Frankfurt. Die EZB hat mit der größten Zinserhöhung der EZB-Geschichte auf die extrem hohe Inflation in der Eurozone reagiert. Die Notenbank hebt die Leitzinsen im Euroraum um 0,75 Prozentpunkte an – trotz Sorgen vor einem Absturz der Wirtschaft in eine Rezession. Der Euro ist am Donnerstag allerdings trotz der deutlichen Zinserhöhung unter Druck geraten. Die europäische Gemeinschaftswährung wurde am Nachmittag mit 0,9964 US-Dollar gehandelt. Vor der Notenbankentscheidung hatte er noch über der Marke von einem Dollar notiert.
Üblicherweise profitiert eine Währung von steigenden Zinsen, da sie so für Anleger attraktiver wird. Allerdings hatten Analysten den Schritt erwartet. So hatte der Euro bereits zuvor zugelegt.
„Besser spät als nie“
Nach langem Zögern hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung am 21. Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Für die September-Sitzung hatte die Notenbank seinerzeit eine weitere Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte in Aussicht gestellt.
Doch weil die Teuerungsrate zuletzt weiter anzog, nahm der Druck auf die Euro-Währungshüter zu, einen größeren Schritt zu beschließen. Höhere Zinsen können steigenden Teuerungsraten entgegenwirken, sie sind aber zugleich Ballast für die ohnehin schwächelnde Wirtschaft.
„Die EZB hat mittlerweile Angst, dass ihr die Felle davonschwimmen und sie in ein jahrelanges Inflationsproblem hineinläuft“, kommentierte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Sein Kollege von der DZ Bank, Michael Holstein, findet, die kräftigte Zinserhöhung komme zu spät, denn die Euro-Wirtschaft befinde sich bereits auf dem Weg in die Rezession– „doch ein längeres Warten wäre noch teurer als ein beherztes Gegensteuern in wirtschaftlich unsicheren Zeiten“.
Ifo-Präsident Clemens Fuest kommentierte: „Besser spät als nie.“ Dennoch bleibe die Geldpolitik sehr expansiv. „In den nächsten Monaten werden weitere Zinserhöhungen folgen müssen.“ Die Zinsen seien nach wie vor sehr niedrig. In der Tat stellte EZB-Präsidentin Christine Lagarde weitere Erhöhungen in Aussicht. Eine Anhebung von 0,75 Punkten sei aber nicht die Norm, sie wollte aber weitere große Zinsschritte nicht ausschließen. Sie wiederholte die Formulierung, dass die EZB von Sitzung zu Sitzung entscheide und sich dabei von den Daten leiten lasse.
Die Verbände von Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen in Deutschland begrüßten die historische Zinserhöhung. Die Entscheidungen seien allerdings „nur eine Etappe auf dem Weg zu einem angemessenen Zinsniveau“, befand der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Helmut Schleweis. „Weitere Zinsanhebungen müssen folgen, damit die Menschen der EZB und ihrem Versprechen stabiler Preise auch weiter glauben können.“
Ein Ende der Preissteigerungen im Euroraum ist derzeit nicht in Sicht: Im August kletterte die Inflation im Währungsraum der 19 Länder getrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen auf die Rekordhöhe von 9,1 Prozent. Die EZB rechnet für das Gesamtjahr 2022 inzwischen mit 8,1 Prozent Inflation. Auch im kommenden Jahr wird die Teuerungsrate nach Einschätzung der Notenbank im Jahresschnitt mit 5,5 Prozent deutlich über der Zielmarke der EZB verharren.
Die Notenbank strebt für den gemeinsamen Währungsraum mittelfristig ein stabiles Preisniveau bei einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent an. Getrieben wird die Inflation seit Monaten vor allem von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nochmals kräftig anzogen.
Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und leitete deutlich später als viele andere Zentralbanken die Zinswende ein. Die US-Notenbank Fed beispielsweise hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach nach oben geschraubt, dabei zweimal um jeweils 0,75 Prozentpunkte. Lagarde räumte ein, dass die EZB bei ihren Einschätzungen Fehler gemacht habe.
Für immer mehr Menschen werde die hohe Inflation zu einer enormen Belastung, hatte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel jüngst gesagt und eine „kräftige Zinsanhebung“ im September angemahnt. Die Geldpolitik müsse die hohe Teuerung entschlossen bekämpfen, hatte Nagel betont.
Ultralockere Geldpolitik
Zugleich gibt es unter Währungshütern Sorge, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur zu bremsen, die ohnehin mit Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf dem Energiemarkt zu schaffen hat. Die Sorge vor einem Absturz der Wirtschaft in eine Rezession ist groß.
Mit monetären Mitteln ließen sich „weder Energiereserven herzaubern, noch Energiepreise senken, noch die Dauer der Energiekrise verkürzen“, gab Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank, trotz seiner grundsätzlichen Zustimmung zum EZB-Kursschwenk zu bedenken.
Kritisch sieht der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen, die EZB-Entscheidungen: „Lieferengpässe, Russlands Angriffskrieg und enorme Überschussgewinne aufseiten der Unternehmen lassen sich nicht durch die Zinspolitik der EZB auflösen.“ Allerdings traut die EZB der Wirtschaft im Euroraum im Gesamtjahr 2022 inzwischen etwas mehr Wachstum zu als noch im Juni angenommen: Die Vorhersage geht nun von 3,1 Prozent Plus aus, im Juni hatte die Notenbank für 2022 noch 2,8 Prozent Wachstum erwartet. dpa
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