Frankfurt. Steigende Staatsverschuldung bei schwachem Wachstum bremst die Begeisterung der Anleger auch über Europa hinaus. Die Renditen 30-jähriger Papiere erreichen Höchststände. Selbst in Japan kletterten sie auf den höchsten Wert seit zwei Jahrzehnten. Was Beobachter im Augenblick besonders beunruhigt, ist die Parallelität der Ereignisse: „Die relativ geringe globale Differenzierung am langen Ende der Zinskurven deutet darauf hin, dass die Risiken ähnlich gelagert sind“, erklärt Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der Deka-Bank. „Hohe Staatsschulden, hohe Budgetdefizite und keine ernsthaften Konsolidierungsbemühungen.“ Marktteilnehmer forderten höhere Risikoprämien für eine steigende Unsicherheit.
Außerdem haben die Notenbanken weltweit ihre Ankaufprogramme für Staatsanleihen eingestellt. „Wenn die Staaten sich neu verschulden oder wenn sie fällig werdende Staatsanleihen refinanzieren, müssen sie nun Käufer aus dem Privatsektor finden“, sagt Christian Kopf, Leiter des Portfoliomanagements Renten bei Union Investment. „Und private Anleger schauen eher auf den Preis.“
Kapitalmarkt blickt auch kritischer auf deutsche Staatsanleihen
Anders als früher könnten aber auch Bundesanleihen, die stets als sicherer Hafen galten, von der Unsicherheit nicht mehr profitieren, so Schallmayer. Wegen der hohen Ausgabenprogramme und des anhaltenden Reformstaus blicke der Kapitalmarkt heute auch kritischer auf deutsche Staatsanleihen. Darüber hinaus drückt die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft die Einnahmen. Ifo-Präsident Clemens Fuest schätzt inzwischen, dass bei unveränderten Bedingungen bis 2040 rund 13 Prozent des deutschen Haushalts in Zinszahlungen fließen. Wäre diese Quote jetzt schon erreicht, würde allein dies im Haushalt 2025 eine Lücke von 35 Milliarden Euro reißen.
Mit dieser unerfreulichen Perspektive steht Deutschland bei Weitem nicht allein: Großbritannien plant eine Neuverschuldung von knapp fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im laufenden Jahr, in den USA könnten es gut sechs Prozent werden.
Unruhe geht aktuell vor allem von Frankreich aus, wo gerade erneut eine Regierung über der Verabschiedung eines Sparhaushaltes gescheitert ist. Anleger befürchten eine Phase längerer politischer Unsicherheit. Die Risikoprämien für französische Staatsanleihen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, mit einer beschleunigten Dynamik ab Mitte August, sagt Schallmayer. Der Kapitalmarkt hatte sich auf das Scheitern der Vertrauensabstimmung vorbereitet. Deshalb blieben heftige Reaktionen zunächst aus. Dennoch erwartet Schallmayer mittelfristig – wenn auch moderat – steigende Risikoprämien. Auch negative Ratingentscheidungen sind wahrscheinlicher.
Bayrous Sparprogramm sollte dazu beitragen, das Defizit von derzeit 5,4 Prozent des BIP im kommenden Jahr auf 4,6 Prozent zu drücken. „Würden diese Pläne umgesetzt, würde sich nach unseren Berechnungen die Staatsschuldenquote in den kommenden Jahren bei knapp über 120 Prozent stabilisieren“, prognostiziert die Commerzbank. Ohne Konsolidierungsanstrengungen werde sie in zehn Jahren deutlich über 150 Prozent liegen. Die Neuverschuldung könnte im kommenden Jahr auf rund sechs Prozent des BIP steigen, warnt Christian Kopf. Damit, staunen Analysten, stünde Frankreich sogar schlechter da als Italien oder Griechenland.
„Die Märkte bewerten Risiken. Und wir haben in den vergangenen Tagen gesehen, dass das Länderrisiko gestiegen ist“, mahnte unlängst die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde. Der überraschende Anstieg der Inflation in der Eurozone auf 2,1 Prozent verschärft die Situation an den Anleihemärkten, weil Investoren eine Kompensation für die höhere Inflation verlangen. Auch Deutsche-Bank-CEO Christian Sewing geht davon aus, dass die Anleiherenditen in den kommenden Monaten hoch bleiben werden.
Auch in den USA rückt die hohe Schuldenlast wieder in den Fokus
„Die Situation in Frankreich verstärkt den Eindruck der Reformunfähigkeit in Europa“, warnt Schallmayer. In Kombination mit dem schwachen Wachstum in Deutschland und dem sich auch hierzulande abzeichnenden mangelnden Reformwillen würden die Hoffnungen, die der Kapitalmarkt Anfang des Jahres mit Europa verbunden habe, wieder etwas zurückgedreht.
Die steigende Schuldenlast in wichtigen europäischen Ländern dürfte nach Einschätzung der Commerzbank erneut die Diskussion um Eurobonds – also eine teilweise Finanzierung der Staatshaushalte im Euroraum über eine gemeinsame Verschuldung – anfachen. Die EZB habe überdies die Möglichkeit, durch Käufe im Rahmen des vor einigen Jahren installierten TPI-Programms (Transaction Protection Instrument) den Risikoaufschlag französischer Staatsanleihen zu drücken.
Doch nicht nur in Europa, auch in den USA rücken die hohen Schulden wieder in den Vordergrund. Die Ratingagentur S&P bestätigte auf Basis der Zolleinnahmen zwar ihr aktuelles Kreditrating. In der vergangenen Woche erklärte jedoch ein US-Berufungsgericht die meisten der verhängten Zölle für illegal. Wenn auch der Oberste Gerichtshof dieser Einschätzung folgt, müssten die USA Zolleinnahmen von über 170 Milliarden Dollar zurückzahlen.
In diesem Fall müsste die US-Regierung vermutlich im großen Stil neue Staatsanleihen ausgeben, um die Rückzahlungen tätigen zu können. Damit könnten auch die Renditen noch einmal deutlich steigen.
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