Berufsleben - Viele Arbeitnehmer identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber / Ökonomin warnt vor Gefahren

Die Firma und ich

Von 
Viola Schenz
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Mannheim. Eigentlich ist die Sache mit dem Fachkräftemangel ganz einfach zu lösen, man muss nur an den Familiensinn potenzieller Kandidaten appellieren. Job-Rekrutierer setzen nämlich auf das menschliche Bedürfnis, einer eingeschworenen Gemeinschaft anzugehören. Diesen Eindruck hinterlassen jedenfalls Stellenausschreibungen. „Bewerben Sie sich jetzt für einen Job auf einem Kreuzfahrtschiff und werden Sie Mitglied der AIDA Familie!“, heißt es da, oder: „Werden Sie Mitglied der Avanti-Familie und profitieren Sie von der Wertschätzung gegenüber unseren Mitarbeitern.“ Auch die Umweltorganisation WWF wirbt mit dem Familien-Faktor, ebenso die deutsche Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO oder IT-Unternehmen wie blu.

Die Familie als Kitt zwischen Unternehmen und Belegschaft – das ist die Idee. Mitarbeiter sollen sich identifizieren mit ihrem Arbeitgeber. Denn: Wer sich nicht an den Arbeitgeber emotional gebunden fühlt, ist weniger leistungsbereit, verantwortungsbewusst, so die landläufige Meinung. Klingt logisch, scheitert aber an der Realität. Die Berufswelt funktioniert nicht nach einem solch simplen Schema. Das zeigt der Gallup Engagement Index. Demnach empfinden gerade einmal 15 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. 70 Prozent haben eine geringe, 15 Prozent gar keine Bindung. Spielt Identifikation also keine Rolle? Wollen sich Mitarbeiter überhaupt mit der Firma gleichsetzen? Und was ist identitätsstiftend?

Zugehörigkeit durch Kleidung

Extra-Leistungen und Vergünstigungen zum Beispiel: Handy, Dienstwagen, Freikarten fürs Theater, betriebseigene Tennisplätze. Oder schiere Äußerlichkeiten, einheitliche Kleidung etwa. In manchen Berufen sind Uniformen gesetzlich vorgeschrieben, für Polizisten, Zollbeamte, Post- oder Bahnbedienstete etc. In manchen sind sie sinnvoll, etwa um im überfüllten Baumarkt einen Verkäufer zu sichten. Jens Gibolde (alle Namen geändert) ist Pilot bei der Lufthansa. Zu Piloten gehört eine Uniform wie der Schaum zum Bier, außerdem schreibt sie das Bundesluftfahrtamt vor. Trägt Gibolde sie gerne? Ja, sagt der 29-Jährige. „Auch weil einem die Menschen anders begegnen, respektvoller.“ Und: „Man geht nicht über eine rote Ampel, denn man repräsentiert nun mal ein Unternehmen.“ Eine Uniform diszipliniert also. Würde er sie tragen, wenn es ihm freigestellt wäre? Ja, selbst dann, aber er wäre auch ohne stolz auf seinen Beruf.

Identifikation mit dem Job wird auch deswegen so beschworen, weil Flexibilität sie verdrängt, weil Firmenwechsel inzwischen normal sind. Die Zeiten von „Ich habe 45 Jahre bei Daimler geschafft“ sind vorbei. Wenn man schon nicht auf jahrzehntelange Loyalität des Mitarbeiters zählen kann, soll er sich wenigstens auf andere Weise einbringen – etwa über soziale Medien. Immer häufiger wird an Mitarbeiter appelliert, auf Twitter oder Facebook für ihr Unternehmen zu trommeln – auf ihren privaten Accounts, wohlgemerkt. Gerade im PR-Wesen ist das üblich. Petra Braun ist Marketing-Managerin bei einer Orthopädieklinik, ihr Facebook-Auftritt ist voller „positiver“ Mitteilungen, Fotos, Termine zu ihrem Arbeitgeber. „Das gehört zum Marketing dazu“, erklärt die 50-Jährige, „anfangs fand ich es nervig, inzwischen mache ich es sogar gerne, finde es interessant.“ Kein Eingriff in die Privatsphäre? „Nein, ich befürworte, was die Firma medizinisch propagiert.“

Es gibt Modeketten, die ihre Verkäufer anhalten, hauseigene Labels zu tragen. Die Hausmarke privat zu fahren, hilft bei der Karriere in der Autoindustrie. Eine österreichische Kurklinik verlangt vom Personal, einmal im Jahr die propagierte Diät zu machen, damit es mit den Patienten mitempfinden kann. Kann man sich dem verweigern?

Personal auf Diät gesetzt

Gerade höher Gebildete neigen dazu, sich über ihren Job zu definieren. Es wird viel Einsatz abverlangt, die Arbeitstage sind oft lang, der Trend zum Home-Office hält an, Arbeit und Freizeit verschwimmen – solche Umstände lassen einen mit dem Job eins werden.

Samantha Conroy, Arbeitsökonomin an der Colorado State University, stellt Sinn und Effizienz hoher Identifikation infrage. Ihre Studien ergeben, dass sie sogar schädlich bis gefährlich sein kann. Sehen Mitarbeiter das eigene Unternehmen zu positiv, seien sie auch zu oft in dessen eingefahrenen Strukturen gefangen. In der Folge litten innovatives und kritisches Denken, sie seien für Veränderungen oder neue Kollegen zu wenig aufgeschlossen. Eine solche Haltung könne ein Unternehmen lähmen.

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