schnelllader laufen mit Gleichstrom und bis zu 350 kW. Momentan können aber nicht mehr als eine Handvoll E-Modelle diese hohe Leistung tatsächlich abrufen.
Ob Stadt oder Land - es gibt zu wenig Stromtankstellen
Von beiden Varianten, die öffentlich nutzbar sind, gibt es in Deutschland viel zu wenig. Das merkt man besonders dann, wenn man darauf angewiesen ist und nicht zu den Privilegierten gehört, die zuhause eine Wallbox oder am Arbeitsplatz einen nahezu unbegrenzten Zugang zu einer Stromtankstelle haben. Die Lage verschärft sich zunehmend, weil mehr E-Autos auf den Straßen unterwegs sind, die Zahl der neuen Ladesäulen damit aber nicht Schritt hält. Der Mangel gilt für Stadt und Land gleichermaßen.
Mir ist es mehrfach in der Düsseldorfer Innenstadt passiert. Während eines Stadtbummels wollte ich die Standzeit des Autos zum Laden nutzen. Häufig ist das gescheitert: Entweder war die in der App als „verfügbar“ deklarierte Ladesäule doch belegt, defekt, auf einem Privatgrundstück gelegen oder durch ein Verbrennerauto blockiert. Oder ich hätte eine spezielle Ladekarte benötigt, die ich nicht hatte.
Ein einheitliches Zahlungssystem gibt es nicht. Mal benötigt man eine App, anderswo eine spezielle Ladekarte. Einen Kartenleser für eine Kredit- oder EC-Karte haben nur die wenigsten Säulen. Dort sind die Kosten nicht ausgewiesen. Jeder Anbieter macht seinen eigenen Preis. Üblicherweise wird pro Kilowattstunde abgerechnet, andere erheben von der ersten Minute an eine Blockiergebühr für den Parkplatz. Diese wird bei den meisten Anbietern ab vier Stunden fällig, an Schnellladepunkten nach 90 oder 120 Minuten – auch wenn der Akku noch nicht voll ist. Üblich sind zehn Cent pro Minute als Aufschlag. Wer dagegen an eine Verbrenner-Tankstelle fährt, sieht schon von weitem den Preis für seine Spritsorte und kann weiterfahren, wenn es zu teuer ist. An einer Ladesäule überlegt man sich das, wenn man endlich eine ergattert hat.
Zu schnelles Laden ist schlecht für Batterie
Viele sehen die Rettung in den Schnellladesäulen. Ein Trugschluss, da viele Autos nur einen Bruchteil der möglichen Energie ziehen können. Um den Akku zu schonen, baut sich der Energiefluss langsam auf und nach einem kurzen Peak wieder ab. Für Hybridautos sind Schnelllader nutzlos, weil die nicht einmal die Leistung einer normalen Ladestation abrufen können.
Außerdem warnen fast alle Autohersteller davor, die Batterie ständig an Schnellladestationen anzuschließen, und raten allgemein dazu, den Akku nur in Ausnahmefällen über 80 Prozent zu laden. Entsprechend kürzer sind die Reichweiten. Ich würde nie auf die Idee kommen, meinen Verbrenner an der Tankstelle nur zu 80 Prozent zu füllen.
Ein großes Ärgernis ist die Infrastruktur an den Ladepunkten. Abgesehen von den großen, überdachten Schnellladeparks an den Autobahnen ist die oft richtig schlecht. Meistens handelt es sich um nachgerüstete Standardparkplätze. In Karlsruhe ist es mir kürzlich passiert, dass ich meinen Mantel abwechselnd an meinem und dem daneben geparkten Auto entlangstrich, weil es so eng war. Oft ist das Parken schwierig, weil die Ladekabel zu kurz sind. Pauschal gilt: Ohne schmutzige Finger geht es nicht. Das Kabel liegt oft zur Hälfte in einem Grünstreifen, bei Regen in einer Pfütze, bei Schnee im Matsch. Und nach dem Laden will es wieder im Auto verstaut werden.
Mit dem E-Auto ist eine Fahrt in den Süden unkalkulierbar
Als ich mich noch nicht so intensiv damit befasst habe, war ich bei den Elektroautos euphorisch. Meine Erfahrungen damit haben mir aber gezeigt, dass sie nicht alltagstauglich sind. Entfernungen, die für einen Verbrenner ein Leichtes sind, werden mit dem E-Auto zur echten Herausforderung. Vor allem bei Kälte, wenn der Akku schwächelt, die Reichweiten noch kürzer werden und das Laden länger dauert. Es nervt, eine Strecke wie Mannheim-Köln zu planen, weil die Akkuladung nicht reicht. Bei der Fahrt in den Urlaub nach Ost- oder Südeuropa kann das zum Verhängnis werden, weil dort die Ladeinfrastruktur noch dünner ist. Ein Bekannter, der beruflich zwischen Madrid und Salamanca pendelt, erzählte mir kürzlich, dass er diese rund 200 Kilometer lange Strecke mit einem E-Auto nicht fahren könnte, weil es unterwegs so gut wie keine Ladesäulen gebe.
Und dann ist da noch die Mär von der sauberen Mobilität: Laut Umweltbundesamt verursachte 2021 die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom in Deutschland 420 Gramm CO2. Seit 2020 steigen die Emissionen im Strommix wieder, vor allem, weil mehr Kohle verwendet wird.
Mich wundert es nicht, dass sich viele Leute immer noch schwertun, auf ein Elektroauto umzusteigen.