Beruf - Immer weniger junge Menschen bewerben sich um eine Lehrstelle als Koch / Gewerkschaft bemängelt zu viele Überstunden und geringe Vergütung

Platz am Herd bleibt immer öfter leer

Von 
Michael Schröder
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Koch-Azubi Tobias Fleschhut in der Küche des Restaurants "Drei Birken" in Birkenau. Der 22-Jährige schwärmt von seinem Beruf - gehört damit unter seinen Altersgenossen aber zu den Ausnahmen.

© kopetzky

Rhein-Neckar. Harry Meurer ist frustriert. Seit Monaten sucht der Geschäftsführer des für sein toskanisches Ambiente bekannten Hotel-Restaurants "Gebrüder Meurer" im pfälzischen Großkarlbach händeringend nach neuen Mitarbeitern. "Der Markt ist wie leer gefegt", klagt Meurer. Vor Weihnachten musste das Haus sogar für zwei Tage schließen, weil das Personal fehlte. "Wir brauchen Verstärkung in der Küche, im Service und an der Rezeption." 28 Vorstellungsgespräche mit Kandidaten meldete die Agentur für Arbeit an, aber keiner der Bewerber ließ sich in Großkarlbach blicken. "Ich weiß nicht", sagt Meurer, "wie wir die Hochzeiten im Mai stemmen können. Ich habe dafür noch keine Leute."

Gerne würde Meurer weitere Auszubildende einstellen, doch sein Restaurant lebt überwiegend vom Abend- und Bankettgeschäft. Da Jugendliche generell nur bis 20 Uhr arbeiten dürfen und im Gaststättengewerbe ausnahmsweise bis 22 Uhr, wenn sie über 16 Jahre alt sind, sind ihm die Hände gebunden. "Hier auf dem Land fahren um diese Uhrzeit keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Wie sollen da die jungen Leute nach Hause kommen?"

Jährlich 81 Milliarden Euro Umsatz

Das Dilemma der "Gebrüder Meurer" ist allerdings kein Einzelfall. Allenthalben stöhnt die Branche über einen eklatanten Lehrlingsmangel. Die Ursachen sind bekannt: Ungünstige Arbeitszeiten, wenig attraktive Verdienstmöglichkeiten und ein zuweilen rauer Ton in den Küchen schrecken den Nachwuchs ab. Kurzum: Das Hotel- und Gaststättengewerbe in Deutschland, das einschließlich der Caterer jährlich 81 Milliarden Euro umsetzt, steht bei Jugendlichen nicht gerade oben auf der Prioritätenliste.

"Wir haben ein riesiges Nachwuchsproblem", sagt Andreas Becker, Präsident des Verbands der Köche Deutschlands, "überall fehlen Köche". Nach dem "Berufsbildungsbericht 2016" der Bundesregierung kündig fast jeder zweite Koch-Azubi seinen Vertrag vorzeitig. Mit dieser Quote liegen die angehenden Köche und Köchinnen neben den Restaurantfachmännern und -frauen an der Spitze der gesamten Abbrecher-Statistik.

Funktionäre wie Becker befürchten, dass zahlreiche Lokale in den kommenden Jahren angesichts des Köche-Schwunds schließen müssen. Und die Lage wird kaum besser: Zum Start des Ausbildungsjahres im September 2016 suchte das Gastgewerbe - mit 2,1 Millionen Beschäftigten einer der großen Arbeitgeber der Republik - 4400 Koch-Azubis. Derzeit sind bundesweit noch immer 1150 Stellen zu haben. Becker, der Koch laut "Feinschmecker"-Magazin nach wie vor für den "geilsten Beruf der Welt" hält, hat drei Ursachen für das nachlassende Interesse ausgemacht: den demografischen Wandel, den Trend "Uni statt Berufsschule" und oft falsche Erwartungen an den Job. Viele unterschätzten den harten Einsatz am Herd.

"Es scheint tatsächlich so", sagt Martin Dannenmann, Leiter der renommierten Heidelberger Hotelfachschule, "dass ein Teil der Jugend nicht mehr so stressresistent ist wie vielleicht vor 20 Jahren." Die zahlreichen Kochshows im Fernsehen hätten zwar das Ansehen der Köche verbessert, gleichzeitig würden sie jedoch einen falschen Eindruck vom realen Alltag in der Profi-Küche vermitteln.

"Da werden nicht mehr nur feine Sößchen angerührt, da muss arbeitsteilig auf Kommando geliefert werden - wie bei einem logistischen Räderwerk, bei dem ein Rad ins andere greift." Doch trotz des enormen Zeitdrucks, unter dem Köche stehen, zählt Dannenmann die Vorteile auf: "Dieser Beruf ist ja nicht nur kreativ, er ist sicher auch der einzige, in dem ich meinen Arbeitsplatz aussuchen kann."

Das sieht auch Tobias Fleschhut so. Der 22-Jährige steht in seinem dritten und letzten Ausbildungsjahr in der Küche des Restaurants "Drei Birken" in der hessischen Odenwald-Gemeinde Birkenau. Nach seinem Abitur hat er, angeregt durch ein Schülerpraktikum, dort eine Kochlehre begonnen. "Mir macht Kochen einfach Spaß", sagt er, "hier kann ich mich richtig kreativ ausleben." Und auch der Stress macht ihm nicht zu schaffen: "Ich mag den Druck, wenn es richtig rundgeht."

Klasse mit fünf Schülern

Gleichwohl sitzen neben ihm gerade mal fünf weitere Jung-Köche in seiner Klasse in der Bensheimer Berufsschule. Dass die ehemaligen Mitschüler seinen Beruf nicht so "cool" finden, liegt seiner Meinung nach unter anderem an der Arbeitszeit: "Wenn die anderen am Wochenende und an Feiertagen ausgehen, müssen wir schaffen." Er jedoch kommt damit zurecht, und auch finanziell ist er mit den rund 800 Euro netto zufrieden, die ihm im dritten Lehrjahr monatlich verbleiben.

Für den Hotel- und Gaststättenverband Dehoga sind Azubis wie Tobias Fleschhut ein Glücksfall. "Wir hatten einen massiven Rückgang der Ausbildungsplätze", räumt Daniel Ohl, Sprecher des Landesverbands Baden-Württemberg, ein. So schrumpfte die Zahl im Südwesten in den vergangenen zehn Jahren von über 10 000 auf zuletzt noch 6200.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) verweist darauf, dass das Ausbildungsproblem hausgemacht sei: durch schwarze Schafe unter den Betrieben, die nach dem Motto "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" die Jugendlichen schamlos ausnutzten und damit für den schlechten Ruf der Branche sorgten.

So heißt es im "Ausbildungsreport 2016" des DGB, dass im Vergleich zu anderen Berufen die Azubis im Hotel- und Gaststättenbereich "nach wie vor überdurchschnittlich häufig von langen und ungünstigen Arbeitszeiten sowie häufigen und zahlreichen Überstunden" betroffen seien, sie eine "oftmals fachlich ungenügende Anleitung" beklagten sowie eine "unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung" erhielten. Kein Wunder, sagt die NGG, dass viele ihren Job entnervt an den Nagel hingen.

Lob statt Geschimpfe

Mit zahlreichen Initiativen zur Qualitätsverbesserung versuchen nun Verbände und Betriebe, das Image der Branche aufzupolieren, um den Nachwuchsmangel zu bekämpfen. Die Dehoga in Baden-Württemberg hat die Kampagne "Wir Gastfreunde" gestartet. Unter anderem tourt ein "GastroMobil" durch den Südwesten und besucht Schulen und Berufsmessen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar arbeitet mit 15 "Ausbildungsbotschaftern" aus dem Hotel- und Gaststättenbereich. Sie berichten an Schulen über ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse.

Einen originellen Weg geht unterdessen das Mannheimer Dorint-Kongresshotel am Rosengarten, den Auszubildenden mehr Verantwortung zu übertragen. Dort übernehmen alle 20 Azubis für ein Wochenende die Leitung des Vier-Sterne-Hotels. "Letztendlich", sagt Martin Dannenmann von der Heidelberger Hotelfachschule, "ist für die jungen Leute am wichtigsten, dass sie ernstgenommen werden." Dazu zählen: planbare Freizeit, ein freundlicher Umgangston, familiärer Teamgeist und Wertschätzung. "Lob und Anerkennung", so Dannenmann, "können mehr ausrichten als ständiges Geschimpfe."

Ausbildung

  • Die Ausbildung zum Koch dauert in der Regel drei Jahre. Erforderlich ist ein Hauptschul- oder ein mittlerer Bildungsabschluss. Nach Angaben des Köche-Verbandes sollten junge Leute neben Geschick auch Kreativität und eine gute Konstitution mitbringen.
  • Der Beruf bedeutet körperlich anstrengende Arbeit. Die Ausbildung findet im dualen System statt, das heißt, die theoretische Ausbildung erfolgt an der Berufsschule und die praktische im Betrieb. Die Schulzeit beträgt pro Ausbildungsjahr rund zwölf Wochen in mehreren Blöcken oder an einem bis zwei Tagen pro Woche.
  • Für die Ausbildungsvergütung gelten in den Bundesländern verschiedene Tarifverträge. So verdient in Baden-Württemberg ein Berufseinsteiger unter 18 Jahren im ersten Ausbildungsjahr 570 Euro brutto im Monat, im dritten 700 Euro. Über 18-jährige Auszubildende erhalten 800 Euro im dritten Jahr. Hessen zahlt mit 930 Euro brutto die höchste Vergütung im dritten Lehrjahr. ms

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