Ob Medizintechnik oder IT – Hochqualifizierte sind in vielen Branchen gesucht. Um sie zu gewinnen, müssen Firmen aber mehr bieten als ein dickes Gehalt, sagt Alexander Heise, Vorstandsmitglied beim Personaldienstleister Hays in Mannheim.
Herr Heise, die Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften ist zuletzt deutlich gestiegen. Wer ist besonders gefragt?
Heise: Wir sehen in vielen Berufsgruppen eine Nachfrage-Spitze: bei Ingenieuren, Finanzexpertinnen, Rechtsanwälten. Aber auch im Produktionsbereich, der in der Pandemie zunächst zurückging, suchen Firmen wieder mehr Personal, gerade in der Region. Eine Sonderkonjunktur gibt es in der Medizintechnik und Pharmabranche: Spezialisten im Bereich Diagnose, Testing oder Wirkstoffentwicklung sind stark gefragt. Und die IT ist ein gigantischer Boom-Markt. In Deutschland hatten wir einen Digitalisierungsstau, der sich durch die Pandemie ein Stück weit aufgelöst hat: Firmen waren gezwungen, zu investieren, zum Beispiel, um Teams digital zu vernetzen und mobiles Arbeiten zu ermöglichen. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach Webentwicklern oder Automatisierungsexperten.
Kann der Bedarf überhaupt gedeckt werden?
Heise: Nicht allein mit Fachkräften aus Deutschland. Wir haben deshalb viele Anfragen von Unternehmen, die wissen wollen, wie sie Spezialisten aus dem Ausland stärker für sich nutzen und über die Distanz an ihre Firma anbinden können. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass dieses Off-shoring gut funktioniert – zumindest in allen Berufsgruppen, bei denen Telearbeit möglich ist. Das ist definitiv ein Zukunftsthema.
Neu im Vorstand
- Alexander Heise (42) ist seit 1. Juli Mitglied im Vorstand der Hays AG. Zuvor war er 17 Jahre lang in verschiedenen Positionen im Unternehmen tätig.
- Heises Vorstandsposition als „Chief Strategic Client Officer“ wurde neu geschaffen – das Unternehmen will damit sein strategisches Beratungsangebot rund um das Personalmanagement stärken.
- Die Hays AG mit Sitz in Mannheim gehört zur Hays Gruppe, die ihre Zentrale in London hat.
- Als Personalberatung ist Hays auf die Rekrutierung und Vermittlung von hochqualifizierten Fachkräften spezialisiert.
- In Mannheim arbeiten knapp 900 Beschäftigte. Von hier aus wird das Geschäft in Deutschland, Österreich, Schweiz, Dänemark, Schweden und Russland gesteuert .
Wie haben sich die Bewerbungsprozesse durch Corona verändert?
Heise: Vor der Pandemie wurden fast alle Vorstellungsgespräche zwischen unseren Kunden und den Job-Kandidaten persönlich geführt. Das hat sich innerhalb von zwölf Monaten völlig geändert. Viele Firmen haben auf rein digitale Abläufe umgestellt: vom ersten Interview bis zur Entscheidung – ohne die Kandidatinnen und Kandidaten persönlich kennenzulernen. Das war am Anfang eine ganz große Überwindung. Aber die Erfahrung der letzten Monate zeigt: Die Personalentscheidungen werden dadurch nicht schlechter. Und die Prozesse sind deutlich schneller – ich denke, dass viele Firmen auch nach der Pandemie virtuelle Vorstellungsgespräche führen.
Der Wettbewerb um Hochqualifizierte ist groß – wie gewinnt man sie als Firma für sich: mit viel Geld und dickem Geschäftsauto?
Heise: Solche Faktoren waren früher wichtiger. Natürlich müssen bestimmte Mindeststandards beim Gehalt oder bei den Urlaubstagen heute auch stimmen. Aber die Kandidatinnen und Kandidaten legen viel mehr Wert auf die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens: Investiert es in neue Technologien und Produkte? Bewegt es sich in einem Zukunftsmarkt? Bietet es Chancen, um mich weiterzuentwickeln? Auch ein internationales Umfeld ist vielen wichtig. Und Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema.
Inwiefern?
Heise: Wir erleben, dass Kandidaten und Kandidatinnen immer mehr Fragen zu diesem Thema stellen. Das reicht vom ökologischen Fußabdruck eines Unternehmens bis zur Diversität. Danach wurde vor zehn, 15 Jahren kaum gefragt. Auch die Agilität, also wie flexibel eine Firma in ihren Strukturen und Entscheidungsprozessen ist, gewinnt an Bedeutung.
Sie vermitteln auch Führungskräfte, bis hin zur Vorstandsebene. Wie verändert sich deren Rolle?
Heise: Führungskräfte müssen heute viel nahbarer sein als früher. In der Vergangenheit war es vermeintlich probat, eine gewisse Distanziertheit zu haben und im Elfenbeinturm zu sitzen. Heute ist das kein Erfolgsmodell mehr. Führungskräfte müssen auch Schwächen zeigen und über Misserfolge reden können. Das ist auch wichtig, weil die Bindung der Beschäftigten an das Unternehmen durch Home-Office und mobiles Arbeiten sinkt. Führungskräfte müssen neue Formate schaffen, auch um Wertschätzung zu transportieren und regelmäßig den Kontakt zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern suchen. Viele Führungskräfte sind deshalb in den sozialen Medien aktiv, wo sie auch persönliche Geschichten erzählen. Hier verschmelzen externe und interne Kommunikation zunehmend.
Für Vorstände großer Unternehmen soll künftig eine Frauenquote gelten. Bekommen Sie verstärkt gezielte Anfragen nach weiblichen Führungskräften?
Heise: Ja. Das liegt aber weniger an der Quote. In unseren Kunden-Gesprächen merken wir: Immer mehr Unternehmen verstehen, dass sie durch höhere Diversität bessere Entscheidungen treffen. Das kann man an zahlreichen Erfolgsgeschichten aus der Wirtschaft ablesen: Dahinter stehen sehr oft gemischte Teams.
In Ihrer Branche wird immer wieder über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) diskutiert – zum Beispiel bei der Vorauswahl von Kandidatinnen und Kandidaten. Was halten Sie davon?
Heise: Ich glaube nicht, dass KI in unserer Branche Mitarbeiter ersetzen kann. Wir nutzen sie zwar gezielt, um Prozesse bei Kunden zu automatisieren – zum Beispiel die Anlage eines ersten Kandidatenprofils oder die Erfassung bestimmter Daten. Das Bauchgefühl und die persönliche Einschätzung in einem Vorstellungsgespräch kann Künstliche Intelligenz aber noch nicht ersetzen.
Kommen wir auf das Geschäft. Wie ist Hays als Unternehmen durch die Pandemie gekommen?
Heise: Deutlich besser als erwartet. Das liegt sicher auch daran, dass wir auf die Vermittlung von Hochqualifizierten spezialisiert sind. Zwar gingen im Produktionsbereich und in der Zeitarbeit die Neurekrutierungen in der Krise zurück. In den letzten Monaten haben wir aber so viel aufgeholt, dass wir das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht haben.
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