Mannheim. An diesem Freitag will Alstom die lange angekündigte Übernahme der Zugsparte von Bombardier unter Dach und Fach bringen. Damit geht auch der Mannheimer Bombardier-Standort mit rund 900 Mitarbeitern an den französischen Konzern über.
Aus Sicht des Managements müssen die Beschäftigten von Bombardier keinen größeren Stellenabbau fürchten. „Unsere Bücher sind prall voll mit Aufträgen, wir brauchen unsere deutschen Ingenieure und Fabriken, um die abzuarbeiten. Die nächsten zwei bis drei Jahre geht es allein darum“, hat Danny Di Perna, Präsident der Bombardier-Zugsparte, vor Kurzem der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gesagt. „Nach heutigem Kenntnisstand braucht es auf absehbare Zeit kein Restrukturierungsprogramm. Aber selbstverständlich optimieren wir die Organisation fortlaufend.“
Was bedeutet „optimieren“? Arbeitnehmervertreter sehen die Übernahme mit Sorge - sowohl bei Bombardier als auch bei Alstom. Schließlich gibt es in den Geschäftsfeldern beider Unternehmen zahlreiche Überschneidungen, bei Elektrotriebzügen etwa. Auch könnte ein weiterer Sparkurs drohen. Schon länger sind mögliche Einschnitte bei Mitarbeitern von Bombardier im Gespräch, unter anderem sollen sie Einbußen beim Urlaubsgeld hinnehmen. Derzeit ruhen die Gespräche zwar. Doch unter Alstom könnten sie wieder aufgenommen werden. „Wir erwarten jetzt, dass die Sicherung von Jobs und Standorten Priorität hat. Dazu muss ordentlich mit der Belegschaft kommuniziert werden“, erklärt Janna Köke von der Mannheimer IG Metall. Ein Bombardier-Sprecher hebt hervor, der Konzern habe Mitarbeiter „regelmäßig und zeitnah mit den relevanten Informationen“ versorgt.
Postkarten nach Berlin
Anfang März 2020 hatten sich rund 200 Bombardier-Mitarbeiter am Werkstor in Mannheim-Käfertal zu einer Kundgebung versammelt. Die Botschaft von IG Metall und Betriebsräten: Keinesfalls dürfe die Übernahme zulasten der Standorte in Deutschland gehen. Bundesweit unterschrieben Mitarbeiter Postkarten mit dem Aufdruck „Ich will, dass mein Arbeitsplatz und die Bahnindustrie insgesamt in Deutschland erhalten bleiben.“ Empfänger: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Auch Rüdiger Grube, Aufsichtsratsvorsitzender von Bombardier Transportation und ehemaliger Chef der Deutschen Bahn, hat sich zuletzt in Zuversicht geübt: „Alstom kann und wird nicht die Power der deutschen Standorte ignorieren.“
Alstom und Bombardier sind in Deutschland mit mehr als 9000 Beschäftigten an mehreren Niederlassungen vertreten (siehe Grafik), größter deutscher Produktionsstandort von Alstom ist Salzgitter. Bombardier - der kanadische Konzern stellt neben Schienenfahrzeugen auch Flugzeuge her - hat seine Bahnsparte in den vergangenen Jahren kräftig umgebaut. Einzelne Standorte sind spezialisierter. In Mannheim wurden Einheiten der Stromrichter-Fabrik nach Spanien verlagert, um die Gesamtkosten zu senken. Gleichzeitig investierte Bombardier rund eine Millionen Euro in ein Labor, in dem Elektroniksysteme entwickelt werden.
Große Bahnhersteller in Europa bemühen sich schon länger um ein Zusammengehen, um dem starken chinesischen Rivalen CRRC Paroli zu bieten. Der Wunsch: ein „europäischer Champion“. Der Deal zwischen Alstom und Bombardier ist insofern brisant, als beide Unternehmen zu den Weltmarktführern im Schienenfahrzeugbau gehören. Alstom war 2019 wegen Bedenken der EU-Wettbewerbshüter daran gescheitert, mit der Zugsparte von Siemens zu fusionieren. Der Wettbewerb würde eingeschränkt, hieß es. Die Zugeständnisse der damaligen Partner hätten nicht ausgereicht.
Schriftzug verschwindet bald
Schließlich machten Alstom und Bombardier so umfassende Angebote an die Brüsseler Wettbewerbshüter, dass diese Ja sagten. Alstom rechnet mit einem Kaufpreis von bis zu 5,3 Milliarden Euro. Der Schriftzug „Bombardier“ am Mannheimer Werk soll nach Informationen dieser Redaktion in den kommenden Wochen durch „Alstom“ ersetzt werden.
Der französische Konzern ist in Mannheim schon recht bekannt: Ein paar Hundert Meter von Bombardier entfernt hat die Energiesparte von Alstom lange einen Standort unterhalten - und ihn über die Jahre stark geschrumpft. Nach der Übernahme durch General Electric wurde die Turbinenfabrik 2017 geschlossen.
Thomas Merz: Tatsächlich wissen wir nur, dass das Datum steht und eine Unterschrift zum Eigentumsübergang geleistet wird. Bombardier kommuniziert ungenügend, sowohl mit uns Arbeitnehmervertretern als auch mit der Belegschaft. Daraus entsteht schon eine gewisse Spannung. Für einzelne Standorte gibt es noch kein Leitbild, das folgt erst in den kommenden Monaten. Mannheim, hauptsächlich Forschungs- und Entwicklungsstandort, ist bisher ganz klar der Innovationstreiber innerhalb von Bombardier gewesen. Wir hoffen, dass Alstom das wertschätzt. Neben all den technologischen Stärken Mannheims sind uns natürlich die strukturellen Probleme von Bombardier bewusst.
Welche Probleme meinen Sie?
Merz: Schwache Bilanzkennzahlen, keine gute Personalpolitik in den vergangenen Jahren - und einen schlechten Ruf am Markt durch Lieferverzögerungen. Hoffentlich ist das Alstom-Management fachlichen Argumenten mehr zugänglich als das bisher bei Bombardier der Fall gewesen ist. Übrigens verwehren wir uns dagegen, dass ausgerechnet Bombardier-Präsident Danny Di Perna und Aufsichtsratsvorsitzender Rüdiger Grube den Beschäftigten nun Mut machen wollen. Schließlich sind die beiden für das Chaos mitverantwortlich.
Wie sieht die Perspektive der Branche aus?
Merz: Der Markt bietet alle Chancen. Um die Mobilität der Zukunft anzugehen, wird es weiterhin Investitionen in die Schiene brauchen. Wichtig ist es jetzt, die strukturellen Probleme bei Bombardier anzugehen. Wir wollen endlich aus dieser Krise herauskommen und federführend unsere Märkte bedienen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-mannheimer-bombardier-standort-gehoert-ab-freitag-zu-alstom-_arid,1750362.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/firmen_firma,-_firmaid,5.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html