Studie

Mehrwertsteuer in der Gastronomie: Mannheimer Wirtschaftsexperten für Erhöhung

Sieben oder wieder 19 Prozent: Über die Mehrwertsteuer in der Gastronomie gibt es viel Streit. Jetzt stellen die Wirtschaftsexperten des Mannheimer ZEW klar, warum eine Erhöhung richtig ist

Von 
Walter Serif
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Rund drei Milliarden Euro pro Jahr kostet den Staat dei gesenkte Mehrwertsteuer auf Speisen in den Restaurants. Das ist dem ZEW Mannheim zu viel. © Andreas Arnold/dpa

Mannheim. Die Gastro-Branche schlägt Alarm. Rund 12 000 Betriebe müssen nach Angaben des Lobbyverbandes Dehoga aufgeben, wenn der Mehrwertsteuersatz für Speisen in Restaurants zum Jahreswechsel wieder auf 19 Prozent erhöht wird.

Friedrich Heinemann, Steuerexperte am ZEW Mannheim, hält diese Zahl für völlig übertrieben. Und fordert die Bundesregierung auf, die Umsatzsteuersenkung auf sieben Prozent nicht erneut zu verlängern. Heinemann begründet dies mit den Ergebnissen einer aktuellen ZEW-Studie, die er mitverfasst hat.

Steuersenkung als Hilfe in der Pandemie

Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hatte die Mehrwertsteuersenkung 2020 als vorübergehende Hilfe für die Gastronomie in der Pandemie beschlossen. Nach derzeitigem Stand wird diese Regelung Ende 2023 auslaufen.

Die Subvention kostet die Steuerzahler gegenwärtig nach Schätzung des ZEW rund drei Milliarden Euro pro Jahr und würde mit den zu erwartenden Umsatzzuwächsen der Branche kontinuierlich steigen. Auf etwa 38 Milliarden Euro im nächsten Jahrzehnt. „Diese Summe müsste durch höhere Steuern an anderer Stelle oder Ausgabenkürzungen gegenfinanziert werden“, heißt es in der Studie.

Eine Annahme, die einleuchtet, denn die Schuldenbremse zwingt die Regierung zur Disziplin. Der Finanzminister hält seine Kabinettskollegen auf Diät.

Obwohl die Mehrwertsteuer gesunken ist, haben die Wirte die Preise stärker erhöht als die Inflationsrate. Ich glaube deshalb nicht an eine große Pleitewelle
Friedrich Heinemann ZEW-Steuerexperte

Heinemann begründet im Gespräch mit dieser Redaktion, warum er die Zahlen der Dehoga für übertrieben hält. „Vor allem in den Großstädten ist die Gastronomie wieder in einem guten Zustand“, sagt er. Die Besuchszahlen seien hoch und das bei deutlich gestiegenen Preisen. „Obwohl die Mehrwertsteuer gesunken ist, haben die Wirte die Preise stärker erhöht als die Inflationsrate. Ich glaube deshalb nicht an eine große Pleitewelle. Die Margen sind bei vielen ausreichend groß, da ist Spielraum da“, so Heinemann.

Der Wissenschaftler weist auch darauf hin, dass der Staat die Mehrwertsteuer für die Gastronomie auch deshalb gesenkt hat, weil sie mit hohen Energiekosten zu kämpfen hatte. „Dieser Grund ist jetzt teilweise entfallen. Die Preise für Strom und Gas sind wieder gesunken. Das hat in der Gastronomie für weitere Entlastung gesorgt“, sagt Heinemann.

„Kulturgut“ Kneipe als Steuerargument

Und was ist mit dem Kneipensterben auf dem Dorf, wird sich dies nicht noch verschärfen, wenn die Steuersubvention wegfällt? „Ich glaube, dass es dafür andere Gründe gibt. Das Kneipensterben hat nicht aufgehört, als die Mehrwertsteuer gesenkt wurde“, widerspricht Heinemann.

ZEW-Steuerexperte Friedrich Heinemann. © ZEW

Gehören Restaurants nicht zum Kulturgut und müssen deshalb bewahrt werden? „Steuersubventionen müssen mit substanziellen inhaltlichen Argumenten begründet werden, für die es noch dazu überzeugende empirische Belege gibt“, zitiert er aus der Studie. Beide Argumente sind demnach für das „Kultur-Argument“ der Gastronomie „nicht einmal ansatzweise erfüllt“.

Keine Nachteile im internationalen Wettbewerb

Die Studie sieht auch deshalb keine Rechtfertigung für eine dauerhafte Subventionierung, weil die Post-Pandemie-Zeit auch anderen Branchen einen Strukturwandel zumutet, diese aber keine staatliche Förderung erhalten.

Zwar würde die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten den ermäßigten Steuersatz anwenden, es gebe da aber keinen Nachteil im internationalen Wettbewerb, weil gastronomische Dienstleistungen ja ortsgebunden seien.

Von der gesenkten Mehrwertsteuer haben die wohlhabenden und kinderlosen Haushalte überproportional profitiert, ärmere Haushalte gehen dagegen seltener ins Restaurant
Friedrich Heinemann ZEW-Steuerexperte

Wenn aber im nächsten Jahr die Preise in der Gastronomie wieder steigen, können sich ärmere Haushalte den Restaurantbesuch vielleicht nicht mehr leisten. Dieses Argument dreht Heinemann um. „Von der gesenkten Mehrwertsteuer haben die wohlhabenden und kinderlosen Haushalte überproportional profitiert, ärmere Haushalte gehen dagegen seltener ins Restaurant“, sagt Heinemann mit Bezug auf entsprechende Statistiken.

Wer den ärmeren Haushalten helfen will, kann nach seiner Vorstellung das Bürgergeld oder die Kindergrundsicherung erhöhen. „Das wäre zielgenauer und keine Subvention zugunsten der Reicheren“, sagt Heinemann.

Ermäßigungen für Lieferdiensten?

Das ZEW unterstützt in seiner Studie auch die gesetzliche Ungleichbehandlung der Restaurants mit Lebensmitteln und Lieferdiensten, für die der ermäßigte Steuersatz gilt. „Umgekehrt zu den Restaurantbesuchen ist der Anteil von Lebensmitteln im Warenkorb ärmerer Haushalte vergleichsweise hoch“, heißt es.

Die Ermäßigung von Lieferdiensten sei damit begründet, dass diese keine umfangreiche Dienstleistung bereitstellten. „Für ein Restaurant brauchen sie einen schönen Raum, eine größere Küche und mehr Personal“, sagt Heinemann. Dennoch räumt auch er ein, dass die Abgrenzung schwammig sei. „Fragwürdige Anwendungen des ermäßigten Steuersatzes sollte aber nicht dadurch begegnet werden, diese noch auszuweiten“, so die Studie.

Ausnahme für Schulen möglich

Eine Ausnahme von der Regel schlägt das ZEW aber gleichwohl vor. „Stichhaltig sind die Argumente für einen ermäßigten Steuersatz hingegen möglicherweise für die gastronomische Versorgung von Schulen und Kindergärten.“ Und warum? Das ZEW nennt da „verteilungspolitische Argumente“ wie etwa die „zielgenauere Begünstigung ärmerer Haushalte“ und der „Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft“.

Das Institut tritt dann aber auch wieder auf die Bremse: „Darüber hinaus sollte eine weitere Aushöhlung der Umsatzsteuer vermieden werden und bestehende Ausnahmen zurückgefahren werden. Warum? „Ausnahmen vom Normalsatz erhöhen Abgrenzungsprobleme, Verwaltungsaufwand, Wettbewerbsverzerrungen und die mit der Besteuerung verbundenen Wohlfahrtseinbußen.“

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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