Die russische Aggression in der Ukraine könnte die Energiewende in Deutschland erst einmal bremsen, sagt Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.
Herr Wambach, die Sanktionen gegen Russland greifen, haben aber auch Folgen für die deutsche Wirtschaft. Wie schwer sind sie?
Achim Wambach: Im Moment sind sie überschaubar, weil die Energieversorgung aus den Sanktionen ausgeklammert wurde. Für Unternehmen, die mit Russland handeln, wird es schwierig, weil der Finanzsektor so stark eingeschränkt ist. Die russische Zentralbank kommt nicht mehr an Devisen. Das heißt, russische Firmen und Haushalte können nur sehr eingeschränkt in Euro oder Dollar bezahlen. Solange Gas und Öl weiter kommt, ist das volkswirtschaftlich für uns nicht dramatisch: Nur gut zwei Prozent der deutschen Exporte gehen nach Russland. Die Frage ist, wie es weitergeht und wie Putin reagiert.
Welche Risiken sehen Sie?
Wambach: Eine Sorge sind verstärkte Cyberattacken aus Russland. Darauf müssen sich westliche Unternehmen einstellen. Offen ist, ob es wegen der Unsicherheit auch zu einem Konjunktureinbruch in Deutschland kommen wird. Wenn die Firmen nicht wissen, wie sich die Situation entwickelt, halten sie möglicherweise Investitionen zurück.
Wie wahrscheinlich ist es, dass der Energiehandel gestoppt wird? Kanada zum Beispiel kauft kein Öl mehr aus Russland.
Wambach: Im Moment ist das Signal der westlichen Welt, dass man den Energiehandel aus den Sanktionen weiter raushalten will. Wirtschaftlich ist das nachvollziehbar: Wir sind da einfach sehr abhängig. Gas macht in Deutschland 27 Prozent des Primärenergiebedarfs aus - und gut die Hälfte davon kommt aus Russland. Im Ölbereich ist Russland ebenfalls einer der großen Akteure. Auch für die Amerikaner ist das Thema wichtig: Präsident Biden hat klar gesagt, er möchte nicht, dass die Schmerzen an der Zapfsäule zu groß werden.
Wie sieht es auf der russischen Seite aus?
Wambach: Die starke Abhängigkeit ist beidseitig: 60 Prozent der russischen Exporte sind Öl und Gas, das ist ihr großes Devisengeschäft. Damit finanzieren sie letztlich auch den Krieg. Rein ökonomisch kann man sich also auch auf dieser Seite eine weitere Eskalation nur schwer vorstellen. Trotzdem bleibt die Sorge vor einem Versorgungsengpass im Westen.
In Deutschland wird der Kohleausstieg in Frage gestellt. Bremst der Krieg die Energiewende?
Wambach: Die Energiewende baut sehr stark auf Gas als Zwischenlösung - wobei Zwischenlösung heißt, für die nächsten 30 Jahre. Wenn die Versorgung aus Russland nicht gesichert ist, wird diese Rechnung nicht aufgehen. Darauf muss man strategisch reagieren. Eine Konsequenz ist, dass der Kohleausstieg 2030 kaum zu halten sein wird. Ein weiterer Schritt ist, sich beim Gas unabhängiger von Russland zu machen. Für Flüssiggas gibt es viele Lieferanten, unter anderem die Amerikaner. Kurzfristig ist auch da der Handel nicht einfach ausweitbar, aber mittelfristig ist das eine Option.
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher ächzen jetzt schon unter steigenden Energiekosten. Muss die Ampel-Koalition bei ihrem Entlastungspaket nachbessern?
Wambach: Das wird so sein, wenn die Preise weiter ansteigen. Das bereits vereinbarte Zehn-Punkte-Programm weist den Weg: die EEG-Umlage fällt weg, die Pendlerpauschale steigt und es gibt Zuschläge, zum Beispiel für Familien, die Hartz IV bekommen. Das ist wichtig: Es gibt Haushalte, da sind die Heizkosten ein großer Teil des Budgets. Sie sind sehr verletzlich bei steigenden Energiepreisen.
Ökonom und Physiker
- Achim Wambach steht seit 2016 an der Spitze des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
- Er ist unter anderem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums.
- Wambach promovierte in Physik an der Universität Oxford, später folgte eine Habilitation in Volkswirtschaftslehre.
- Der gebürtige Kölner lehrte VWL an der Uni Erlangen-Nürnberg, bevor er später als Direktor das Institut für Wirtschaftspolitik (iwp) in Köln leitete.
Auch die Kosten für Sicherheit steigen: Die Bundesregierung will 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr über ein Sondervermögen finanzieren. Das heißt: neue Schulden, am regulären Haushalt vorbei. Wie finden Sie das?
Wambach: Zunächst: An einem Anstieg der Ausgaben für Verteidigung wird die Bundesregierung nicht vorbeikommen. Das Instrument des Sondervermögens mit einer Absicherung in Grundgesetz kann dazu dienen, diesen Anstieg konform mit der Schuldenbremse zu machen. Das wäre dann ein einmaliges Aufweichen in diesem Jahr, um das Sondervermögen zu finanzieren, das dann über die Jahre die Ausgaben finanziert.
Die Verteidigungsausgaben sollen aber auch dauerhaft steigen: auf jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Wambach: Wenn wir das als Daueraufgabe betrachten, legitimiert das kein Sondervermögen. Regelmäßige Verteidigungsausgaben müssen aus dem ordentlichen Haushalt geführt werden. Dort muss man dann entsprechend verschieben: Ein höherer Wehretat heißt, es muss woanders gespart werden.
Christian Lindner bleibt dabei, dass die Schuldenbremse 2023 wieder greift und die Steuern nicht erhöht werden. Ist das zu voreilig?
Wambach: Am vergangenen Wochenende sind Mauern eingerissen worden, von denen man es bisher nicht gedacht hätte. Die Verteidigungsausgaben sind ja nur das eine, das andere ist der Energiebereich. Wenn wir uns unabhängiger machen wollen von Russland, wenn wir Terminals für Flüssigerdgas bauen wollen, werden eine ganze Menge Kosten auf uns zu kommen. Da tun jetzt alle gut daran, das zunächst sauber auszuarbeiten und dann zu schauen, wie dies finanziert werden kann.
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