Rhein-Neckar. Die Industrie erlebt einen Aufschwung. Das zeigen die jüngsten Konjunkturumfragen der Industrie- und Handelskammern (IHK) der Region. Doch was in erster Linie positiv klingt, bringt etliche Betriebe ins Straucheln. Denn: Die starke internationale Nachfrage sorgt für Lieferengpässe und steigende Preise von Vorprodukten. Und ein Gebiet ist derzeit besonders betroffen: die Metropolregion Rhein-Neckar. „Hier berichten 33 Prozent der Industriebetriebe von unterbrochenen Lieferketten“, sagt Ökonom Jannis Bischof von der Universität Mannheim. Dies übersteige den bundesweiten Durchschnitt um fast die Hälfte.
Bischof, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensrechnung, leitet die Corona-Befragungen des German Business Panel (GBP), an denen rund 14 000 Unternehmen aus ganz Deutschland regelmäßig teilnehmen. Diese zeigen: Lieferengpässe beeinflussen vor allem den industriellen Maschinenbau. Und hier sei Baden-Württemberg nun mal führendes Zentrum, so Bischof. „Auch in der hiesigen Chemieindustrie sind die Probleme derzeit stark ausgeprägt“, sagt er. Denn auch diese Branche sei besonders abhängig, von internationalen Lieferketten. Die IHK Rhein-Neckar beobachtet die Engpässe bereits seit Ende vergangenen Jahres. Die Situation verschärfe sich jedoch seit dem Frühjahr. „Es fehlen weiterhin Computerchips, aber auch Kunststoffe, Stahl, Kupfer und Holz“, so Hauptgeschäftsführer Axel Nitschke.
Digitalisierung als Auslöser
Das bestätigt auch der Mannheimer Automationsspezialist Pepperl+Fuchs. Das Unternehmen beklagt Lieferprobleme bei elektrischen und elektronischen Bauelementen – vor allem bei Halbleitern. Pepperl+Fuchs ist auf Sensoren für die Industrie sowie Explosionsschutz spezialisiert. Da dies einen hohen Anteil zertifizierter Produkte voraussetze, verfüge der Automationsspezialist bei vielen Zuliefer-Komponenten über keine zweite qualifizierte Lieferquelle, so Vorstandsvorsitzender Gunther Kegel. „Wenn diese Bestände aufgebraucht sind, werden wir vollständig auf die Bereitschaft unserer Zulieferer angewiesen sein“, gibt er zu Bedenken.
Wirtschaftsexperte Bischof nennt für die Engpässe in der Industrie zwei grundlegende Ursachen: Zum einen seien aufgrund Corona-bedingter Lockdowns – vor allem in Asien – ganze Produktionen lahmgelegt worden. Zum anderen habe in ein Strukturwandel stattgefunden. „Viele Unternehmen investieren extrem in Digitalisierung“, erklärt er. „Dadurch ist die Nachfrage nach Halbleitern explodiert.“
Die Folgen des Chipmangels sind wie etwa bei Pepperl+Fuchs Auftragsbestände, die sich immer weiter aufstauen – bis hin zu Kurzarbeit. Von aktuellen Einzelfällen in der Region berichten sowohl die IHK Rhein-Neckar als auch die IHK Darmstadt-Rhein-Main-Neckar. Peter Kühnl von der Kammer in Darmstadt betont jedoch: „Kurzarbeit ist kein flächendeckendes Problem in der Industrie. Die meisten Betriebe können mit den Lieferengpässen gut umgehen.“ Entweder würden Kunden vertröstet oder – wenn es die Verträge hergeben – die höheren Preise auf sie umgewälzt, so Kühnl. Er hält die Verzögerungen für eine vorübergehende Sorge.
Auch der Mannheimer Kunststoffhersteller Röchling ist optimistisch, da man der Meinung ist, in der Vergangenheit den richtigen Kontakt mit Zulieferern gepflegt zu haben. „Ich glaube, in der aktuellen Situation werden die Bedürfnisse jener Industrie zuerst gestillt, wo die Preise und der allgemeine Umgang für die Lieferanten in Ordnung sind“, sagte Röchling-Chef Hans-Peter Knaebel bei der Vorstellung der Bilanz vergangene Woche. In der Prognose für die kommenden Monate gehen die Meinungen auseinander. Anders als die IHK Darmstadt geht Bischof davon aus, dass die Nachfrage nach Elektronikchips auch nach der Corona-Krise hoch bleiben wird. „Bis die Wirtschaft wieder im Gleichgewicht ist, wird es noch eine Weile dauern“, sagt er. Und auch Pepperl+Fuchs rechnet noch bis zum Jahresende mit anhaltenden Lieferengpässen.
Chance für Wiederverwertung
Steffen Blaga von der IHK Pfalz hofft deshalb auf einen allgemeinen Umschwung in der Industrie: „Die Wertschöpfungsketten sind mittlerweile unheimlich eng verzahnt“, sagt er. „Fehlt an einer Stelle Material, dann verzögert sich alles.“ Nun könnten sich einige Firmen Gedanken machen, wie abhängig sie von internationalen Zulieferern oder Rohstoffen sein wollen. „Es ist eine Chance, Unternehmen dazu zu bewegen, mehr Geld in die Wiederverwertung von Materialien zu investieren“, so Blaga. Industrieunternehmen, die wegen der aktuellen Lieferprobleme Kurzarbeit anmelden oder ihre Produktion stoppen mussten, sind ihm in der Pfalz nicht bekannt.
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