Mannheim. Die kleinen, runden Siegel sind in der Fleischabteilung eines türkischen Supermarktes allgegenwärtig. Auf Dutzenden Verpackungen – Salami, Wurst, Schinken – sind sie mal direkt neben der Marke, mal schräg unter der Tabelle mit den Nährstoffwerten platziert. „Helal“ oder „Halal“, steht darauf, ein arabischer Schriftzug glänzt im Zentrum.
Für gläubige Muslime ist der Lebensmitteleinkauf nicht immer einfach. Denn: Nahrung im Islam ist, ähnlich wie im Judentum, Zeichen eines gottgefälligen Lebens. Der Koran gibt vor, was erlaubt und zulässig ist – also halal. Mit dem arabischen Begriff „Haram“ wird das Gegenteil bezeichnet. Schweinefleisch und sämtliche davon gewonnenen Inhaltsstoffe wie Gelatine oder Schmalz, Kadaver, Blut und bluthaltige Lebensmittel oder welche mit berauschender Wirkung wie Alkohol sind – um einige Beispiele zu nennen – unzulässig. Haram ist es auch, Tiere zu essen, die nicht nach den islamischen Regeln geschlachtet worden sind.
Muslime als Klientel
Erlaubt oder nicht erlaubt – eines hat die Industrie erkannt: Mit Halal-Lebensmitteln lässt sich viel Geld verdienen. Das Volumen von Halal-Produkten wird im Welthandel auf rund zwei Billionen US-Dollar geschätzt. Etwa 675 bis 700 Milliarden Dollar entfallen dabei auf den Nahrungsmittelsektor. Der Halal-Markt in Europa wird auf 70 Milliarden Euro geschätzt, in Deutschland liegt das Volumen bei etwa fünf Milliarden. Das Geschäft wird immer lukrativer, und an Nachfrage scheint es nicht zu mangeln.
Nicht verwunderlich, denn: Von weltweit 1,6 Milliarden Muslimen, leben 45 Millionen in Europa, rund fünf Millionen in Deutschland und 40 000 in Mannheim. Längst haben große Konzerne Muslime als Klientel entdeckt – neben den türkischen Lebensmittelunternehmen Sunsat, Yayla oder Egetürk auch Wiesenhof, Meggle, Haribo oder Nestlé. Der Nahrungsmittelriese hat 85 seiner insgesamt 456 Nestlé-Werke zertifizieren lassen.
Der Markt reagiert also durchaus auf die Bedürfnisse der muslimischen Verbraucher, allerdings hat sich in den vergangenen Jahren dadurch ein anderes Problem ergeben: Es gibt schlichtweg zu viele Halal-Anbieter, zu viele Halal-Gütesiegel. Und nur wenige Zertifizierer, die international anerkannte Halal-Standards, etwa den malaysischen Jakim, den indonesischen Mui oder die Standards der Vereinigten Arabischen Emirate (Vae-Uae) und Singapur (Muis) erfüllen.
Zu den wenigen unabhängigen, akkreditierten Prüf- und Zertifizierungsstellen zählen neben Halal Control die World Halal Union (WHU) und die Islamic Information, Documentation and Certification GmbH (IIDC). Wenn ein Betrieb also beispielsweise durch eine dieser drei Prüfstellen betreut und kontrolliert wird, kann man durchaus davon ausgehen, dass die gesamte Produktion islamkonform abläuft. „Etwa 120 Betriebe in Österreich und 80 in Europa verfügen über ein IIDC-Zertifikat“, erklärt Gründer und Präsident der Prüfstelle Günther Ahmed Rusznak. „Die Auditoren überprüfen die Betriebsstätte und die Produkte anhand einer 40-seitigen Checkliste. Tierhaltung, Hygiene, Qualität – es gibt unglaublich strenge Vorlagen, die über die Halal-Konformität entscheiden.“ Verläuft die Prüfung erfolgreich, erhält die Firma ein Zertifikat und darf ihre Produkte mit einem entsprechenden Label kennzeichnen.
Kriterien selbst festgelegt
„Wir beobachten, dass sich vor allem im Inlandsmarkt Unmengen an Zertifizierern etabliert haben. Bei akkreditierten Prüfstellen können die Halal-Richtlinien Punkt für Punkt zurückverfolgt werden. Diese sind vorgegeben, wir können nichts dazu interpretieren oder mal ein Kriterium weglassen.“ Etliche andere Zertifizierer würden ihre Kriterien oftmals selbst festlegen. „Die sind nicht immer durchschaubar, und das ist sehr bedenklich“, sagt Rusznak. So gibt es in Deutschland einige Islamische Zentren, die Zertifikate ausstellen. Einzelhandelsunternehmen oder Fleischgroßhändler berichten in ihrem Internetauftritt, dass ihre Halal-Produkte durch ein „unabhängiges Institut“ geprüft und mit einem Gütesiegel versehen werden. Welche Institute das sind, ist in vielen Fällen nicht ersichtlich – geschweige denn deren Kriterien.
Kritisch sein, Ware hinterfragen
Die mangelnde Auskunft vieler Hersteller ist weder in Deutschland noch in der EU rechtswidrig. Laut dem Verbraucherzentrale Bundesverband ist der Begriff „Halal“ lebensmittelrechtlich nicht geschützt. Und weil es für Halal-Produkte bisher kein einheitliches Siegel – wie es bei Bio der Fall ist – gibt, können Betriebe und ihre Produkte folglich auch nicht auf ihre Halal-Kriterien überprüft werden. Selbst wenn: Unzählige Parameter sind nur schwer erfassbar. Zum Beispiel ob die strikte Trennung von Halal- und Haram-Ware bei der Lagerung eingehalten wurde oder ob die Schlachtung tatsächlich „im Namen Allahs“ erfolgte. Diese Lücke im Gesetz kann also auch bedeuten, dass ein Halal-Label auf einem Produkt platziert ist, ohne dass eine einzige Richtlinie beachtet wurde.
„Der türkische Metzger um die Ecke ist nicht einmal dazu verpflichtet, ein Zertifikat vorzulegen. Der Kunde kauft bei ihm auf gut Glück ein, weil er ihm vertraut und darauf hofft, dass das Fleisch nicht kontaminiert, zum Beispiel nicht mit Schwein in Berührung gekommen ist“, so Rusznak. Nur der kritische Konsument könne das Problem eindämmen. „Wie wurde das Tier gehalten, wer hat es geschlachtet, wer überprüft, ob die Standards auch wirklich eingehalten werden – all diese Fragen sollte man vor dem Kauf stellen. Nur so kann man sicherstellen, dass der Halal-Markt durchschaubar bleibt – was momentan einfach nicht der Fall ist.“
Rituelles Schlachten und die Gesetzeslage in Deutschland
- Beim sogenannten Schächten werden zunächst die Augen des Tieres verbunden. Ein ein muslimischer Schlachter spricht ein Gebet und tötet das Tier mit einem einzigen, raschen Schnitt „im Namen Allahs“. Die Luft- und Speiseröhre wird durchtrennt, das Tier blutet komplett aus. Auf eine Betäubung wird dabei verzichtet.
- Schächten wird in vielen Ländern praktiziert – in Deutschland ist es verboten. Das deutsche Tierschutzgesetz schreibt vor, dass Tiere bei der Schlachtung betäubt werden müssen. Das Tier wird also bereits vor dem Ausbluten zum Beispiel mit einer Elektrozange kurzzeitbetäubt.
- „Ausnahmen aus religiösen Gründen sind nur möglich, wenn die zuständige Behörde, also die Veterinärbehörde der Länder, eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten erteilt hat“, teilt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit.
- Bei der Halal-Kennzeichnung wird nicht zwischen Schächten mit und ohne vorherige Betäubung unterschieden. mica
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