Im Labor der Sinne

Von 
Caroline Blarr
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Immer der Nase nach: Auch der Handel setzt auf Duft-Marketing.

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In seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" schildert Marcel Proust, wie der Protagonist Swann von Melancholie übermannt wird, als er ein in Lindenblütentee getunktes Gebäckstück kostet. Kaum zergeht es auf seiner Zunge, überströmt den Erzähler ein unerhörtes Glücksgefühl: "Mit einem Mal war die Erinnerung da." Vor seinem geistigen Auge steigen Stadt und Gärten von Combray auf, die Bilder seiner Kindheit durchströmen ihn. Dieses Phänomen fasst die Wissenschaft unter dem Begriff "Proust-Effekt" zusammen. Auch Friedrich Schiller soll sich einen fauligen Apfel auf sein Schreibpult gestellt haben, wenn ihm die Muße abhanden kam. Gerüche wurden immer als Quelle der Inspiration, was übersetzt nichts anderes als "einatmen" bedeutet, genutzt.

"Die Nase ist das einzige Sinnesorgan, das seine Impulse unmittelbar und unzensiert in das sogenannte limbische System leitet. In diesem Teil des Gehirns werden, unbewusst, alle unsere Emotionen, Instinkte und Triebe aktiviert", sagt Gert Gutjahr. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Mannheimer Instituts für Marktpsychologie (IFM), das 1949 gegründet wurde.

Längst haben große Unternehmen das Geheimnis für sich entdeckt und setzen Düfte ein, um ihre Produkte zu vermarkten. Das Hotel Four Points in den USA empfängt seine Gäste mit dem Duft von frisch gebackenem Apfelkuchen, und die Kunden der Singapore Airlines werden von einem eigens kreierten Duft empfangen, den weiße Handtücher und das Parfüm der Flugbegleiterinnen verbreiten. "So schaffen sich Marken einen unverwechselbaren Wiedererkennungswert, ein sogenanntes Corporate Branding", sagt Gutjahr.

Gutjahr sitzt an einem massiven Schreibtisch. Vor ihm stehen kleine, braune Glasflacons mit Geruchsessenzen. Ein Stockwerk darunter befindet sich das Teststudio des Instituts, unter anderem mit Beobachtungsräumen. Eine ziemlich sterile Umgebung für ein Labor, das die Sinne erforscht.

Beim Thema Duft-Marketing gibt es Gutjahr zufolge große kulturelle Unterschiede. "In den USA soll ein Waschmittel nach Vanille und Moschus riechen oder nach Apfel und Zimt. In Deutschland dagegen wird nur mit einem als frisch empfundenen Duft Sauberkeit assoziiert. Die Japaner wiederum wünschen sich süßliche Düfte", erklärt der Wissenschaftler.

Doch nicht nur große Marken nutzen den Verführungseffekt. Duft-Marketing hat sich zu einem Trend im Einzelhandel entwickelt. Schokolade soll den Buchabsatz befördern, mit Lavendel wollen Einrichtungshäuser mehr Möbel verkaufen. "Zu unseren Kunden gehören zum Beispiel ein Optiker-Geschäft in Mannheim und eine Privat-Klinik, die ihren Wartesaal beduftet, um den Patienten Angst oder Unwohlsein zu nehmen", berichtet Gutjahr.

Doch es gibt kein Geheim-Rezept. "Duft-Marketing funktioniert nur, wenn der Duft zur Marke und den Kunden passt. Ein Gourmet-Restaurant verlangt selbstverständlich eine andere Anwendung als ein Sportartikel-Hersteller oder ein Drogeriemarkt", betont Gutjahr. Das amerikanische Modeunternehmen "Hollister" etwa lockt seine Zielgruppe mit einem blumigen Duft, aus den Lautsprechern dudelt ein Mix aus Indie-Klängen und Surfer-Pop. Die Inszenierung ist klar: Wer hier kauft, taucht in den lässig-freiheitsliebenden "Beach-Lifestyle Südkaliforniens" ein.

"Die positive Markenwirkung von Aromen ist immer von der emotionalen Bewertung der Zielgruppe abhängig. Unsere Untersuchungsmethoden, die die intuitive Wahrnehmung der Probanden ermittelt, können nur Hinweise liefern. Ob der Umsatz dadurch tatsächlich gesteigert wird, lässt sich nicht vorhersagen", schränkt Gutjahr ein.

Kunden lassen sich aber durchaus gerne mal bereitwillig vom Duft-rausch hinters Licht führen. Ein neuer Trend sind beduftete Produktverpackungen. Kaugummis etwa sind meist aromadicht verpackt. Im Test zeigte sich, dass ein künstlich auf der Verpackung aufgebrachter Pfefferminzduft die Spontankaufrate nachweislich steigerte. "Düfte eignen sich gut, um eine Dienstleistung oder ein Produkt zu markieren. Sie können die Wahrnehmung von Marken nachhaltig prägen", fasst Gutjahr zusammen. Doch welcher Duft nun der richtige ist, kann seine Forschung nicht vorhersagen. Dafür braucht es dann immer noch den richtigen Riecher.

Institut für Marktpsychologie

Das IFM Mannheim wurde 1949 nach eigenen Angaben als erstes Institut für psychologische Marktforschung in Deutschland in Verbindung mit der damaligen Wirtschaftshochschule, heute Universität Mannheim, gegründet.

Das Institut betreibt Grundlagenforschung für neue wissenschaftliche Felder, wie Neuroökonomie und Psychologie der Marke. Mit der Hochschule Pforzheim besteht eine Zusammenarbeit in der Kaufverhaltensforschung, etwa im Bereich nachhaltiger Konsum.

Die Beratung des Instituts bietet Unternehmen Unterstützung bei der Entwicklung von Werbestrategien und der Gestaltung von Marketingmaßnahmen an. cab

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