Mannheim. Digitalisierung und Globalisierung: Die Arbeitswelt ändert sich stetig und rasant. Wo früher Angestellte einfachere Tätigkeiten verrichtetet haben, arbeiten zunehmend hoch qualifizierte Menschen, die mit ihren Vorgesetzten auf Augenhöhe verhandeln können. Ob Streiks heute noch zeitgemäß sind? Dazu ein Pro & Kontra aus unserer Redaktion.
Barbara Klauß hält Streiks durchaus für zeitgemäß:
"Ja, der Streik gehört zu unserer modernen Arbeitswelt. Auch wenn die eine vollkommen andere ist als zu Zeiten der Industrialisierung. Während damals Massen in Knochenjobs ausgebeutet wurden, handeln heute zunehmend Freiberufler und Dienstleister ihre Arbeitsbedingungen mit dem Auftraggeber selbst aus. Doch sind nach wie vor fast zehn Mal so viele Menschen angestellt wie freiberuflich.
Während früher die Menschen mit ihrer Arbeitskraft austauschbar waren, treten heute vermehrt hoch qualifizierte Mitarbeiter den Firmen selbstbewusst gegenüber und schlagen das für sie Beste heraus – gerade in Branchen, in denen Fachkräfte gesucht werden. Wohl denen, die das können. Der Großteil der Arbeitnehmer ist das aber nicht. Alle anderen sind auf Solidarität angewiesen. Der Begriff mag angestaubt klingen. Der Gedanke dahinter ist es nicht. Es geht darum, füreinander einzustehen. Denn nur gemeinsam haben Arbeitnehmer die Macht, ihre Interessen durchzusetzen – auch gegen den Willen des Arbeitgebers. So können sie Dinge verändern, von denen alle profitieren. Und so haben sie dazu beigetragen, dass wir heute so gute Arbeitsbedingungen haben. Sich darauf ausruhen, wäre falsch. Gerade weil die Welt sich ändert, müssen Arbeitnehmer dafür sorgen, dass ihre Interessen gehört werden. Notfalls mit Hilfe von Streiks.
Natürlich wäre es besser, Kompromisse ohne Arbeitsniederlegungen auszuhandeln. Aber manchmal funktioniert das nicht. Dann müssen Arbeitnehmer ein Instrument haben, um sich Gehör zu verschaffen. Deshalb ist ihnen das Streikrecht gesetzlich zugesichert. Gerade in dieser Zeit, in der viel von Egoismus die Rede ist, sollten wir uns freuen, wenn Menschen sich zusammentun, um etwas zu erreichen. Eine Welt, in der jeder nur das Beste für sich herausholen will, kann nicht das Ziel sein."
Melanie Ahlemeier ist der Meinung, dass Streiks nicht mehr zeitgemäß sind:
"Nein, ein Streik ist nicht modern. Es ist ein Arbeitnehmer-Kampfinstrument, das vielleicht noch gegen Margaret Thatchers Manchester-Kapitalismus seine Berechtigung hatte. Als es noch ein klares Feindbild „Wir gegen die“ gab. Im Jahr 2018 wirkt ein Streik aber vor allem aus der Zeit gefallen.
Wenn über Arbeitszeitreduzierung und die so wichtige stärkere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestritten wird, muss sich die IG Metall auch in ihrer Auseinandersetzungsform modernisieren. Sie müsste konstruktive Lösungsvorschläge anbieten. Welche Ideen gibt es denn, um – zeitlich befristet – anfallende Mehrarbeit aufzufangen? Gewerkschaften, allen voran die immer noch mit viel Symbolcharakter beladene IG Metall, muss nicht nur in diesem Tarifkonflikt eine starke Stimme haben und sich einmischen. Dazu gehört ganz grundlegend auch ein zeitgemäßer Umgang mit Konfliktsituationen. In Zeiten von Digitalisierung und vernetzter Weltwirtschaft muss die IG Metall schon mehr bieten als Trillerpfeifenlärm und 80er-Jahre-Durchhalteparolen, denn der Wettbewerb um die klugen und vor allem hervorragend ausgebildeten Köpfe hat gerade erst begonnen. Auch für Industriegewerkschaften.
Die IG Metall wird sich darum ein Stück weit auch komplett neu erfinden müssen, weil in den vergangenen Jahren einfach zu viel Vertrauen verspielt wurde. Negativmeldungen über Betriebsräte-Lustreisen auf Firmenkosten und Untreuevorwürfe haben Zweifel hinterlassen. Zweifel bei der jungen Generation, die für all das kein Verständnis mehr hat. Die sich mit Blick auf leider viel zu häufig befristete Zeitverträge viel eher Gedanken machen muss, wie die eigene Zukunft der Arbeit wohl aussehen wird. Zukunft geht immer nur gemeinsam. Das „Wir gegen die“ ist darum kein adäquates Mittel, um Jobs zu sichern."
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