Kongress

Experten diskutieren am Mannheimer ZEW über Mobilität der Zukunft

Von 
Christian Schall
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Kaum etwas geht voran im Berufsverkehr. Dieser Stillstand beeinträchtigt die betroffenen Autofahrer in vielfältiger Weise negativ. © dpa

Mannheim. Die Zielsetzung ist klar: Um die ambitionierten Klimaziele bis 2030 zu erreichen, muss sich die Mobilität verändern. Bis hierhin sind sich die meisten Experten und Forscherinnen einig. Über die konkreten Maßnahmen gibt es dagegen unterschiedliche Ansätze. Sie standen am Freitag beim Kongress „Mobiles Baden-Württemberg“ am Mannheimer ZEW im Mittelpunkt, zu dem die Baden-Württemberg Stiftung und das Leibniz-Institut für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) eingeladen hatten.

„Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit“, machte Wiebke Zimmer vom Öko-Institut Berlin deutlich. Um die gesetzten Ziele in nur neun Jahren zu erreichen, reiche der derzeitige Instrumentenmix nicht aus. Weil Infrastrukturen für emissionsfreie Mobilität Zeit bräuchten, müssen sie „schnell, koordiniert und an den Zielen ausgerichtet angegangen werden“.

Die Forscherin ist davon überzeugt, dass man die gesetzten Ziele zur CO2-Einsparung nur erreichen könne, wenn man stärkere Anreize für den Kauf von effizienteren und Elektro-Autos schaffe. Sie plädiert daher für ein Bonus-Malus-System, mit dem - neben dem CO2-Preis - etwa eine Einmalzahlung beim Kauf CO2-intensiver Autos fällig und die Dienstwagensteuer umgestaltet würden sowie eine CO2-Komponente in der Lkw-Maut enthalten wäre. Besonders effektiv seien Instrumente, die direkt auf den Fahrzeugkauf wirkten. Zimmer verweist auf andere europäische Länder, in denen bereits etwa eine Neuzulassungssteuer erhoben würde.

Als weitere Signale für die Mobilitätswende sieht die Forscherin ein Tempolimit auf Autobahnen, autofreie Stadtquartiere und eine Straßenverkehrsordnung, die als oberstes Ziel nicht den Verkehrsfluss des Autos hat. Ein Wandel biete auch die Chance, die Verkehrspolitik sozial gerechter zu gestalten. Denn: „Das derzeitige System ist nicht sozial gerecht“, sagt Zimmer.

Herausforderung gewaltig

Franz Loogen, Geschäftsführer der Landesagentur e-mobil BW sprach von einer „gigantischen Herausforderung“, wenn Baden-Württemberg bis 2040 klimaneutral werden wolle. Das Ziel müsse ohne gesellschaftliche Verwerfungen erreicht werden. „Schätzen Sie die Herausforderung nicht zu gering. Mit den Methoden der Vergangenheit wird es nichts werden“, warnte Loogen. Trotzdem sei er überzeugt, die gesetzten Ziele zu erreichen.

Mit den Auswirkungen des Verkehrs auf menschliches Entscheidungsverhalten hat sich ZEW-Forscherin Madeline Werthschulte in einer Studie befasst. Dass Staus die CO2-Emissionen und Luftverschmutzung erhöhen, ist bekannt. Ebenso naheliegend ist - und Pendler in der Region werden das bestätigen -, dass Staus neben Zeitverlust auch Stress bedeuten. Wie Werthschulte nun in Kooperation mit der Universität von Alabama (USA) herausgefunden hat, verursachen Staus weitere Kosten, die bisher noch nicht berücksichtigt wurden.

So änderten Menschen mit Stauerfahrungen ihre Art, ökonomische Entscheidungen zu treffen. Personen, die täglich Zeit im Stau verbrachten, seien ungeduldiger und würden sich egoistischer verhalten. Anhand von Experimenten mit den Betroffenen kam heraus, dass sie zum Beispiel eine geringere Spendenbereitschaft zeigten. Bei Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau seien die Effekte ausgeprägter.

„Staus erhöhen den Stress und beeinträchtigen die mentale Gesundheit und das Leben allgemein“, so Werthschulte. Erforscht wurde die Studie bei einer Brückensanierung mit einjähriger Vollsperrung des US-Highway 20 in Birmingham im Bundesstaat Alabama. Für Baden-Württemberg bedeuteten die Ergebnisse, dass die Kosten von Staus höher sind als bisher angenommen. Dies müsse bei der Raumplanung bedacht werden.

Potenzial durch Homeoffice

Martin Kesternich vom ZEW kritisierte, dass die Debatte über die Mobilitätswende emotional aufgeladen sei und oft verkürzt geführt werde. Er sprach sich für „preisbasierte“ Maßnahmen wie eine City-Maut aus. Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz plädierte für rationale Diskussionen. Man sei zu fokussiert auf den Klimaschutz und müsse sich mit der Frage beschäftigen, wie man den öffentlichen Raum anders verteilt und nutzt. Oliver Weigel sieht ein Potenzial von rund 20 Prozent weniger Verkehr, wenn mehr Menschen von zuhause arbeiten würden. 50 Prozent des Verkehrs in der Region sei außerdem „Freizeitmobilität“. Der Referatsleiter für Stadtentwicklungspolitik im Bundesinnenministerium forderte ein Umdenken: „Wir haben keinen Anspruch auf einen Parkplatz vor der eigenen Haustür.“

Redaktion Redakteur in der Wirtschaftsredaktion

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