Ludwigshafen. Der chinesische Staat hat in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Mittel in Ausbildungsprogramme gesteckt, insbesondere in Schulen, Hochschulen und Universitäten, die in China staatlich betrieben werden. Landesweit gibt es knapp 3000 Universitäten und Hochschulen, davon etwa 100 Elite-Universitäten, die durch finanzielle Förderprogramme besonders unterstützt werden, vergleichbar mit der Exzellenzinitiative für Universitäten in Deutschland.
Diese Investitionen haben handfeste Folgen, über die vergangenen 20 Jahre verzehnfachte sich die Zahl der Hochschulabsolventen. Allein im Jahr 2023 schlossen 11,6 Millionen chinesische Studierende ihr Hochschulstudium ab. Mehr als 20 Prozent der chinesischen Bevölkerung verfügen mittlerweile über einen akademischen Abschluss, das sind 200 Millionen Menschen.
Die reine Anzahl an weiterführenden Schulen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass an vielen weiterführenden Schulen eine Unterfinanzierung herrscht, was sich auf die Qualität der Ausbildung auswirkt. Durch das rapide Wachstum kommt es weiterhin zu einem Missverhältnis von Ausbildung und den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts.
Ausbildung und der Einfluss der Familien
Aufgrund der Ein-Kind-Politik investieren viele chinesische Eltern ihr Geld in die Ausbildung der Kinder in der Hoffnung, dass diese sie im Alter versorgen – und vor allem auch versorgen können. Neben den Immobilien ist das der Bereich, in den die Bevölkerung in den letzten Jahren am meisten investiert hat. Private Nachhilfeschulen hatten einen enormen Zulauf, da sie ein Garant dafür waren, dass die Kinder auf die besten Schulen und dann später auf die besten Universitäten kommen.
Um den Druck auf Schüler und Studierende zu verringern, steuerte Präsident Xi Jinping dagegen, indem er im Jahr 2021 private Nachhilfeschulen verbot oder zur Gemeinnützigkeit verpflichtete. Viele Eltern werden aber einfach privat unter der Hand weiter für die Nachhilfestunden zahlen.
Der sogenannte Gaokao, eine jährlich, landesweit einheitlich abgehaltene Art Abiturprüfung, führt dazu, dass das gesamte Land für eine Woche den Atem anhält, weil die Eltern ihre Zöglinge unterstützen und auch dem Rest der Bevölkerung die lebensentscheidende Bedeutung dieser Prüfung klar ist. Eltern nehmen Urlaub, um den Kindern Essen zu kochen, sie aufzumuntern, zu den Prüfungen zu fahren, und manche Städte verbieten laute Arbeiten zu dieser Zeit. Diese Prüfung entscheidet darüber, ob jemand an eine der besten Universitäten des Landes angenommen wird.
Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt um die besten Stellen
Die chinesische Wirtschaft befindet sich zurzeit in einer Phase der Stagnation. Bei den Technologiefirmen wie Huawei und Xiaomi sowie den Internetgiganten Alibaba und Tencent kam es nach Corona zu zahlreichen Entlassungen. Im Immobiliensektor geriet der Immobilienmogul Evergrande nach finanziellen Schwierigkeiten in die Insolvenz, ebenso die Online-Lern-Plattform New Oriental. Die Corona-Pandemie verschärfte die Situation, da viele Studierende ihr Studium durch einen Masterabschluss erweiterten, mit zwei Jahren Verzögerung auf den Arbeitsmarkt drängten und sich das Angebot mit Bachelorabsolventen teilen mussten. Die Arbeitgeberseite konnte in dieser Situation Absolventen der renommiertesten Hochschulen auswählen.
In der Folge drängten viele Hochschulabsolventen in den Niedriglohnsektor, zum Beispiel als Lieferanten für Online-Services, was dort wiederum zu einem Verfall des Lohnniveaus führte. Andere sind zur Kostenersparnis zu ihrer Familie zurückgezogen oder pflegen ihre Eltern gegen Entgelt. Ein bekannter Slogan der unter 20- bis 30-Jährigen kehrt resignierend vier traditionelle chinesische Lebensziele ins Gegenteil um, die „vier neuen Leeren“: „nicht heiraten, kein Haus kaufen, keine Kinder bekommen und keine Arbeit haben“.
Ab aufs Land mit jungen Menschen und Studienabsolventen
Ein Fünftel der 16- bis 24-jährigen Jugendlichen in den Städten war im Juni 2023 in der Volksrepublik China laut der Nationalen Statistikbehörde arbeitslos, die tatsächliche Quote dürfte weitaus höher liegen. Dieser Prozentsatz ist alarmierend, da nach Angaben des Ministeriums für Humanressourcen und soziale Sicherheit die Arbeitslosigkeit für alle Altersgruppen seit mehreren Jahrzehnten konstant um die fünf Prozent der städtischen Bevölkerung liegt.
Junge Menschen, die keine Zukunft haben, werden als Bedrohung für jedes politische System angesehen. Die chinesische Regierung versucht, dem Problem damit zu begegnen, die Jugendlichen auf das Land zu schicken, dorthin, wo Arbeitskräfte benötigt werden. Allerdings wollen die wenigsten Hochschulabsolventen wie zu Zeiten der Kulturrevolution aufs Land verschickt werden.
Verbeamtung als staatliche Maßnahme
Andere Varianten sind, die Uniabsolventen zu verbeamten oder in Staatsbetrieben unterzubringen. Teilweise werden bis zu einem Drittel der Absolventen eines Jahrgangs verbeamtet, oft auf dem Land. Weitere Maßnahmen waren die Einführung des Berufsschulsystems nach deutschem Vorbild, um mehr Praxis in die Ausbildung zu bringen – allerdings mit mäßigem Erfolg, da diese Institutionen häufig als Beschäftigungsmaßnahme angesehen wurden.
Aktuell besteht seitens Chinas großes Interesse, das duale Studium nach deutschem Vorbild als Lösung für das Problem mangelnder Praxis zu testen. Eine weitere Alternative ist, die Jugendlichen in das Ausland zu schicken, wo sie gut ausgebildet werden, einige Jahre arbeiten und dann als qualifizierte Fachkräfte in die VR China zurückkehren können.
Falls alle diese Lösungsansätze nicht fruchten, sind diese Jahrgänge für den Arbeitsmarkt verloren, denn wenn sie erstmal auf dem Land eine verbeamtete Stellung haben, werden sie sich in Zukunft kaum weiterbilden. Dann wäre die Ausbildung gerade der Hochqualifizierten ins Leere gelaufen, wenn in zehn oder 20 Jahren Akademiker wieder dringend gesucht werden. (BILD: privat)
Barbara Darimont ist Professorin am Ostasieninstitut der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen (OAI). Ihr Spezialgebiet ist China.
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