Mannheim. Der Lebenslauf sieht super aus. Die Kandidatin hat einen Spitzenabschluss an einer renommierten Uni in der Tasche und jede Menge gute Praktikumszeugnisse. Aber passt sie ins Team? Bringt sie neben ihrer Fachkompetenz auch die anderen Eigenschaften und Talente mit, die es für die Stelle braucht? Das ist für Firmen oft schwer einzuschätzen, aber ziemlich interessant: Schließlich kostet jede Fehlbesetzung Geld.
Hier setzt das Start-up Aivy an. „Wir machen sichtbar, was nicht im Lebenslauf steht“, wirbt Mitgründer und Wirtschaftspsychologe Florian Dyballa selbstbewusst auf seinem LinkedIn-Profil. Die Idee hat auch die Promi-Investoren Carsten Maschmeyer und Dagmar Wöhrl überzeugt: In der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“ konnten die Zuschauer kürzlich verfolgen, wie die beiden dem Gründerteam von Aivy 450 000 Euro Kapital boten.
Doch der Deal platzte nach der Aufzeichnung. „Für uns war das eine wertvolle Erfahrung, und die Zusammenarbeit mit den Löwen war super-professionell. Aber am Ende gab es unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die nächsten Meilensteine konkret ausgestaltet werden sollen“, sagt Alexandra Kammer vom Aivy-Management-Team. Zu dem Start-up kam sie über ihre Arbeit an der Uni Mannheim, wo sie studierte. Dort habe sie vor zwei Jahren Boas Bamberger kennengelernt, der in Mannheim promovierte und Aivy mitgegründet habe. Inzwischen sei er aus dem Unternehmen ausgeschieden. Das Start-up hat also auch Mannheimer Wurzeln, faktisch ist es aber eine Ausgründung aus der Freien Universität Berlin. „Die Infrastruktur für Start-ups ist in Berlin einfach ein Traum“, schwärmt Kammer.
Aufgabe: Emotionen erkennen
Was macht Aivy genau? Das Start-up hat eine App entwickelt, in der potenzielle Job-Kandidatinnen und -Kandidaten spielerisch kleine Aufgaben lösen können. Die Ergebnisse sollen Aufschluss darüber geben, wo die Stärken und Talente der jeweiligen Person liegen: „game-based assessments“ heißt das Stichwort. Aivy will damit den Bewerbungsprozess revolutionieren – und den klassischen Lebenslauf bestenfalls überflüssig machen.
Bei einer der Aufgaben bekommt der Kandidat oder die Kandidatin zum Beispiel in der App immer wieder kurz Gesichter gezeigt – und soll blitzschnell erfassen, welche Emotion sie ausdrücken. „Mit dieser Challenge wird emotionale Intelligenz und Empathie gemessen. Bei Menschen, die im Vertrieb arbeiten wollen, ist es zum Beispiel wahnsinnig wichtig, dass sie ihr Gegenüber schnell lesen und auf dessen Wünsche reagieren können“, erklärt Kammer.
Andere Challenges sollen Hinweise darauf geben, wie gut sich jemand unter Druck konzentrieren kann, oder in welchem Arbeitsumfeld er oder sie sich wohlfühlt. Zwar gebe es in Unternehmen schon lange Assessment-Center – die seien aber oft sehr anstrengend und nicht immer förderlich fürs Firmenimage. „Da muss ich teilweise zwei Stunden voll konzentriert sein und fühle mich hinterher schlecht, weil ich denke, ich bin nicht schlau genug“, sagt Kammer. Bei Aivy seien die Aufgaben dagegen bewusst sehr spielerisch und kurzweilig konzipiert. „Außerdem geht es in der App nicht darum, den Highscore zu knacken. Es gibt kein gut oder schlecht, sondern nur die Frage, ob jemand auf eine Stelle passt oder nicht.“
Unbewusste Diskriminierung vermeiden
Doch auch wenn die App spielerisch wirke: „Dahinter steckt knallharte Wissenschaft“, betont Kammer. „Wir erfüllen die DIN-Norm für psychologische Eignungstests.“ Mehr als 40 Unternehmen nutzen Aivy laut Kammer inzwischen – darunter große Player wie Beiersdorf, Roche oder Würth. Die meisten Firmen setzten die App im Auswahlprozess ein, wenn sie offene Stellen besetzen wollten. Gerade für Einstiegspositionen sei die Methode gut geeignet, da sich darauf oft junge Menschen bewerben würden, die per se noch keinen allzu üppigen Lebenslauf mitbringen könnten. „Zum Start füllen drei bis fünf Vertreter des Unternehmens einen Fragebogen aus, in dem es darum geht, was für die konkrete Position wirklich gebraucht wird“, beschreibt Kammer. Anschließend würden die Talente eingeladen, Aivy zu spielen. Am Ende könne man das Anforderungsprofil und die Spielergebnisse übereinanderlegen und bekomme so die Passung.
„Das liefert Firmen viel mehr Informationen über ein Talent als die klassischen Bewerbungsunterlagen“, wirbt Kammer. „Außerdem soll so unbewusste Diskriminierung vermieden werden, die anhand des Lebenslaufs passieren kann: weil mir die Nase eines Bewerbers nicht gefällt, ich den Namen nicht aussprechen kann oder ich die Hochschule nicht gut finde.“
Deal mit Löwen-Investor geplatzt
Die App kann aber nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Talenten genutzt werden. Sie können sich mit Hilfe der Challenges ein Stärkenprofil erstellen lassen und es Bewerbungen beilegen. Bei ausreichender Passung können Firmen und potenzielle Kandidaten laut Kammer auch gematcht werden.
Den geplatzten Deal mit den Löwen-Investoren hat Aivy Kammer zufolge unterdessen gut verkraftet: „Wir haben inzwischen andere Investoren gefunden“, sagt sie, ohne Namen zu nennen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-mit-mannheimer-wurzeln-start-up-aivy-will-bewerbungsprozess-revolutionieren-_arid,1957110.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html