Rentenbesteuerung

Mannheimer Steuerberater Heinrich Braun verklagt Olaf Scholz

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Walter Serif
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Mannheim. Der juristische Streit um die Doppelbesteuerung von Renten geht in die nächste Runde. Der Mannheimer Steuerberater Heinrich Braun hat den früheren Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verklagt. Die mündliche Verhandlung im Prozess gegen die „Bundesrepublik Deutschland“ beginnt am 14. März vor dem Verwaltungsgericht Berlin. „Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz“, bestätigt das Finanzministerium und zeigt sich per Mail „hinsichtlich des Ausgangs des Verfahrens zuversichtlich“. Der Kanzler selbst wird bei dem Prozess nicht persönlich anwesend sein.

Um was geht es genau? Braun will per Gericht die Veröffentlichung einer Verfügung erzwingen, die - das geht aus einem Schreiben des Finanzamts Miesbach an einen seiner Mandanten hervor - „nur für den Dienstgebrauch bestimmt und nicht zur Vorlage geeignet ist“. Nach Brauns Darstellung ist eine Absprache getroffen worden, wie Einsprüche der Rentner verhindert werden können, um später keine Rückzahlungen leisten zu müssen.

Skandal oder noch „akzeptabel“?

Aktuell enthalten die Steuerbescheide von Rentnern einen Vorläufigkeitsvermerk mit einem „wichtiger Hinweis“. Darin heißt es: „Sollte nach einer künftigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesfinanzhofs dieser Steuerbescheid Ihrer Auffassung nach hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten und anderer Leistungen aus der Basisversorgung ( . . .) zu Ihren Gunsten zu ändern sein, benötige ich weitere Unterlagen von Ihnen“. Und: „Von Amts wegen kann ich Ihren Steuerbescheid nicht ändern, weil mir nicht alle erforderlichen Informationen vorliegen.“

Beamter bringt Stein ins Rollen

  • Beamte zahlen keine Beiträge für ihre Altersversorgung ein, müssen aber die vom Staat finanzierte Pension voll versteuern. Arbeitnehmer oder Selbstständige mussten ihre Rentenbeiträge bis 2004 voll versteuern. Ihre Rente blieb bis auf einen kleinen Teil steuerfrei. Ein Beamter fand das ungerecht und klagte vor dem Bundesfassungsgericht. Es erklärte 2002 die unterschiedliche Besteuerung für verfassungswidrig.
  • Die Politik reagierte mit einem Systemwechsel, der 2005 einsetzte. Die vorgelagerte Besteuerung der Beiträge sollte schrittweise bis 2040 durch eine nachgelagerte Besteue-rung der Renten ersetzt werden.
  • Das Bundesverfassungsgericht stellte aber klar: Es darf für die Rentner keine Doppelbesteuerung geben, das heißt, der Anteil des Rentenein-kommens, der aus versteuerten Ren-tenbeiträgen stammt, darf nicht erneut versteuert werden.
  • Auf den ersten Blick setzte die Politik dies mit dem Alterseinkünftegesetz um: 2005 durften die Arbeitnehmer 60 Prozent ihrer Rentenbeiträge als Sonderausgaben von der Steuer abziehen, dagegen wurde nur die Hälfte der Rente besteuert. Ab 2025 sollen die Rentenbeiträge voll abzugsfähig sein.
  • Alle Bundesregierungen seit 2005 haben bestritten, dass es das Problem der Doppelbesteuerung gibt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dies im Mai 2021 relativiert: Die bisherige Praxis würde in Zukunft zur Doppelbesteuerung führen, deshalb müsse die Berechnungsweise der Rentenbe-steuerung geändert werden.
  • Außerdem hat der BFH festgelegt, wie ausgerechnet werden soll, ob eine Doppelbesteuerung vorliegt. Er hat sich für das Nominalverfahren entschieden. Das heißt, die Summe der besteuerten Rentenbeiträge darf nicht höher sein als die Summe der zu erwartenden steuerfreien Rentenbe- züge. Nachteil: Weder Zinsen noch Inflation fließen in die Berechnung ein, auch die Lebenserwartung muss geschätzt werden.

Das ist seltsam. Normalerweise ändern die Finanzbehörden von sich aus die Steuerbescheide, wenn die Gerichte über die in einem Vorläufigkeitsvermerk anhängigen Verfahren entscheiden. Doch bei der Doppelbesteuerung soll der Rentner selbst tätig werden und irgendwelche Unterlagen beschaffen, er (oder sein Steuerberater) kann aber nicht schon jetzt mit dem Sammeln beginnen, denn das Finanzamt weigert sich ja zu sagen, welche Unterlagen es noch braucht. „Das ist ein Skandal. Eine derartige Praxis ist mir in meiner Berufslaufbahn noch nicht untergekommen“, kritisiert Braun. Er habe von einigen Ämtern wissen wollen, was konkret in den Unterlagen stehen solle. „Die Antwort lautete: Das ist streng geheim. Das ist doch kafkaesk“, regt sich Braun auf. Er will den vollständigen Wortlaut der Verfügung haben. „Es kann doch kein geheimes Steuerrecht geben.“

Rechtsexperte sieht Spielraum

Der Kölner Rechtswissenschaftler Markus Ogorek stuft die Formulierung der Finanzbehörden auch als „sehr ungewöhnlich und aufgrund ihrer Unbestimmtheit unglücklich“ ein. Er hält die Passage aber „noch für akzeptabel“, weil die Finanzverwaltung gar nicht wisse, wie zum Beispiel das Verfassungsgericht bei der Doppelbesteuerung entscheiden würde. Ob die Klage „Erfolg verspricht, hängt maßgeblich davon ab, ob das interne Papier tatsächlich als Verschlusssache eingestuft werden durfte“, sagt Ogorek. Nach seiner Auffassung hat die Finanzverwaltung einen eher großen Spielraum. Sie müsse aber die Bürger über nachzureichende Steuerunterlagen informieren, falls die Gerichte in ihrem Sinne entscheiden würden.

Braun hegt den Verdacht, dass die Behörden die Sache verschleppen wollen - bis alle Bescheide korrigiert würden, könnte der eine oder andere Rentner das Zeitliche segnen. Außerdem strömt nach seinen Angaben seit Jahren eine Flut von Einsprüchen auf die Finanzämter ein. „Jeder Rentner musste sich selbst wehren, die Behörden wiederum verlangten von den Rentnern das Unmögliche, nämlich die Doppelbesteuerung selbst zu berechnen.“

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Mai 2021 entschieden, dass die Berechnungsweise der Rentenbesteuerung geändert werden müsse, um zu verhindern, dass der Anteil der Rente, der aus versteuerten Rentenbeiträgen stammt, erneut versteuert wird. Eine Doppelbesteuerung, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2002 entschieden, dürfe es nicht geben.

Der Mannheimer Steuerberater Heinrich Braun geht oft vor Gericht. © Braun

„Es geht nicht um Peanuts. Ich schätze, dass eine gerechte Besteuerung der Renten den Staat rund 20 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde“, sagt Braun. Das Problem: Seine Behauptung, dass bereits aktive Rentner doppelt besteuert werden, hat der BFH in seinem vorläufigen Eilverfahren nicht bestätigt. Braun wirft ihm deshalb „schwerste Fehler“ vor: „Die derzeit noch vom BFH angestrebte Rechenmethode führt nicht nur zur Inflationsbesteuerung, sondern im Falle eines frühen Rentnertodes zur Besteuerung von verlorenem Kapital.“

Aber es gibt ja auch noch die Richter in Karlsruhe. Dort sind Verfahren gegen zwei Rentner anhängig, die Braun schon bei seinen Klagen vor dem BFH im Hintergrund beraten hatte. Allerdings kann es bis zu einem Spruch nach Auskunft der Pressestelle sogar Jahre dauern.

Mehrere Verfahren anhängig

Braun hat außerdem noch einige Musterverfahren vor den Finanzgerichten, seit Montag auch einen Kläger aus Chemnitz, der sich vor dem Finanzgericht Leipzig gegen den Vorläufigkeitsvermerk wehrt.

Braun schätzt, dass gegenwärtig ein Durchschnittsrentner zwischen 2020 und 2040 pro Jahr etwa 1100 Euro zu viel Steuern bezahlt. Er hat mit dem Saarbrücker Mathematiker Klaus Schindler eine Formel entwickelt, mit der sich die Doppelbesteuerung nach seinen Worten exakt berechnen lässt.

Seit 2005 wird die Abzugsfähigkeit der Rentenbeiträge schrittweise erhöht . Die Beiträge sollen ab 2025 voll abzugsfähig sein, die Ruheständler müssten im Gegenzug ihre Rente ab 2040 voll versteuern. Die Abzugsfähigkeit der Rentenbeiträge wurde - so Braun - „systemwidrig“ den Sonderausgaben zugeordnet, anstatt diese sofort und unbegrenzt als Werbungskosten abziehen zu lassen. Der steuerfreie Anteil, der den Rentnern gewährt werde, sei deshalb viel zu klein, um die schon versteuerten Beiträge freizustellen.

Ampel will nachbessern

Offensichtlich haben auch in der Ampel-Koalition die Experten nachgerechnet. Die Regierung plant, dass die Rentenbeiträge schon 2023 voll abzugsfähig sein sollen. Außerdem soll der steuerpflichtige Rentenanteil ab 2023 nur noch um einen halben Prozentpunkt pro Jahr steigen. Eine Vollbesteuerung der Altersbezüge würde dann statt 2040 erst ab 2058 eintreten. „Diese Korrekturen würden die Doppelbesteuerung der Rentner geringfügig mildern“, sagt Braun ein. Das gelte aber nur für die künftigen Rentnerjahrgänge ab 2023, nicht aber für Bürger, die schon in Rente sind.

Braun gibt aber zu bedenken: „Das Vorziehen des Vollabzugs von Rentenbeiträgen von 2025 auf 2023 hat nur minimale Vorteile, da dann die Arbeitnehmerbeiträge schon nahezu steuerfrei sind.“ Dass die Vollbesteuerung der Renten langsamer steigen soll, habe größere Effekte: „Im Vergleich zur aktuellen Regelung sinkt die Doppelbesteuerung vor allem für Rentnerjahrgänge ab 2040. Rentnerjahrgänge vor 2045, die 30 Jahre oder mehr Beiträge gezahlt haben, erfahren auch bei der geplanten Neuregelung eine teilweise massive Doppelbesteuerung.“ Und: „Interessanterweise wäre bei Rentnerjahrgängen ab 2040 vermehrt eine Unterbesteuerung festzustellen, die umso größer würde, je kleiner die Beitragsleistung ist.“

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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