Gastbeitrag

Peking setzt auf den Ausbau der Kernenergie

China greift bei seiner Energieversorgung auf Technologien aus Deutschland zurück

Von 
Barbara Darimont
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Bis 2060 will China knapp ein Fünftel seiner Energie aus Atomkraft gewinnen. © picture alliance/CFOTO/dpa

Ludwigshafen. Die Volksrepublik China ist in den vergangenen Jahren nach den Vereinigten Staaten von Amerika zum weltweit zweitgrößten Produzenten von Kernenergie geworden. Kernenergie dient dazu, von anderen Ressourcen und anderen Ländern unabhängig zu werden und die Energiemischung zu diversifizieren. Im chinesischen Energiemix beträgt der Anteil der Kernenergie circa fünf Prozent, die meiste Energie wird weiterhin mit Kohlekraftwerken produziert. China plant, bis zum Jahr 2060 den Prozentsatz der Kernenergie am gesamten Energiemix auf 18 Prozent anzuheben. Die Uranversorgung hat sich China in Verträgen mit Australien und Kasachstan gesichert, die Laufzeiten von über 20 Jahre haben.

Reaktormodelle aus verschiedenen Ländern im Einsatz

Seit Ende der 1950er Jahre forschte China sowohl militärisch als auch zivil an der Kernenergie, zunächst mit Hilfe der Sowjetunion. Der Beschluss, einen eigenen Kernkraftreaktor zu bauen, stammt aus dieser Zeit, wurde aber aufgrund der Kulturrevolutionen und dem Konflikt mit Russland 1969 zunächst nicht weiterverfolgt.

Nach längerer Planungszeit begann im Jahr 1985 der Bau des ersten Blocks des Kernkraftwerks Qinshan in der Nähe von Schanghai. Dieser erste Reaktor war eine eigene Entwicklung und ging 1991 in Betrieb. Zusätzlich hat China weitere Reaktormodelle aus Frankreich (Baubeginn ab 1987), Kanada (1998), Russland (ab 1999) und USA (ab 2005) importiert.

Der Unfall von Fukushima veranlasste keine Kurskorrektur

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Heutzutage befinden sich in China über 50 Kernreaktoren am Netz, viele weitere sind in Bau. Im Jahr 2020 erfolgte der Baubeginn für vier, 2021 für sechs, 2022 für vier und 2023 für fünf neue Reaktoren. Bisher gab es in China keine schwerwiegenden Reaktorunfälle. Im Gegensatz zu Deutschland hat der Reaktorunfall in Fukushima keinen Einfluss auf die Pläne der chinesischen Regierung zum Kernenergieausbau.

Der erste Reaktor in Qinshan leistete 300 MW. Bald darauf wurden auf Basis des amerikanischen Westinghouse-Designs sowie des französischen EPR-Typs Druckwasserreaktor-Eigenentwicklungen in der 1000-MW-Klasse entwickelt, die schließlich zu einem vereinheitlichten Design „Hualong One“ zusammengefasst sind.

China als Exporteur von Kernreaktoren

Seit 2015 wird dieses Reaktormodell vermarktet und exportiert, sechs Reaktoren sind bereits in Betrieb, davon zwei in Pakistan, 15 sind in Bau und weitere genehmigt. Mit der Vereinheitlichung werden Kostenreduktionen und erleichterte Genehmigungsverfahren angestrebt, ähnlich zu den Plänen des in Deutschland in den 1980er Jahren entworfenen und nur in drei Exemplaren gebauten „Konvoi“-Typs. Grundzüge des Konvoi-Entwurfs finden sich über EPR-Typ nun auch im Hualong One wieder.

Die Volksrepublik exportiert nukleare Ausstattung sowie schlüsselfertige Kernkraftwerke und hat Abkommen über den Bau von Hualong-Reaktoren unter anderem mit Argentinien (Februar 2022), Pakistan und der Türkei geschlossen. Weitere Interessenten sind Iran, Kasachstan, Kenia und Jordanien. Das liegt nicht zuletzt an den günstigen Preisen, die China bietet. Damit tritt China in Konkurrenz zu den anderen großen Exportnationen von Kernkraftanlagen, wie Russland, USA, Frankreich, Kanada und Südkorea.

Im Jahr 2021 ging in Shidaowan ein Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor ans Netz. In Deutschland wurde diese Technologie bereits 1987 im Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop kurzzeitig genutzt, aber nach etwa 400 Tagen Betriebszeit als Fehlentwicklung aufgegeben. Grund des Stopps waren technische Schwierigkeiten und Widerstand aus der Bevölkerung unter dem frischen Eindruck der Tschernobyl-Katastrophe ein Jahr zuvor, 1986.

Herkömmliche Technik mit Uran und Thorium

Anders als der deutsche Reaktor, der zusätzlich als Brutreaktor ausgelegt war, arbeitet der chinesische Reaktor konventionell mit Uran. Von den Verfechtern des Reaktorprinzips werden höhere Effizienz und eine inhärent größere Sicherheit als Vorteile genannt. Darüber hinaus gibt es Ideen zur Erzeugung von Hochtemperatur-Prozesswärme für die chemische Industrie.

Ähnlich wie beim Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor werden in China viele alte Ideen zum Reaktorbau wieder aufgegriffen, beispielsweise das Brutprinzip und der Einsatz von geschmolzenem Salz als Kühlmittel. Im Juni 2023 nahm in der Wüste Gobi ein Thorium-Flüssigsalz-Reaktor den Betrieb auf. Der Vorteil eines Brutreaktors liegt darin, dass statt begrenzter Uranvorkommen reichlich verfügbares Thorium als Brennstoff erbrütet und genutzt werden kann. Thorium fällt bei der Gewinnung von Seltenen Erden an, das China extensiv abbaut. Weiterhin argumentieren Befürworter, dass weniger radioaktive Abfälle entstehen, was die Endlagerung vereinfachen würde. Bislang handelt es sich um einen Testreaktor.

Zusammenarbeit mit Karlsruher Institut für Technologie

China versucht, einen geschlossenen Brennstoffkreislauf zu entwickeln, und setzt auf Wiederaufarbeitung von Brennelementen. Ziel ist dabei, wiederaufgearbeiteten Brennstoff erneut nutzen zu können.

Auch in Deutschland kam in der Wiederaufarbeitung gewonnenes Plutonium in Form von MOX-Brennelementen zum Einsatz. Für die in der Wiederaufarbeitung anfallenden hochradioaktiven Abfallstoffe arbeitet das Karlsruher Institut für Technologie mit China bezüglich einer Verglasungsanlage zusammen. In der Anlage sollen, wie bereits im Jahr 2009 in der Verglasungsanlage Karlsruhe, hochradioaktive Substanzen in einer Glasmatrix für eine sichere Endlagerung eingeschlossen werden. Das Projekt läuft noch bis Ende 2030.

Noch ist das Problem der Endlagerung zu lösen

China ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Einwohnerzahl auf Strom angewiesen, der möglichst umweltschonend erzeugt wird. Kernkraft ist in dieser Hinsicht eine Alternative, wenn das Problem der Endlagerung gelöst wird.

China investiert in diesem Bereich in Forschung und ist an vielen Testprojekten beteiligt, die teilweise früher schon von Deutschland ausprobiert wurden.

Falls China mit diesen Projekten erfolgreich ist, könnte das wichtige Impulse für die Entwicklung der internationalen Energiepolitik geben – mit weitrechenden Folgen für den Rest der Welt. Der Exportmarkt könnte in wenigen Jahren von chinesischen Firmen dominiert werden, was China zu einem führenden Akteur in der Kernreaktorindustrie machen würde.

Barbara Darimont ist Professorin am Ostasieninstitut der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen

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