Mannheim. Der Getränkelieferdienst Flaschenpost weist Vorwürfe zu seinen Arbeitsbedingungen zurück. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Mannheimer Standorts hatte kritisiert, dass die Fahrer seit einiger Zeit ihren Bonus kaum noch erreichen könnten. Hintergrund sei ein neues GPS-System in der Lieferwagen-Flotte. Dieses zeige an, dass der Fahrer beim Kunden angekommen sei, obwohl er beispielsweise noch einen Platz zum Anhalten suche. Dadurch gehe der Bonus meist flöten: Er hänge schließlich davon ab, wie lange der Fahrer ab Ankunft beim Kunden für die Auftragsabwicklung braucht.
Herr Weich, durch das neue GPS-System soll es für Flaschenpost-Fahrer kaum noch möglich sein, ihren Bonus zu bekommen. Was sagen Sie dazu?
Stephen Weich: Das stimmt nicht. Das GPS-System meldet die Ankunft beim Kunden, wenn der Wagen steht und der Motor aus ist. Durch das GPS wollen wir dem Kunden möglichst genau vorhersagen, wann seine Lieferung kommt. Würde es die Ankunft melden, obwohl der Fahrer noch unterwegs ist, wäre das zu ungenau. Und zu den Boni: Wir schütten nicht weniger aus als vorher.
Wie funktioniert das Bonussystem?
Weich: Entscheidend für den Bonus ist die Zeit, die der Fahrer beim Kunden verbringt. Dabei wird berücksichtigt, wie groß die Bestellung ist – natürlich braucht man für sechs Kisten länger als für zwei. Wir haben Erfahrungswerte gesammelt, wie lange es dauert, um einen Auftrag vernünftig abzuwickeln. Wer sich in diesem Rahmen bewegt, bekommt den Bonus.
Und wie lange darf man dafür brauchen, sechs Kisten Sprudel in den fünften Stock zu tragen?
Weich: Wir kommunizieren dazu keine Zahlen nach außen. Aber ich kann Ihnen versichern: Niemand muss bei uns die Treppe hochrennen, um seinen Bonus zu bekommen. Wir aus dem Management fahren selbst regelmäßig Getränke aus, und wenn man in normalem Tempo agiert, erreicht man den Bonus. Alles andere würde zu großer Unzufriedenheit führen, und die können wir uns nicht erlauben. In unserer Branche gibt es einen großen Wettbewerb um gute Arbeitskräfte. Da ist es uns sehr wichtig, dass sich unsere Mitarbeiter bei uns wohlfühlen.
Der Job ist körperlich anstrengend, die Fahrer arbeiten teils bis 23.30 Uhr, auch samstags. Da sind 10,50 Euro Stundenlohn nicht gerade üppig.
Weich: Wir haben eine Staffelung. Je länger der Mitarbeiter bei uns beschäftigt ist, desto höher ist der Stundenlohn. Einige studentische Mitarbeiter sind zudem froh, wenn sie abends arbeiten können, da sie tagsüber an der Uni sind. Und unsere Fahrer dürfen ihr Trinkgeld komplett behalten. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. In unserer jüngsten Mitarbeiterbefragung gaben knapp 90 Prozent der Belegschaft an, dass sie uns als Arbeitgeber weiterempfehlen würden.
Am Standort Düsseldorf gab es Kritik von Mitarbeitern, die sich durch Kameras in der Logistikhalle überwacht fühlten. Gibt es solche Kameras in Mannheim auch?
Weich: Die haben wir an allen Standorten, insbesondere, um unser Eigentum und uns vor Vandalismus zu schützen. Wir haben in unseren Logistikzentren große Tore, da passiert es schnell, dass mal ein Kasten verschwindet. Die Videoüberwachung wurde von unseren Datenschutzbeauftragten geprüft und entspricht den gesetzlichen Anforderungen. Entsprechend gibt es keine Live-Überwachung, und für die Einsichtnahme gibt es einen Freigabeprozess, der nur in begründeten Ausnahmefällen über unseren Datenschutzbeauftragten beantragt werden kann. Die Daten werden nach Fristablauf automatisch gelöscht.
Sie haben dieses Jahr sehr stark expandiert und fast monatlich einen neuen Standort eröffnet. Wachsen Sie auch profitabel?
Weich: Wir brauchen an einem neuen Standort natürlich eine Anlaufzeit, bis wir profitabel sind. Zunächst geht es darum, bekannt zu werden, zum Beispiel durch Flyer in Briefkästen. In Mannheim haben wir auch groß auf einer Straßenbahn geworben. Dann dauert es eine Weile, bis das Bestellvolumen steigt, der Wachstumspfad ist aber relativ gut kalkulierbar. An den älteren Standorten haben wir die entsprechende Profitabilität bereits erreicht.
Was heißt das in Zahlen? Machen Sie Gewinn?
Weich: Beim Umsatz bewegen wir uns in Richtung eines dreistelligen Millionenbetrags. Darüber hinaus kommunizieren wir keine Zahlen.
Wo sind noch Standorte geplant?
Weich: Wir haben kürzlich Niederlassungen in Frankfurt und München eröffnet, nehmen also verstärkt den Süden in den Blick. Weitere Standorte prüfen wir derzeit. Unser Ziel ist es, in allen größeren deutschen Städten vertreten zu sein.
Sie werben damit, dass Sie keine Liefergebühr verlangen. Dafür kosten die Produkte teilweise einiges mehr als bei stationären Händlern. Wie wollen Sie wettbewerbsfähig bleiben?
Weich: Wir liegen insgesamt mit unseren Preisen nicht über dem stationären Handel, das kann höchstens bei einzelnen Produkten mal der Fall sein. Unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern wir unter anderem durch den Wegfall des Zwischenhändlers und unsere großen Lagerflächen. Letzteres ermöglicht es uns, sehr große Mengen einzukaufen und entsprechend günstige Einkaufskonditionen zu bekommen.
Viele Städte wollen den Verkehr zunehmend aus den Zentren heraushalten. Bedroht das perspektivisch Ihr Geschäftsmodell?
Weich: Im Gegenteil. Wir tragen dazu bei, die Städte zu entlasten. Wenn wir bei einer Tour sechs bis zehn Kunden anfahren, bringt das viel weniger Verkehr, als wenn jeder dieser Kunden mit dem eigenen Auto zum Getränkemarkt fahren würde. Im Moment testen wir zudem eine kleine Flotte mit Elektro-Lieferwagen.
Rasantes Wachstum
- Stephen Weich (36) ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender von Flaschenpost. Zuvor war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler unter anderem als Unternehmensberater tätig.
- Der Getränkelieferdienst Flaschenpost wurde 2016 in Münster gegründet. Inzwischen zählt das Unternehmen bundesweit 19 Standorte in 18 Städten. Insgesamt arbeiten dort 4000 Menschen.
- In Mannheim ist das Unternehmen seit März 2018 aktiv, am Standort im Gewerbegebiet Mallau arbeiten rund 400 Mitarbeiter, davon etwa 300 als Fahrer.
- Seit seiner Gründung hat das Start-up Kapital bei verschiedenen Investoren eingesammelt, zum Beispiel bei Vorwerk Ventures, der Beteiligungsgesellschaft der Wuppertaler Unternehmensgruppe Vorwerk, unter anderem bekannt durch den Thermomix.
- Nach den aktuellsten verfügbaren Zahlen im elektronischen Bundesanzeiger verbuchte das Unternehmen Flaschenpost im Geschäftsjahr 2017 einen Jahresfehlbetrag von rund 5,8 Millionen Euro.
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