Interview

Mannheimer Ökonom warnt Olaf Scholz vor Tricks

Der Bundeskanzler schließt nicht aus, dass die Ampel auch im nächsten Jahr die Schuldenbremse aussetzt. Warum Hans Peter Grüner von der Universiät Mannheim das für eine schlechte Idee hält

Von 
Walter Serif
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Die Landwirte setzen ihren Protest gegen die Sparmaßnahmen der Ampel fort. Doch die will keine weitere Zugeständnisse machen, weil sie das Haushaltsloch sonst woanders stopfen müsste. © Thomas Frey/dpa/Anna Logue

Mannheim. Herr Grüner, sind die Proteste der Bauern berechtigt?

Hans Peter Grüner: Ich bin Ökonom, und rede nur ungern darüber, ob mir eine politische Maßnahme gerecht erscheint oder nicht. Eine Verteilungsproblematik kann man so oder so sehen.

Die Regierung ist bei der Kfz-Steuer ja schon eingeknickt und hat den Wegfall der Agrarsubventionen jetzt auf drei Jahre gestreckt. Kann man da nicht die Frage stellen, ob die Bauern mit ihren Demonstrationen nicht völlig übertreiben?

Grüner: Auch das ist Ansichtssache. Aber klar ist: Man muss beim Protest nicht unbedingt auf dem Traktor sitzen, sondern kann auch wie andere Demonstranten zu Fuß gehen.

Und eine Ampel, die am Galgen hängt?

Grüner: Das entspricht nicht meinem Sinn für Ästhetik. Rechtlich wird es gerade geklärt.

Man muss den Protest der Bauern ja auch vor dem Hintergrund sehen, dass keine andere Branche so am Subventionstropf hängt wie die Landwirtschaft.

Grüner: Mir fällt da neuerdings auch die Chipindustrie ein. Wir müssen aber auch im Blick behalten, dass manche dieser Staatshilfen das Ergebnis einer EU-Agrarreform sind, nach der die Subventionen sich weniger an der Menge und mehr an der Fläche orientieren. Das ist effizienter und war deshalb eine Verbesserung. Mich treibt aber etwas anderes um, wenn ich an die bisherige Subvention des Agrardiesels denke.

Hans Peter Grüner

  • Hans Peter Grüner (Jahrgang 1966) wurde in Marburg geboren.
  • Er studierte an der Universität Heidelberg Wirtschaftswissenschaften und Mathematik. Der Ökonom hat in Mannheim den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik inne.
  • Er beriet bei der Klage gegen den Nachtragshaushalt vor dem Bundesverfassungsgericht die Prozessbevollmächtigten der Unionsfraktion

Was denn?

Grüner: Idealerweise sollte es in einer Volkswirtschaft für ein Produkt wie zum Beispiel Diesel gleiche Preise für alle geben. Und zwar deshalb, weil so sichergestellt ist, dass die Güter dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Wenn ich unterschiedliche Dieselpreise für Bauern, Beamte und Rentner habe, gelingt genau das eben nicht. Vor diesem Hintergrund finde ich die Abschaffung einer solchen Dieselpreissubvention unter reinen Effizienzgesichtspunkten richtig.

Mangelt es bei den Sparplänen nicht generell an Stringenz? Diesel und Benzin werden ja weiter unterschiedlich besteuert.

Grüner: Das ist eine andere Baustelle, und die hat nicht nur mit den Landwirten zu tun. Aber auch da halte ich eine Angleichung der Besteuerung für geboten, auch weil bei Diesel der CO2-Ausstoß aktuell weniger kostet als beim Benzin.

Man müsste den Subventionsdschungel also durchforsten?

Grüner: Ja. Die Ampel hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezwungenermaßen damit begonnen, weil ihr, so der Finanzminister, für den Haushaltsplan 2024 rund 17 Milliarden Euro fehlten. Sie löst jetzt an der einen oder anderen Stelle das Subventionswirrwarr auf. Das ist erfreulich.

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Ist es nicht eher so, dass in der Ampel jeder seine eigene Klientel verschonen will? Die Liberalen haben zum Beispiel dafür gesorgt, dass das Dienstwagenprivileg unangetastet bleibt.

Grüner: Ob das ein Privileg ist, darüber streiten ja die Steuerexperten. Aber es ist natürlich richtig, dass die Koalition aus drei ganz verschiedenen Parteien besteht, die sich jeweils anderen Gruppen verbunden fühlen. Wohl deshalb hat es so lange bis zur Einigung in der Ampel gedauert, obwohl das notwendige Einsparvolumen gar nicht besonders hoch war. Allerdings frage ich mich schon, wie die Koalition jetzt die Lücke schließen will, die entstanden ist, weil man bei den Landwirten einen Teil der Entscheidung wieder zurücknimmt.

Auch bei der CO2-Steuer geht die Ampel nur den halben Weg. Sie erhöht diese endlich, wie es die meisten Ökonomen verlangen. Sie will den Bürgerinnen und Bürgern aber nicht wie versprochen einen Teil der Einnahmen in Form eines Klimageldes zurückgeben, weil sie dafür keine Mittel hat.

Grüner: Erst einmal ist wichtig, dass die Koalition mit der Erhöhung des CO2-Preises dessen Lenkungswirkung verstärkt. Die Entscheidung, ob man die Einnahmen über ein Klimageld umverteilt oder sie in den Klima- und Transformationsfonds fließen lässt, kann man dann so oder so treffen.

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Aber?

Grüner: Ich sehe den Klima- und Transformationsfonds in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung sehr kritisch, weil es sich da um ein Sammelsurium von Fördermaßnahmen handelt, die auch verteilungspolitisch teilweise äußerst fragwürdig sind.

Jetzt äußern Sie sich ja doch zu verteilungspolitischen Fragen.

Grüner: Nun, es ist schon unsystematisch, wenn der Staat einerseits über das Steuersystem umverteilt und andererseits Technologien fördert, die eher den wohlhabenderen Haushalten zugutekommen, wie zum Beispiel bislang die Wallbox für das E-Auto.

Es protestieren nicht nur die Bauern, auch andere Gruppen beteiligen sich, die bisher Ruhe gegeben haben, wie Fischer, Handwerker, Spediteure und Gastronomen. Braut sich da etwas im Super-Wahljahr zusammen?

Grüner: Natürlich gibt es Leute, die ein Interesse daran haben, dass sich da in ähnlicher Weise wie in Frankreich etwas zusammenbraut und sich alle, die an irgendeiner Stelle mit der Politik unzufrieden sind, gemeinsam mit den Landwirten Luft machen. Wie weit das dann aber wirklich geht, darüber will ich jetzt nicht spekulieren.

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Finden Sie es vor diesem Hintergrund richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich weigert, alle Sparmaßnahmen zurückzunehmen, wie es einige seiner SPD-Parteifreunde gerne hätten?

Grüner: Wenn er das machen würde, würde seine Glaubwürdigkeit leiden, und die Ampel müsste woanders das Geld auftreiben. Es war vielleicht etwas ungeschickt, sich bei der Suche nach Einsparmöglichkeiten auf einzelne Gruppen wie die Landwirte zu konzentrieren. Die Ampel hätte andere Maßnahmen ergreifen können, die eine breitere Wirkung gehabt hätten.

Welche meinen Sie da?

Grüner: Das Entwirren des Klima- und Transformationsfonds habe ich ja schon genannt. Aber vorstellbar wären natürlich auch Steuererhöhungen. Dass die FDP diese kategorisch ausgeschlossen hat, beengt den Spielraum.

Die FDP hat ja genauso kategorisch an der Schuldenbremse für den Haushalt 2024 festgehalten.

Grüner: An der Begrenzung der Verschuldung festzuhalten, ist keine politische Entscheidung, das steht ja so im Grundgesetz. Die politische Frage, die sich aktuell stellt, ist doch, wie viel Risiko will die Ampel eingehen, indem sie noch einmal die Ausnahmeklausel des Grundgesetzartikels 115 zieht. Da hat die FDP inzwischen eine sehr vorsichtige Haltung eingenommen. Sie war zuvor beim Nachtragshaushalt 2021, den Karlsruhe kassiert hat, noch mit an Bord. Ich kann diese neue Vorsicht jedenfalls sehr nachvollziehen.

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Da sind Sie ja im Thema drin. Sie haben die Prozessbevollmächtigten der Unionsfraktion bei der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht beraten. Glauben Sie vor diesem Hintergrund wirklich, dass es unmöglich wäre, eine Notlage zu erklären, um die Schuldenbremse 2024 auszusetzen? Die Ahrtal-Flut und der Ukraine-Krieg verschlingen ja noch immer Unsummen.

Grüner: Das sind zwei unterschiedliche Themen, die man unterschiedlich bewerten muss.

Fangen wir beim Ahrtal an.

Grüner: Artikel 115 spricht von „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Die erhebliche Beeinträchtigung der Finanzlage sehe ich bei der Ahrtal-Flut im Jahr 2024 nicht. Ich halte die Formulierung im Grundgesetz übrigens für sehr vernünftig, sonst könnte die Regierung ja immer wieder die recht häufigen Extremwetterereignisse zum Anlass nehmen, sich eine Zusatzverschuldung zu genehmigen.

Aber die Folgen des Klimawandels werden sich doch verschärfen.

Grüner: Vorsicht! Der Klimawandel ist eine Entwicklung, die uns sehr lange und auch mit irreversiblen Schäden verfolgen kann. Der Umgang mit den daraus resultierenden Kosten ist dann Daueraufgabe. Große und dauerhafte Finanzierungslücken können sie nicht mit Krediten durchfinanzieren. Das ist nicht solide, dann müssen sie den Haushalt strukturell anpassen.

Und die Ukraine?

Grüner: Das Thema wird uns 2024 auf jeden Fall auch beim Haushalt weiter sehr beschäftigen. Der Kanzler hat schon angekündigt, dass er gegebenenfalls die Notlageklausel ziehen will, falls die USA die Ukraine weniger stark unterstützen wollen. Auch da muss man sich die Frage stellen: Ist die deutsche Hilfe für die Ukraine nicht auch eine Art Daueraufgabe? Putin ist ja sehr hartnäckig. Man muss sich die Begründung der Notlage dann also gegebenenfalls genau anschauen. Ist das etwas, das überraschend kommt, oder hätte der Staat nicht vorsorgen müssen? Und: Ist das kurz- oder langfristig?

Ist das jetzt schon eine juristische Einschätzung, mit der die Unionsfraktion bei einer nächsten Klage arbeiten könnte?

Grüner: Ich bin Ökonom. Als Ökonom sage ich: Wenn ein überraschendes und großes Problem auftaucht, gibt es einen guten Grund, sich erst einmal zu verschulden. Sonst müsste der Staat im selben Jahr Ausgabenkürzungen vornehmen, vielleicht sogar mit einer Haushaltssperre arbeiten oder in einer Krise Steuern erhöhen. Ein zweiter guter Grund für eine höhere Verschuldung bei einem überraschenden Problem ist: In der Krise kann man es gar nicht gebrauchen, dass eine Koalition dann erst einmal lange darüber verhandeln muss, wie das alles bezahlt werden kann. Das kommt dann zur Unzeit. Ein perfektes Beispiel für eine solche gut begründete Ausnahmeverschuldung sind viele der Ausgaben des Staates während der Corona-Krise.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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