Mannheim. Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ist eine gewaltige Aufgabe, die natürlich auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird. Während es gegenwärtig „nur“ noch rund 25 000 Beschäftigte in der Kohleindustrie gibt, sieht das in der Automobilbranche völlig anders aus. Dort hängt jeder zweite der mehr als 600 000 Arbeitsplätze am Verbrennungsmotor. Wie viele davon beim Umstieg auf E-Mobilität in Gefahr sind, lässt sich nur schwer abschätzen. Zieht man die Menschen ab, die bis 2030 in Ruhestand gehen, müssen nach Berechnungen des ifo-Instituts rund 100 000 Arbeitnehmer um ihre Jobs fürchten. Auf Deutschland hochgerechnet, wäre das vielleicht verkraftbar, zumal in allen Branchen gegenwärtig Leute fehlen. Doch die Arbeitsplätze, die durch die Transformation verloren gehen werden, sind ja nicht gleichmäßig auf das Bundesgebiet verteilt.
Vor diesem Hintergrund ist eine Studie höchst interessant, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg erarbeitet haben. Obwohl der Untersuchungszeitraum – von 1990 bis 2010 – recht lange zurückliegt und nur die alten Bundesländer berücksichtigt, dürften die Schlussfolgerungen, die die Forscher ziehen, aktueller denn je sein.
Der Strukturwandel von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft hat schon in der Vergangenheit zu einem Abbau der Beschäftigung in routineintensiven Industrieberufen geführt. Es gibt aber offensichtlich regionale Unterschiede. Wie diese sich auf die individuellen Erwerbsverläufe auswirken und welche Rolle Entlassungen und berufliche Mobilität spielen – diese Fragen beantwortet die Studie.
„Massiver Stellenabbau“
Zunächst lässt sich im Untersuchungszeitraum insgesamt eine Verschiebung der Berufsstruktur weg von routine-manuellen Fertigungsberufen hin zu analytischen und interaktiven Dienstleistungsberufen feststellen. Dieser Wandel betrifft jedoch nicht alle Regionen in gleichem Maße. Vor allem urbane Industriezentren wie zum Beispiel das Ruhrgebiet waren von einem – wie es heißt – „massiven Stellenabbau“ betroffen, der „kaum durch Jobwachstum in anderen Bereichen“ ausgeglichen wurde. Andererseits profitierten „besonders boomende, ländliche Gegenden, zum Beispiel in Süddeutschland“, von einem Jobwachstum sowohl in Industrie- als auch Dienstleistungsberufen.
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Staat soll gegensteuern
„Wir konnten zeigen, dass sich diese regionalen Unterschiede nur dann auf die Erwerbsverläufe von Personen aus manuellen Fertigungsberufen auswirken, wenn sie aufgrund einer Betriebsschließung oder Massenentlassung ihren Job verlieren und dadurch gezwungen sind, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen“, erklärt ZEW-Wissenschaftlerin Melanie Arntz. Denn der allgemeine Abbau manueller Fertigungsjobs vollzieht sich weniger durch Entlassungen als durch reduzierte (Neu-)Einstellungen. „Wer aber dennoch von einem Jobverlust betroffen ist, hat in strukturschwachen Regionen ein deutlich höheres Risiko, langzeitarbeitslos zu werden. Dies gilt insbesondere für ältere oder geringer qualifizierte Personen, die typischerweise weniger flexibel und mobil sind“, sagt Arntz.
Außerdem kommt es nach ihren Angaben auch langfristig zu Lohneinbußen, da zuvor hohe Löhne in der Industrie erzielt wurden, die nach dem Wiedereinstieg nicht wieder realisiert werden. Dies gelte vor allem beim Wechsel des Berufsfelds.
Wie bei jedem Strukturwandel ist auch die Transformation der Wirtschaft – weg von der Kohle und dem Verbrennungsmotor – Chance und Risiko zugleich. Die Studie zeigt, so die Wissenschaftlerin, dass die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht notwendigerweise mit individuellen Erwerbsrisiken einhergehen müssen, falls die Beschäftigten gezielt auf einen etwaigen Stellenabbau vorbereitet werden. Dazu bedarf es nach Ansicht der Forscherin „ein Bündel an Maßnahmen“, um auf die Herausforderungen des Strukturwandels zu reagieren.
Neben Umschulungen zur Förderung der beruflichen Flexibilität nennt Arntz zeitlich begrenzte, staatliche Beihilfen bei Lohneinbußen nach einem Berufswechsel. Auch Mobilitätsprämien könnten helfen, einer steigenden Langzeitarbeitslosigkeit in strukturschwachen Regionen entgegenzuwirken. „Es braucht daher einen Ansatz, der die regionalen Arbeitsmarktbedingungen bei betriebsbedingten Kündigungen berücksichtigt und wenig flexible, vulnerable Gruppen gesondert in den Blick nimmt“, fordert die ZEW-Wissenschaftlerin.
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