ZEW-Studie - ZEW-Wissenschaftler untersuchen Wirkung von Maßnahmen wie höheren Mindestlohn und Kindergrundsicherung

Mannheimer Wissenschaftler untersuchen: Wer profitiert vom Koalitionsvertrag?

Von 
Walter Serif
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Beim Mindestlohn hat sich SPD-Kanzler Olaf Scholz durchgesetzt. Die Erhöhung auf zwölf Euro pro Stunde kommt den Geringverdienern zugute. © dpa

Mannheim. Im Wahlkampf ist FDP-Chef Christian Lindner noch in großen Spendierhosen aufgetreten und wollte vor allem die Besserverdienenden beglücken. Als Finanzminister in der Ampelkoalition kann der Liberale keine Geschenke mehr verteilen. Der Grund: Es fehlt das notwendige Geld im Haushalt. Und weil der FDP-Chef Steuererhöhungen an anderer Stelle genauso ablehnt wie eine Finanzierung auf Pump, ist der Spielraum der Regierung klein. Denn auch SPD und Grüne können ihre Pläne nur teilweise umsetzen. Beide Parteien hatten eine Umverteilung von oben nach unten als Maxime ausgegeben. Die kleinen Einkommen sollten entlastet, die großen belastet werden.

Armutsrisiko sinkt

Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat jetzt im Auftrag der „Süddeutschen Zeitung“ berechnet, wie sich die im Koalitionsvertrag enthaltenen Maßnahmen auf die Einkommen auswirken. Die geplante Erhöhung des Mindestlohns und die Einführung einer Kindergrundsicherung kommen vor allem Geringverdienern zugute. „Die Haushalte mit einem Jahreseinkommen unter 20 000 Euro brutto profitieren am stärksten von der Politik der Ampelkoalition“, sagt ZEW-Experte Sebastian Siegloch.

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Nach seinen Berechnungen wird die Erhöhung des Mindestlohns von 9,60 auf zwölf Euro pro Stunde für diese Einkommensgruppe rund 700 Euro im Jahr zusätzlich einbringen - das wäre eine Steigerung von fünf bis sechs Prozent. Dagegen sorgt die Kindergrundsicherung nicht nur bei Geringverdienern für ein Plus. Familien mit Einkünften zwischen 30 000 und 80 000 Euro können 1000 bis 1300 Euro erwarten, wenn sich Grünen-Fachministerin Anne Spiegel mit dem Modell ihrer Partei durchsetzt.

Die Kindergrundsicherung soll die Einzelleistungen Kindergeld, Sozialgeld und Kinderzuschlag zusammenfassen. Der angedachte Basisbetrag, den alle Familien unabhängig vom Einkommen erhalten würden, soll dabei das jetzige Kindergeld übersteigen. „Der Clou ist, dass diese neue Kindergrundsicherung automatisch gezahlt wird, das ist bisher nur beim Kindergeld der Fall, Kinderzuschlag oder Sozialgeld werden dagegen nur auf Antrag ausgezahlt. Viele Familien, die bisher einen Anspruch hatten, haben die Leistungen nicht abgerufen. Sie werden jetzt aus dem Armutsrisiko herausfallen“, so ZEW-Forscher Siegloch.

Die ungleiche Einkommensverteilung wird nach der ZEW-Analyse durch den höheren Mindestlohn und die Kindergrundsicherung verringert. Aber: „Es wird darauf ankommen, wie die Koalition auf eine mögliche Streichung des Solidaritätszuschlags reagiert“, gibt Siegloch zu bedenken. Im nächsten Jahr will das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob der Zuschlag auch für Topverdiener wegfallen muss. „Fällt der Soli ersatzlos weg, würden sehr hohe Einkommen stärker entlastet als die Mittelschicht. Das wäre aus verteilungspolitischer Sicht nicht sinnvoll“, erklärt Siegloch.

Was wird aus dem Soli?

Haushalte mit über 250 000 Euro pro Jahr erhielten mit 3,2 Prozent einen ähnlichen Zuwachs wie Einkommen zwischen 20 001 und 55 000 Euro. Für die breite Mittelschicht (55 001 bis 80 000 Euro) fiele der relative Einkommenszuwachs der Studie zufolge jedoch geringer aus. „Anstatt die oberen zehn Prozent überstark zu entlasten, ließe sich der bisherige Solidaritätszuschlag auch in die Einkommensteuer integrieren, ohne Verteilung oder Steueraufkommen anzutasten“, schlägt Siegloch eine Alternative vor.

Wie sich die Sozialpolitik der Ampel auf den Staatshaushalt auswirkt, ist den ZEW-Berechnungen zufolge vorwiegend von der Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung und dem ersatzlosen Streichen des Solidaritätszuschlags abhängig. „Wir haben für unserer Analyse drei im Wahlkampf diskutierte Kindergrundsicherungsmodelle simuliert, denen die geplante Ampel-Arbeitsgruppe folgen könnte“, erklärt ZEW-Ökonom. Holger Stichnoth, der an der Studie mitwirkte.

Die Kindergrundsicherung der Grünen würde die Ampel-Regierung 9,6 Milliarden Euro kosten. Das SPD-Modell brächte dem Staat hingegen Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro, das FDP-Kinderchancengeld würde sogar zu einem Überschuss von 7,1 Milliarden Euro führen. „Der Überschuss resultiert vor allem aus zusätzlichen Einnahmen durch Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag. Außerdem steigt das Beitragsvolumen der Sozialversicherung, wenn die Regierung den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht“, erklärt Mitautor Florian Buhlmann. Ein ersatzloses Streichen des Solidaritätszuschlags würde den Bund acht Milliarden Euro kosten.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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