Engel haben in der Weihnachtszeit Hochsaison. Sie schweben über Krippen oder halten in Spielfilmen ihre schützenden Hände über die Guten. Im wahren Leben wünschte sich wohl manch ein Mensch einen Schutzengel angesichts der vielen Bedrohungen in dieser Zeit. Immerhin einen, einen Umweltschutz-Engel, gibt es tatsächlich. Er steht ganz in blau auf weißem Grund mit geweiteten Armen auf einer kreisrunden Plakette: der Blaue Engel.
Es ist zumindest bei Älteren das wohl bekannteste Siegel für umweltfreundliche Produkte und Sproß einer Zeit, in der Umweltschutz vielfach noch als Marotte alternativer Spinner oder weltfremder Naturfreunde galt. Es begab sich im Jahr 1972, da der Club of Rome seinen Aufsehen erregenden Bericht zu den Grenzen des Wachstums veröffentlichte und damit die Endlichkeit unserer natürlichen Ressourcen ins allgemeine Bewusstsein hob.
Die Umweltprobleme wurden drängender. Den Städten machte Smog zu schaffen, den Wäldern saurer Regen. Institutionell war der Umweltschutz kaum verankert. Erst 1974 wurde das Umweltbundesamt gegründet. Bis es ein eigenständiges Ministerium dafür gab, sollte im Bund noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Dazwischen, 1978, setzte die Bundesregierung mit dem Blauen Engel ein Zeichen für die Verbraucher.
Zunächst fand sich der Blaue Engel vor allem auf Produkten wie Recyclingpapier oder Baustoffen. Auf einen Blick sehen die Kunden im Geschäft oder Baumarkt, ob ein Produkt zu den ökologisch besten seiner Klasse gehört. Diese Schlichtheit ist auch eine der großen Schwächen des Zeichens. Denn es sagt nicht darüber aus, wie umweltfreundlich ein Papier oder eine Fassadenfarbe tatsächlich ist. Der Engel steht nur für eine im Vergleich zu konkurrierenden Produkten gute Umweltbilanz.
Bekannt geworden ist das Signet trotzdem. Nach Angaben des Herausgebers kennen mehr als neun von zehn Verbrauchern das Siegel. 37 Prozent der Kunden geben an, dass es bei ihrer Kaufentscheidung eine Rolle spielt. Spitzenreiter ist der Blaue Engel damit nicht. Das Energielabel oder das Biosiegel kennt fast jeder. Auch beeinflussen diese Gütezeichen mehr Verbraucher beim Griff ins Regal.
Firmen, die sich mit dem Logo schmücken wollen, können es beim Herausgeber beantragen und müssen dafür eine Lizenzgebühr von wenigen hundert Euro bezahlen. Sie erhalten die Lizenz, wenn ihr Produkt bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Bei Shampoo oder Seifen gehört zum Beispiel dazu, dass verwendete Tenside vollständig biologisch abbaubar sein müssen oder die Verpackung das Recycling und die Dosierung erleichtert. Bei E-Bikes stehen die Qualität und Lebensdauer der Akkus im Zentrum. Auch müssen diese austauschbar sein. Das Label könnte bei umweltbewussten Konsumenten fast im gesamten Haushalt zu finden sein.
Im Verlauf der Zeit sind immer mehr Produktgruppen in die Auswahl aufgenommen. Aktuell sind es 20 000 Produkte von 1600 Herstellern. Wurden anfangs vornehmlich Papier oder Baustoffe mit dem Blauen Engel ausgezeichnet, wacht er heute in vielen Segmenten über eine möglichst umweltfreundliche Herstellung. Elektrogeräte oder Computer werden ebenso erfasst wie Reinigungsmittel oder Heimtextilien. Auch Mobilitätsangebote können den Blauen Engel tragen. Mit der Ausweitung des Angebot sollen vor allem auch jüngere Kundengruppen, insbesondere auch Familien erreicht werden. Entsprechend werden auch neue Produktgruppen für diese Zielgruppe erschlossen. So gehören mittlerweile auch Windeln oder jüngst Adventskalender zur Auswahl.
Die Ampel-Koalition setzt ebenfalls auf den Blauen Engel. Er soll für die IT-Beschaffungen des Bundes Standard werden. Doch wer steckt eigentlich hinter dem Blauen Engel? Inhaber des Zeichens ist das Bundesumweltministerium. Das Umweltbundesamt wiederum erarbeitet die Vergabekriterien für das Logo. Als Grundlage wertet die Behörde wissenschaftliche Studien oder eigene Analysen sowie Marktrecherchen aus. Die Vergabe selbst beschließt eine Jury. In diesem Gremium sitzen viele gesellschaftlich relevante Gruppen. Verbraucherschützer sind ebenso wie Wissenschaftler, Kirchen, Gewerkschaften, Handel und Industrie in der Runde vertreten. Zwei Mal jährlich tagt die Jury.
Die Zertifizierung selbst liegt in den Händen der RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung. Die Abkürzung des vor fast 100 Jahren von der Wirtschaft gegründeten gemeinnützigen Instituts stand ursprünglich für den Reichsausschuss für Lieferbedingungen. Gütezeichen und Standards dafür sind die Aufgabe der RAL. So vergibt das Institut nicht nur den Blauen Engel, sondern auch das europäische Umweltzeichen Ecolabel oder Lizenzen für die Werbung mit dem Logo der Stiftung Warentest.
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