ZEW-Studie

EZB äußerte sich oft zur Klimapolitik - das stört Ökonomen

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht stark in der Kritik, weil sie die Inflationsgefahr sträftlich unterschätzt hat. Was das mit der Klimapolitik zu tun hat, erklärt eine Studie des Mannheimer ZEW

Von 
Walter Serif
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EZB-Chefin Christine Lagarde spricht gerne über Klimapolitik. Die ist inzwischen neben der Preisstabilität zum wichtigsten Thema in den EZB-Reden geworden.

Mannheim. Dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Gefahr der Inflation sträflich vernachlässigt und alle Warnungen in den Wind geschlagen hat, bleibt auch im Rückblick rätselhaft. In einem Interview mit dieser Redaktion wunderte sich der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider anlässlich der historischen Zinserhöhung um 0,75 Prozentpunkte im September über die „eklatanten Fehlprognosen“. Denn die EZB, so Schneider, verfüge ja über die meisten Fachleute und umfangreiche Wirtschaftsdaten. Ihm sekundierte Friedrich Heinemann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der die Zentralbanker kritisch begleitet. Er forderte einen „straffen Kurs“, nur so könne die EZB „neue Glaubwürdigkeit zurückgewinnen“.

KI-unterstützte Textanalyse

Heinemann vertritt schon seit Längerem die These, dass die EZB sich zu wenig um ihre ureigene Domäne – also um die Geldpolitik – kümmert. Und dazu gehört ja vor allem die Bekämpfung der Inflation. Interessant ist, dass er nun mit einer neuen Studie aufwartet, die diese These in Teilen empirisch untermauert. Demnach befassen sich Präsidentin Christine Lagarde und die anderen Mitglieder des EZB-Rats in ihren öffentlichen Auftritten „immer öfter mit Zielen abseits des geldpolitischen Hauptziels der Preisstabilität“, wie es in der Studie heißt, die Heinemann und sein Kollege Jan Kemper unterstützt von der Brigitte Strube Stiftung verfasst haben.

Wandel in der Kommunikation

Die Autoren haben den Wandel in der EZB-Kommunikation seit der Euro-Einführung untersucht. Als empirische Basis dient die Auswertung von rund 3800 Reden, die die Mitglieder des EZB-Direktoriums oder die Präsidentinnen und Präsidenten der nationalen Zentralbanken gehalten haben. Die Autoren haben diese natürlich nicht gelesen. Sie verwendeten eine KI-unterstützte Textanalyse und untersuchten, wie oft bestimmte traditionelle oder neue Ziele der Geldpolitik angesprochen werden. Neben der Preisstabilität wurden die Themen Fiskalpolitik, Finanzstabilität, Verteilung und Klimapolitik berücksichtigt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Aufmerksamkeit der Ratsmitglieder für ökonomische und gesellschaftliche Ziele jenseits der Preisstabilität stark zugenommen hat. So gibt es seit der Finanz- und Schuldenkrise 2008/09 zwar ein deutlich gewachsenes Interesse für Finanzstabilität und Staatsanleihemärkte sowie Staatsverschuldung. Das ist natürlich keine Überraschung, denn die Finanz- und Schuldenkrise war damals ja ein großes Thema, mit dem sich natürlich auch die EZB befassen musste. Bemerkenswert ist dagegen die Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren. „Neben der Preisstabilität ist die Klimapolitik in diesem Zeitraum das dominierende Thema in den EZB-Reden geworden“, heißt es. Vorher spielte die Klimapolitik praktisch keine Rolle, inzwischen sprechen die Vertreterinnen und Vertreter der EZB das Thema bereits in jeder zweiten Rede an. Im Direktorium hat vor allem Christine Lagarde ein Faible für die Klimapolitik, ihr Vorgänger Mario Draghi interessierte sich dagegen kaum dafür.

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Inflation war lange kein Thema

Die Aufmerksamkeit der Akteure für das oberste Ziel der Preisstabilität schwankt im Zeitverlauf. Vor der Pandemie war das Thema im Vergleich mit den Jahren nach der Euro-Einführung etwas in den Hintergrund getreten. Dass die EZB–Granden in Zeiten des dramatischen Inflationsanstiegs wieder häufiger in ihren Reden das Thema Preisstabilität ansprechen, versteht sich von selbst. Der Anstieg würde wahrscheinlich noch stärker ausfallen, aber leider endet der Untersuchungszeitraum der Studie bereits im Mai. Seitdem hat die Inflationsrate ja auf Rekordniveau zugelegt. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass die Inflation nicht allen Vertretern gleichermaßen unter den Nägeln brennt. Vertreter Südeuropas erwähnen die Preisstabilität in ihren Reden im Vergleich zu den Kollegen aus Nord- und Westeuropa weniger oft. Der Grund liegt auf der Hand: Höhere Zinsen – das klassische Mittel zur Inflationsbekämpfung – bringen verschuldete Länder wie zum Beispiel Italien in die Bredouille.

ZEW-Experte Heinemann warnt

„Die starke Öffnung des geldpolitischen Diskurses für ein breiteres Spektrum von Zielen reflektiert ganz offenkundig die Strategie, gesellschaftliche Verantwortung der Geldpolitik zu signalisieren“, ordnet ZEW-Ökonom Jan Kemper die Ergebnisse ein. Heinemann sieht in dieser Strategie aber auch eine gewisse Gefahr: „Wenn EZB-Vertreter zu viel über alle möglichen Ziele reden, kann dies geldpolitische Glaubwürdigkeit kosten. In der Öffentlichkeit entsteht dann der Eindruck, dass die EZB ihr Ziel der Preisstabilität relativiert“, warnt er und legt nach: „Die EZB muss jetzt auch in ihrer Kommunikation klarstellen, dass sie ihre Geldpolitik ganz am Ziel der Inflationsbekämpfung ausrichtet.“

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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