Mannheim. Irgendwas mit Gestaltung, irgendwas mit Lehre, irgendwas mit Medizin – die meisten Jugendlichen sind überfordert, wenn es sich um die Wahl des eigenen Berufes handelt. Viele wissen zwar, in welche Richtung es gehen könnte, doch nicht wenige haben überhaupt keine Vorstellung von ihrer Zukunft – oder eben zu viele Ideen.
Dass die Frage „Was will ich werden?“ längst nicht nur Jugendliche vor dem Schulabschluss beschäftigt, zeichnet sich heute immer deutlicher in der regionalen Unternehmenslandschaft ab: Eltern werden in Infoveranstaltungen, Online-Workshops, mit Firmenbroschüren und Kampagnen über Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten in den Betrieben aufgeklärt.
So hat auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar eine Telefonhotline, die sich explizit an Eltern richtet. Und sie wird genutzt. „Manche Eltern rufen an, weil ihr Kind noch keine Idee hat, was es werden möchte“, sagt eine Sprecherin. Andere hätten schon einen Berufswunsch, aber es fehlten ihnen noch Adressen für die Bewerbung. „Oder sind frustriert von den ersten Absagen und die Eltern suchen Hilfe, was besser oder zusätzlich gemacht werden kann, um doch noch bis zum Start des Ausbildungsjahres erfolgreich zu sein.“
Gefühl, nicht frei zu sein
Aber welche Rolle sollten Eltern bei der Berufswahl ihrer Kinder spielen? Sind sie wichtige Rekrutierungshelfer oder überfürsorgliche Helikopter-Eltern? „Wir haben es mit einer Generation Jugendlicher zu tun, von denen viele eher spät eine konkrete eigene Zukunftsvision entwickeln“, erklärt Sabina Pauen, Professorin für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie an der Universität Heidelberg. Auf der anderen Seite gebe es eine Generation Erwachsener, die zum Teil sehr konkrete Erwartungen an ihre Kinder haben. Gerade in Familien mit nur einem Kind seien Eltern besonders bemüht sicherzustellen, dass der eigene Nachwuchs sich optimal entwickelt und möglichst erfolgreich ist.
Solche Erwartungen könnten für Kinder sehr belastend sein, wenn sie selbst ganz andere Ziele haben, denken, sie können diesen nicht genügen, oder wenn sie das Gefühl haben, sie dürften über ihren eigenen Lebensweg nicht frei entscheiden. „Natürlich ist der Rat der Eltern bei der Berufswahl wichtig. Aber sie haben auch den Auftrag, ihrem Kind zu helfen, die Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen.“ Eltern sollten sich daher bewusstmachen: Wenn ich den Ausbildungsweg meines Kindes auch über die Schulzeit hinaus zu sehr beeinflusse oder zu eng begleite, erzeuge ich damit das genaue Gegenteil von Selbstverantwortung: Unselbstständigkeit. „Sie tun dem Kind letztlich keinen Dienst.“
Wichtig sei die Frage, wie Eltern Jugendliche dabei unterstützen können, eigene Perspektiven zu entwickeln. „Informationsquellen auftun, helfen, Informationen zu sortieren und abwägende Gespräche führen – das ist hilfreich. Nur bei der endgültigen Wahl des Ausbildungsziels müssen Eltern sich heraushalten. Spätestens mit dem 18. Lebensjahr sollte jeder Mensch sein Leben in die eigene Hand nehmen dürfen.“
Zu viel Einfluss schadet
Ähnlich sieht es Sabine Schumacher vom Team Rekrutierung Auszubildende der BASF. Der Ludwigshafener Chemiekonzern bietet seit 2014 ein bis zwei Abende im Jahr speziell für Eltern an, an denen nach Angaben von Schumacher durchschnittlich 150 Eltern teilnehmen. Das Format informiere Eltern über die Ausbildungsmöglichkeiten bei BASF, gebe aber auch praktische Tipps, beispielsweise welche Bewerbungsverfahren es gibt oder wie man sich auf ein Vorstellungsgespräch vorbereiten kann – und wie und wo die Eltern dabei sinnvoll unterstützen können. „Die Auswahl der Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten in Deutschland überfordert viele Jugendliche“, sagt Schumacher. „Daher ist es wichtig, dass sie jemanden an der Seite haben, der ihnen hilft, zu selektieren, sich mit ihnen Gedanken über ihre Interessen, aber auch über Stärken und Schwächen macht – das ist die Basis für die Berufswahl. Wer könnte hier besser begleiten als die Eltern?“ Dabei gehe es nicht darum, dass Eltern sich in jedem Berufs- oder Studiengang auskennen müssen. „Es geht darum, den Kindern den Weg zu den Profis zeigen, die das können.“ Wichtig sei allerdings, dass Eltern ihren Kindern die Arbeit nicht abnehmen. „Auch das ist Thema in unseren Elternveranstaltungen: Bis wohin soll ich mein Kind unterstützen? Ab wann muss es auch allein gehen und entscheiden? Denn zu viel Einfluss schadet genauso wie zu wenig“, so Schumacher.
Auch die SAP bietet Elternarbeit an. „Für Eltern von dual Studierenden und Auszubildenden, die im September ihre Ausbildung bei SAP beginnen werden, haben wir vor einigen Wochen einen virtuellen Elternabend veranstaltet“, erklärt ein Sprecher. Zudem habe der Walldorfer Softwarekonzern in den vergangenen Monaten an drei Online-Messen teilgenommen, die gezielt Eltern ansprechen. Der Wieslocher Finanzvertrieb MLP gibt ebenfalls an, bei Messen mitzumachen, die sich zum Teil explizit an Eltern richten, „wie in diesem Jahr die Online-Messe ,Parentum’“, so eine Sprecherin.
Eigeninitiative stärken
„Ich kann verstehen, dass Firmen versuchen, mit Eltern in Kontakt zu treten. Erstens denken die Eltern über die Zukunft der Kinder nach. Zweitens scheinen Kinder manchmal wenig darum bemüht, ihr Schicksal aktiv und selbstständig in die Hand zu nehmen“, sagt Pauen. Die Kombination der beiden Punkte bringe Betriebe dazu, alle Wege zu gehen, die sie zu neuen Fachkräften führen können. „Das ist nachvollziehbar.“ Aber aus entwicklungspsychologischer Perspektive seien Initiativen, die sich ausschließlich an die Eltern richten, eher fragwürdig.
„Bestimmte Argumente hat man vielleicht als junger Mensch bei seinen Überlegungen zur Berufswahl noch nicht auf dem Schirm. Es ist daher gut, wenn Eltern mit ihren Kindern Wege durchsprechen, die das Leben unter der ein oder anderen Entscheidung nehmen könnte“, so die Entwicklungspsychologin weiter. Sie müssten nur die richtige Dosis und Form finden, das sei die Herausforderung. „Meine wichtigste Botschaft: Es geht immer um den Dialog und die Stärkung der Eigeninitiative. Nicht ums Überreden.“
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