Wirtschaftskriminalität

Hawala-Prozess in Mannheim gestartet - Angeklagter geständig

Von 
Joana Rettig
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Das Landgericht in der Mannheimer Innenstadt. © Michael Ruffler

Mannheim. Die Verlesung der Anklage dauert über eine Stunde. Jede einzelne Transaktion führt Staatsanwalt Manuel Graulich auf – zusammen mit dem Betrag, dem Empfänger und dem Ort des Geschehens. 184 sind es an der Zahl. So oft soll der Angeklagte Mohammed Jamil A. in Form des sogenannten Hawala-Bankings Geld übermittelt haben. Es geht um rund 14 Millionen Euro. „Mein Mandant wird die vielen Zahlen erläutern“, erklärt der Anwalt des 39-jährigen Angeklagten, Ashraf Abouzeid. „Ich sage bewusst erläutern, nicht diskutieren oder darüber streiten. Die Vorgehensweise räumt er ein.“ A. gesteht.

Wegen des mutmaßlichen Betreibens des illegalen Hawala-Bankings steht der Mann aus Karlsruhe seit Dienstag vor der Großen Wirtschaftskammer des Mannheimer Landgerichts. Er soll als einer der Chefs eines Netzwerks Gelder in Höhe von fast 14 Millionen Euro empfangen und weitergeleitet haben. „Rädelsführer“, nennt es Staatsanwalt Graulich. Dafür soll er Provisionen erhalten haben.

Gefängnis, Folter, Flucht
Glaubt man dem Angeklagten, so war er hingegen nur ein kleines Rädchen in einem groß verzweigten Netz – geführt von vor allem zwei Männern. Deren Identität ist noch nicht aufgeklärt. Das System arbeitet mit Alias-Namen. So war der Angeklagte – frei übersetzt – „Der Dunkelhäutige“. Laut A. war der Strippenzieher in Deutschland „Der Türke“. Der Mann, von dem der Angeklagte seine Aufträge bekam, war ein gewisser „Aljud“ – tätig in der Türkei.

Bei dem Hawala-Banking handelt es sich um ein komplexes System, bei dem der Händler Geld von seinen Kunden erhält und Kontakt zu einem weiteren Händler aufnimmt, der dieselbe Geldsumme aus einem gesonderten Geldtopf an den Empfänger gibt. So sind Transaktionen innerhalb von Minuten über die ganze Welt verteilt möglich. Weil damit Geldwäsche, Terror-Finanzierung, Drogen- und Menschenhandel nahezu unentdeckt stattfinden könnten, ist das System in dieser Form in Deutschland verboten.

Nun sieht der Angeklagte aber nicht aus wie ein skrupelloser Geschäftsmann. Er hat müde, aber freundliche Augen. Wirkt verunsichert, einsam. Und wippt nervös mit seinen Füßen. Auf und ab. Verhaspelt sich. Sein Blick wandert oft in den Bereich der Zuschauer. Zu seiner Frau, die den Prozess mitverfolgt. Seit 12. Mai dieses Jahres sitzt er in Untersuchungshaft. Wegen der Corona-Pandemie bekommt er seine Familie nicht zu Gesicht.

A. ist aus Syrien nach Deutschland geflohen. Er ist gelernter Schneider, arbeitete aber zusammen mit seinem Bruder in dem Lebensmittelgeschäft seines Vaters. 2003 heiratete er seine Frau. Mit ihr hat er heute vier Kinder. Nachdem 2011 der Krieg in Syrien ausbrach, gründete er einen Verein – um Waisenkinder zu versorgen. Sein Bruder starb im Krieg. Auch um seine Familie wollte sich A. kümmern.

Doch es kam anders. Der Islamische Staat nahm seine Heimatstadt ein. „Der IS wollte, dass ich für ihn arbeite, ich habe abgelehnt“, sagt der 39-Jährige. „Das wollten sie nicht einsehen.“ Er kam in ein Gefängnis. Es folgten Folter und Schläge. Nach 30 Tagen habe er sich befreien können – und ist seither auf der Flucht.

In Deutschland wollte er arbeiten, seine Familie unterstützen, die nun selbst auf der Flucht war. Seine Frau und Kinder konnte er nach Deutschland holen. Seine Eltern aber leben noch in der Türkei. „Sie sind sehr alt, können kein Konto eröffnen, schaffen es kaum aus dem Haus“, erklärt A. So kam er zu Hawala. „Ich wollte ihnen Geld schicken, da habe ich bei Freunden nachgefragt. Einer hat mir diese Leute empfohlen.“ Nach zwei Überweisungen hätten sie ihn angeworben.

Zuerst war er Buchhalter, „um zu verstehen, wie sie arbeiten“. Dann folgten Kurierdienste für kleine Beträge. Die Aufträge bekam er über eine Whatsapp-Gruppe. Später sei er in der Hierarchie aufgestiegen. Er sammelte Gelder ein – vor allem in Mannheim, Karlsruhe, Heidelberg, Stuttgart, Ulm und Frankfurt. Und brachte es meist nach Köln – zu „dem Türken“. „Ich selbst habe nie Aufträge verteilt.“

Viele Einzelschritte leuchten selbst dem Vorsitzenden Richter Andreas Lindenthal nicht ganz ein. Oft stimmen Daten nicht überein, die Verrechnung von Geldbeträgen ist teils sehr undurchsichtig, manchmal hat A. Erinnerungslücken. Aber: „Wenn jemand schon bereit ist, dermaßen die Hosen herunterzulassen, glaubt das Gericht dem Angeklagten auch die ein oder andere Sache“, so Lindenthal. Am Mittwoch wird der Prozess am Mannheimer Landgericht fortgesetzt.

 

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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