Wachenheim. „Dry January“ (trockener Januar) oder „Sober Curious“ (nüchtern neugierig): Bewusste Ernährung und damit auch der Verzicht auf Alkohol wird immer mehr zum Trend und Lebensstil. Die Korken können aber trotzdem knallen. Mit alkoholfreiem Bier wissen viele etwas anzufangen, das sieht bei Weinen und Sekten etwas anders aus. Doch auch Winzer und Liebhaber dieser Getränke entdecken den Trend in den vergangenen Jahren zunehmend für sich. Das Angebot von entalkoholisierten Sekten und Weinen wird hierzulande immer größer - die Nachfrage offensichtlich auch.
„Sie laufen sehr gut“, sagt Heike Kuhly, Leiterin der Direktvermarktung der Sektkellerei Schloss Wachenheim, im Gespräch mit dieser Redaktion. Schon seit vielen Jahren stellen die Pfälzer alkoholfreien Sekt als Teilkonzern für die Schloss Wachenheim AG in Trier her. Somit hatten sie es nicht nötig, auf den jüngstem Trend zu reagieren. Die Nachfrage nach alkoholfreien Sekten und Weinen habe in den vergangenen Jahrenmerklich zugenommen, so Kuhly.
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Diese Tendenz setze sich mit dem Trend zu bewusster Ernährung und einem zumindest punktuell alkoholfreien Lifestyle wie dem „Dry January“ fort, heißt es in der Branche. Der Verband Deutscher Sektkellereien (VDS) mit Sitz in Wiesbaden geht nach verbandsinternen Erhebungen für 2021 von einem Marktanteil von rund fünf Prozent und einem Absatzplus von 7,3 Prozent gegenüber 2020 aus. „Die Tendenz ist kontinuierlich wachsend, ebenso die Markenvielfalt in diesem Nischensegment“, sagt VDS-Geschäftsführer Alexander Tacer. Zahlen für 2022 gibt es noch nicht.
Schloss Wachenheim AG: Der Zeit voraus
Die Schloss Wachenheim AG sei bereits seit 1990 in der Produktkategorie tätig und habe „gewissermaßen Pionierarbeit geleistet“, betont Vorstandssprecher Oliver Gloden auf Anfrage. „Alkoholfreie Alternativen zu Sekt und Wein kannte man noch nicht und es hat auch einige Jahre gedauert, bis die Wahrnehmung der Konsumenten gestiegen ist.“ Die Absatzmenge bei alkoholfreien Sekten habe sich mit dem Trend zur gesundheitsbewusster Ernährung jedoch „in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat und bei Stillwein sogar verfünffacht“, gibt Gloden an und ergänzt: „Wir entalkoholisieren jährlich circa 15 Millionen Liter.“
Besonders am Anfang des Jahres üben sich die Menschen nach promille- und kalorienhaltigen Feiertagen in Verzicht. „Der Januar ist ein klassischer Monat, in dem weniger Alkohol zu sich genommen wird“, merkt auch Kuhly an. Neu sei das nicht unbedingt. Gloden gibt in dem Zusammenhang aber zu, den Trend auch fürs Marketing zu nutzen. „Aktuell ist natürlich auch ,Dry January’ ein Thema für unsere Kommunikation“. Doch wird der Fokus nicht nur auf den Jahresanfang gesetzt. So wird beispielsweise ganzjährig ein „Try Dry“-Probierpaket angeboten, um die Menschen auf den Geschmack zu bringen.
Rund 44 Prozent der Verbraucher haben nach einer repräsentativen Studie der Hochschule Geisenheim University und dem VDS vom Oktober 2022 schon einmal alkoholfreien Sekt probiert. Besonders gut kommt er danach bei jüngeren Menschen unter 30 Jahren an. Und: „Frauen sind dabei mit 54 Prozent wesentlich experimentierfreudiger als Männer.“ Nach einer Yougov-Umfrage vom Sommer vergangenen Jahres sagt fast die Hälfte der Menschen in Deutschland kategorisch „Nein“ zu promillehaltigen Getränken. „Es geht dabei nicht unbedingt um Verzicht, sondern um eine bewusste Entscheidung“, meint Gloden.
Für Manuel Bretschi, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Schriesheim, ist der Trend hin zum bewussten Lebensstil dagegen bisher noch kein Argument, alkoholfreie Weine oder Sekte herzustellen. „Wir haben uns mit dem Thema beschäftigt. Man liest überall davon“, sagt Bretschi zwar. Momentan sei bei der Winzergenossenschaft jedoch die Nachfrage nicht gegeben. Zudem sei der Herstellungsprozess kostenintensiv. Dennoch sei dahingehend für die Zukunft bei entsprechender Marktlage „alles offen“. „Wir müssen uns mit Trends beschäftigen“, ist Bretschi bewusst.
Wein und Sekt mit und ohne Alkohol: „Wie Äpfel und Birnen“
Dass Bretschi noch nicht vollends von alkoholfreien Sekten und Weinen überzeugt ist, hat nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe. Es sei auch eine Frage der Qualität. „Ich habe ein Problem damit, alkoholfreie und alkoholhaltige Getränke miteinander zu vergleichen. Die Aromaparameter unterscheiden sich. Das ist wie Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen“, erläutert Bretschi. „Ob Wein oder Gin: Die Qualität muss gewährleistet sein.“
Kuhly vom Schloss Wachenheim ist anderer Meinung. Der Geschmack habe sich „in letzter Zeit erheblich verbessert“. So habe es vergangenen Dezember etwa ein Glühpunsch ins Portfolio geschafft. AG-Vorstandssprecher Gloden schlägt in dieselbe Kerbe: „Die Technik der Entalkoholisierung und damit die Qualität des alkoholfreien Weines hat sich verändert und so viele Skeptiker überzeugt, dass es wirkliche Alternativen sind.“ (mit dpa)
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