Volkswagen - Daniela Cavallo vertritt künftig die Interessen der Belegschaft / Geschlechterdebatten nerven die gebürtige Wolfsburgerin

Daniela Cavallo: Deutschlands mächtigste Betriebsrätin

Von 
Thomas Kruse
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Daniela Cavallo begann als Auszubildende bei VW. Künftig wird sie als Gesamtbetriebsratsvorsitzende auch im Aufsichtsrat des zweitgrößten Autoherstellers der Welt sitzen. © dpa

Wolfsburg. Die große Chance ihres Berufslebens war ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Im Dezember 2018 wechselte Stephan Wolf überraschend von seinem Posten als stellvertretender Gesamtbetriebsratschef des Volkswagen-Konzerns auf die Unternehmensseite. Das Szenario wiederholte sich in diesem Frühjahr. Erneut profitiert davon Daniela Cavallo. Seit dem 1. Mai ist sie die erste Frau an der Spitze des Betriebsrates beim zweitgrößten Autobauer der Welt mit über 700 000 Mitarbeitern.

Sie folgt auf Bernd Osterloh. Der 64-Jährige hat sich seinen Ruf als wortgewaltiger und kampfbereiter Wahrer der Mitbestimmung über 16 Jahre hinweg in nahezu epischen Auseinandersetzungen erarbeitet. Nicht wenige sahen in dem gebürtigen Braunschweiger den mächtigsten Betriebsrat der Republik. Das haben seine beiden durchaus profilierten Stellvertreter akzeptiert und irgendwann ihre Posten geräumt. Wer an Osterlohs Seite arbeitete, der musste viel Geduld haben und auf seine Chance warten.

Akribisch und faktenorientiert

Diesem Gesetz hat sich Cavallo, 1975 als „Gastarbeiterkind“ in Wolfsburg geboren, klaglos unterworfen. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder. Nach dem Abi begann sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation bei VW und bildete sich zur Betriebswirtin fort. Dem Betriebsrat gehört sie seit 2002 an. 2019 wurde sie Nummer zwei des Gremiums.

Meiste Macht in der Heimat

  • Der Arm des VW-Betriebsrates reicht längst nicht in alle Winkel des Riesenkonzerns.
  • Die viel gerühmte Mitbestimmungskultur von Volkswagen ist ein primär deutsches Phänomen, vor allem der einst westdeutschen Standorte des Konzerns. In den USA etwa gibt es keine betriebliche Arbeitnehmervertretung.
  • Und in China, dem wichtigsten Automarkt der Wolfsburger, bestimmen Gewerkschaften, die auf Linie der Kommunistischen Partei liegen, den Kurs.

Italiener der zweiten Generation haben im Wolfsburger Konzern hohe integrative Kompetenzen bewiesen. Viele machten und machen Karriere bei VW. Auch im Betriebsrat. Stets war das Engagement bei der IG Metall und im Betriebsrat eine Plattform, um sich einen Platz in der sehr hierarchischen Gesellschaft der Volkswagen-Hauptstadt zu erobern. Das gilt auch für Familie Cavallo.

Daniela Cavallo gilt als akribisch und faktenorientiert, sie verfügt wie Osterloh über ein hohes Maß an Pragmatismus. Das ist auch erforderlich, um der Gegenseite Zugeständnisse abzutrotzen. Trotz des oft lauten Getöses, das Osterloh geschickt zu intonieren wusste, geht es gerade in komplexen Phasen der Transformation hin zur Elektromobilität um einvernehmliche Verhandlungslösungen.

Der Zukunftspakt, den Cavallo mitverhandelt hat, ist ein Musterbeispiel für die konsensorientierte Arbeitsweise des Betriebsrats. Der will zwar den Begriff „Co-Management“ nicht akzeptieren. Doch im Prinzip sorgen die Betriebsräte und das enge Netz der Vertrauensleute der IG Metall auch dafür, dass die Prozesse optimiert werden, der Laden läuft und der Konzern erfolgreich ist.

Die Osterloh-Nachfolge traut man Cavallo in Gewerkschaft und Betriebsrat zu. Christiane Benner, Vize-Bundesvorsitzende der IG Metall, sagt: „Sie ist kompetent, empathisch und menschlich integer. Sie hat einen guten Blick dafür, wie sich die Arbeitswelt verändert. Und vor allem Ideen, wie wir diese Veränderungen mit den Beschäftigten gestalten können.“ Darauf wird es ankommen. Der Schwenk zur Elektromobilität, die Digitalisierung und die Neudefinition des Mobilitätsmodells erfordern eine veränderte Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit. Die Jobsicherung hängt davon ab, ob die Qualifizierung der Belegschaften schnell genug gelingt.

Mit Konzernchef Diess hat Cavallo zudem einen Gegenspieler, der in Sachen Cleverness, strategischem Denken und Durchhaltevermögen viel mehr Geschick bewiesen hat als die meisten Vorgänger. Er will, muss und wird VW rasch umbauen. Cavallo wird nun auf einem Terrain versuchen, die Interessen der Belegschaften zu wahren, das ihr noch nicht vertraut ist. Im Aufsichtsrat weht raue und kalte Gipfelluft. Hier mit an den Strippen zu ziehen, lässt sich nicht von heute auf morgen beherrschen.

Cavallo geht die Herausforderungen selbstbewusst an. Sie weiß, dass es keinen Bonus oder eine Schonfrist für die erste Frau an der Spitze des VW-Betriebsrates geben wird. Die Geschlechterdebatte nervt sie ohnehin. „Mich stört dieses trennende Schema zwischen Männern und Frauen. Darum geht es nicht, sondern darum, dass es sich bei einem Wechsel um unterschiedliche Persönlichkeiten handelt“, sagte sie nach der Amtsübernahme. „Es wäre nicht authentisch, würde ich mich so geben wollen wie Bernd Osterloh. Und es wäre auch unangebracht. Ich bin Daniela Cavallo und habe einfach eine andere Art.“

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