Finanzen

Mediziner bangen um ihre Altersvorsorge

Berufsständische Versorgungswerke investierten womöglich zu riskant. Was Betroffene jetzt wissen müssen

Von 
Dominik Bath
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Ärzte, Anwälte und andere freie Berufe zahlen Beiträge für ihre Altersvorsorge an berufsständische Versorgungswerke. Doch um hohe Renditen zu erwirtschaften, wird oft ein höheres Risiko in Kauf genommen. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Das Wichtigste in Kürze

  • Mediziner bangen um Altersvorsorge, da Versorgungswerke riskant investierten.
  • Berliner Zahnärzte erlitten hohe Verluste; Versorgungswerke deutschlandweit betroffen.
  • Reformen und strengere Kontrollen werden gefordert, um zukünftige Skandale zu vermeiden.

Berlin. Am Berliner Nollendorfplatz im Westen der Hauptstadt hat der Kieferchirurg Thomas Schieritz seine Praxis. Schieritz und seine Kollegen bieten dort verschiedene kiefer- und zahnchirurgische Behandlungen an. Was genau, lässt sich auf der Internetseite des Mediziners nachlesen. Schieritz schreibt dort, dass sich durch „Präzision und Vertrauen Herausforderungen meistern, Sorgen nehmen und Beschwerden lindern“ ließen. Worte, die auch zu dem Zweitjob passen, den er übernommen hat.

Dabei geht es um das Versorgungswerk der Zahnärzte Berlin (VZB), das sich um die Altersvorsorge der Zahnmediziner aus der Hauptstadt, aus Brandenburg und aus Bremen kümmert. Schieritz ist beim VZB seit diesem Frühjahr Vorsitzender des Verwaltungsausschusses und damit künftig auch dafür zuständig, die Beiträge der versicherten Mediziner möglichst rentabel anzulegen. Doch jetzt muss Schieritz erstmal aufräumen. Denn das VZB ist in finanzielle Schieflage geraten.

Die Mediziner aus der Hauptstadtregion sind kein Einzelfall

Von hohen dreistelligen Millionenverlusten ist die Rede. Und Zahnärzte in den betroffenen Bundesländern – etwa 10.000 Mitglieder hat das Versorgungswerk – fragen sich, was das nun für ihre Altersvorsorge heißt. In WhatsApp-Gruppen der Ärzte jedenfalls ist die Aufregung groß.

Die Mediziner aus der Hauptstadtregion und der Hansestadt sind dabei kein Einzelfall unter den 91 berufsständischen Versorgungswerken in Deutschland: Die Bayerische Versorgungskammer, die sich unter anderem um die Altersvorsorge für im Freistaat tätige Anwälte, Architekten und Apotheker kümmert, verspekulierte sich, ebenso das Versorgungswerk der Ärzte in Hessen und das der Zahnärzte in Niedersachsen. Die Liste ließe sich weiterführen.

Gründe liegen vor allem in der Niedrigzinsphase

Die Gründe dafür liegen vor allem in der Niedrigzinsphase. Viele Werke hatten die Beiträge ihrer Versicherten vor allem in festverzinsliche Wertpapiere wie Staatsanleihen angelegt. Doch zwischen 2008 und 2022, als die Renditen der als vergleichsweise sicher geltenden Kapitalanlagen deutlich sanken, ließ sich damit kaum noch Geld verdienen. Die Werke wandten sich deshalb anderen, riskanteren Anlagen zu, um geplante Renditen noch erwirtschaften zu können. Nur: Höhere Renditen gehen eben auch mit höheren Risiken einher.

Hinzu kommt, dass die Versorgungswerke Mitglieder haben, die die durchschnittliche Lebenserwartung oft übertreffen. In einem System, das anders als die gesetzliche Rente ohne Steuerzuschüsse auskommen muss, erhöht das zusätzlich den Druck. Deutschlandweit zahlen Ärzte, Anwälte, Steuerberater und Architekten in diese Versorgungswerke für ihr späteres Altersauskommen ein – als Ersatz für die gesetzliche Rente. Die Mitgliedschaft ist nicht freiwillig. In Summe verwalten die Versorgungswerke in etwa Anlagen in Höhe von 300 Milliarden Euro.

Wie sich die Zahnärzte in Berlin verspekulierten

In Berlin investierten die Zahnärzte zum Beispiel in Hotels, in Start-ups wie das Insur-Tech Element oder in die Immobilienfirma Liquidhome. Gut 2,2 Milliarden Euro waren die Investments Ende 2023 noch wert. Derzeit überprüfen externe Fachleute das gesamte VZB-Portfolio und bewerten es neu. Klar ist, dass mehrere Firmen, an denen die VZB beteiligt ist, inzwischen insolvent sind. In einem Fall wurden gar 180 Millionen Euro in ein einziges Projekt investiert, aus dem „nun kaum mehr Rückflüsse“ zu erwarten sind, erklärte Verwaltungsausschuss-Chef Thomas Schieritz gegenüber dieser Redaktion.

Dabei gibt es eigentlich Vorgaben, die Verwaltungswerke davor schützen sollen, unvernünftige Investitionsentscheidungen zu treffen. Deutschlandweit bestehen zwar Unterschiede, weil die Versorgungswerke landesrechtlich organisiert sind. Aber üblicherweise würde eine solche Einrichtung 95 Prozent in Fonds aus Aktien oder festverzinsliche Papiere und vielleicht 5 Prozent in andere Werte anlegen. In Berlin bei den Zahnärzten sei dagegen laut Thomas Schieritz „massiv verstoßen“ worden. Die frühere Anlagepraxis „war nicht geeignet, sichere Renten zu garantieren, und verfehlte damit völlig den fundamentalen Zweck eines Versorgungswerks“, so der heutige Vorsitzende des VZB-Verwaltungsausschusses.

Versorgungswerke sind schwer durchschaubar, weil jedes Werk eigene Satzungen, Verwaltungsausschüsse und Aufsichtsbehörden hat. Dadurch wird eine wirksame Kontrolle erschwert. © picture alliance/dpa/CLARK

Aufsichtsbehörden – in diesem Fall zwei Senatsverwaltungen des Landes Berlin – unterbanden einzelne Investments aber offenbar nicht. „Solange die Quoten eingehalten und die Rücklagen gebildet werden, gibt es keine Grundlage für ein Einschreiten der Versicherungsaufsicht“, hieß es auf Anfrage dieser Redaktion von der Wirtschaftsverwaltung.

Der Rentenberater Andreas Irion sieht in den Versorgungswerken eine Art „Blackbox“. Sie seien schwer durchschaubar, weil jedes Werk eigene Satzungen, Verwaltungsausschüsse und Aufsichtsbehörden habe. Dadurch werde eine wirksame Kontrolle erschwert. „Die Kombination aus Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren macht eine echte Aufsicht fast unmöglich“, sagte Irion dieser Redaktion. „Fehlen an der einen Stelle der Kalkulation Mittel, heißt es schnell, das werde durch das andere System ausgeglichen.“

Auch aus der Politik gibt es erste Stimmen, die Reformen bei den Versorgungswerken fordern. „Damit sich Skandale wie beim Versorgungswerk der Zahnärzte Berlin nicht wiederholen, brauchen wir bundesweite Mindestregeln und eine echte Aufsicht: Wir fordern staatliche Kontrollinstanzen statt Kammer-Selbstverwaltungen, harte Quoten für illiquide und riskante Anlagen, verpflichtende Stresstests und vollständige Portfolio-Transparenz“, sagte die rentenpolitische Sprecherin der Linken im Deutschen Bundestag, Sarah Vollath, dieser Redaktion.

Wenn ein Versorgungswerk in finanzielle Schwierigkeiten gerät, rät Rentenberater Andreas Irion den Mitgliedern, ruhig zu bleiben. „Ein Großteil des Vermögens der Versorgungswerke ist für künftige Rentnerinnen und Rentner angelegt“, erklärte Irion. „Durch Änderungen bei der sogenannten Abzinsung lassen sich Verluste in den Bilanzen zum Teil ausgleichen.“ Diese Anpassungen träfen jedoch nicht nur aktuelle Rentner, sondern auch die kommenden Generationen, die später mit niedrigeren Anfangsrenten rechnen müssten.

Weil Erträge schwanden, mussten viele Versorgungswerke ohnehin bereits reagieren – geringere Rentenerhöhungen waren die Folge. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen etwa erhöhte die Renten zuletzt lediglich um 1,37 Prozent, während die gesetzlichen Renten zum 1. Juli 2025 um 3,74 Prozent stiegen.

Der monatliche Pflichtbeitrag in den Versorgungswerken kann bis zu 1529,50 Euro betragen. Wer möchte, kann darüber hinaus freiwillige Beiträge einzahlen, um später eine höhere Rente zu erhalten. Rentenberater Andreas Irion rät in der aktuellen Situation jedoch davon ab. „Im Moment können vermutlich die meisten Versorgungswerke bei der Rendite nicht mit anderen Anlageformen mithalten“, sagte Irion. Statt zusätzliche Beiträge einzuzahlen, sollten Versicherte ihr Geld lieber anders investieren – etwa in einen ETF-Sparplan.

Grundsätzlich hält Irion die Versorgungswerke aber für handlungsfähig und solide aufgestellt. Ein Vorteil sei, dass sie auch in etwas riskantere Anlagen investieren dürfen. „Da gehören Jahre mit Abschreibungen eben manchmal dazu“, erklärte er.

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