Frankfurt. Anhänger des Handels mit digitalen Währungen haben eine Horrorwoche hinter sich und wenig spricht dafür, dass die kommenden Tage besser werden. Nach aktuellem Stand gelten mindestens eine Milliarde Dollar an Kundengeldern der Handelsplattform FTX und des um sie herum gebauten Krypto-Imperiums als verschwunden.
Der Tech-Unternehmer und FTX-Gründer Sam Bankman-Fried soll Kundengelder in Höhe von zehn Milliarden Dollar an ein ebenfalls von ihm gegründetes Unternehmen mit Namen Alameda Research transferiert haben. Das Unternehmen soll damit riskante Finanzwetten eingegangen sein.
Hauptsitz auf den Bahamas
Bis vor kurzem noch galt der Senkrechtstarter Bankman-Fried als Star der Branche. In nicht einmal drei Jahren erreichte sein schwierig zu durchschauendes Imperium eine Bewertung von 32 Milliarden Dollar und verwahrte für seine Kunden Milliardenwerte. Noch am vergangenen Dienstag hatte das Finanzen-Wunderkind versichert, alle Einlagen seien geschützt. Doch Zweifel an seiner Liquidität ließen den Wert der eigenen Kryptowährung FTT einbrechen. Inzwischen laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Veruntreuung von Kundengeldern.
Newsletter "MM Business" - kostenlos anmelden!
Was die Situation kompliziert macht, ist der verschachtelte Aufbau des Unternehmens. Die FTX-Gruppe hat eine Tochtergesellschaft in den USA, ihr Hauptsitz befindet sich aber auf den Bahamas. Unter Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts fallen unter anderem die amerikanische Krypto-Börse FTX US und nicht weniger als 130 weitere Firmen.
Die Geschehnisse rund um FTX haben den gesamten Kryptomarkt erschüttert“, sagt Ulli Spankowski, Chief Digital Officer der Gruppe Börse Stuttgart und Chef der Krypto-Handelsplattform BISON. Die FTX- Kunden - darunter nicht nur finanzgewaltige institutionelle Anleger - fürchten inzwischen, dass sie sämtliche Einlagen verlieren. Anleger fliehen auch aus anderen Krypto-Währungen, wie dem Bitcoin. Dessen Kurs stabilisierte sich zuletzt bei rund 16 000 Dollar. In Spitzenzeiten war ein Bitcoin aber mehr als 60 000 Dollar wert.
Vor allem das Tempo, in dem sich das FTX-Imperium quasi in Luft auflöste, erschreckt die Branche, der eigentlich extreme Kursschwankungen und exzessive Spekulationen nicht fremd sind. Pleiten hat es in diesem Umfeld früher schon gegeben. So zerbrach vor ein paar Jahren die japanische Krypto-Plattform MT Gox, einst einer der weltweit größten Handelsplätze für Bitcoins. Ihr wurden angeblich Coins gestohlen.
„Kryptohandelsplätze sind weiterhin kaum reguliert“, kritisiert Johannes Helke, Partner und Head of Financial Services der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO. „Es ist ein junger, sehr schnell wachsender Markt. Große Teile der Industrie und Strukturen sind noch im Aufbau“, unterstreicht Bernd Oppold, Partner bei der KPMG. Etwa fünf Millionen Anleger handelten in Deutschland bereits mit Kryptowährungen.
Die EU-Kommission hat immerhin vor zwei Jahren ein Regulierungspaket „Markets in Crypto Assets“ (MiCA) auf den Weg gebracht. Mit einer Verabschiedung wird Anfang 2023 gerechnet. „Die Regulatorik hinkt dem Markt sei Jahren hinterher“, kritisiert Helke. Anleger im „Schattensektor“ der Krypto-Branche müssten sich bewusst sein, dass sie schwer zu beurteilende Risiken eingehen, warnen Experten. „Wenn Liquiditätsprobleme sichtbar werden, ist der ‚Bank-Run’ meist schon in vollem Gange“, warnt Helke. „Dann lösen sich Milliarden Dollar sehr schnell in Luft auf.“
In Deutschland regelt das Kreditwesengesetz im Wesentlichen den Handel und die Verwahrung von Kryptowährungen. Für die Kontrolle ist die Bankenaufsicht BaFin zuständig. Doch wenn sich Anleger auf globale Plattformen wie FTX wagen, greift dieser Schutz nicht. Das aktuelle Drama werde dazu führen, dass internationale Regulierungsbemühungen neuen Schub erhalten, prognostiziert Helke. „Die breite Masse der Anleger wird vorsichtiger werden“, prognostiziert Oppold-Kollege Felix Oscar Kramer, Senior Manager im Bereich Financial Services.
„Risikomanagement und starke Sicherheitskonzepte dürfen beim Aufbau neuer Produkte wie Kryptowährungen nicht vernachlässigt werden“, warnt Spankowski. Gleichzeitig müsse die Regulierung offen bleiben gegenüber neuen technologischen Entwicklungen und Innovationen fördern, damit Europa als Krypto-Standort attraktiv bleibt.
Digitale Analgen weiter gefragt
Die Stuttgarter Handelsplattform BISON mit derzeit rund 700 000 aktiven Nutzern agiere im regulierten Umfeld der Börsen-Gruppe, betont diese. Handelspartner der Nutzer sei mit der Euwax AG ein in Deutschland reguliertes Finanzinstitut, das zur Gruppe Börse Stuttgart gehöre. Auch die Verwahrung aller bei BISON erworbenen Kryptowährungen übernehme treuhänderisch eine regulierte Tochter der Gruppe. „Jeder Nutzer, der über BISON Kryptowährungen handelt, einzahlt oder auszahlt, muss zuvor einen Identifikationsprozess per Video-Ident-Verfahren durchlaufen“, betont die Börse.
Der Handel mit digitalen Assets nehme weiter Fahrt auf, ist Kramer überzeugt. „Einige unregulierte Krypto-Handelsplätze werden in Reaktion auf das aktuelle Drama sicher verschwinden“, prognostiziert BDO-Experte Helke. Die zu Grunde liegende Blockchain Technologie habe aber trotzdem eine Zukunft. „Wären internationale Regulierungsbemühungen weiter vorangeschritten, hätte FTX wahrscheinlich vermieden werden können“.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-nach-ftx-pleite-aufsicht-hinkt-dem-krypto-markt-hinterher-_arid,2019127.html