Autoverband VDA

Chancen und Herausforderungen beim Umstieg vom Verbrenner auf Elektro

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Tobias Kisling
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Der Wandel hinzu Elektroautos wird Jobs kosten, sagt VDA-Präsidentin Müller – aber in Deutschland könnten dadurch auch neue Arbeitsplätze entstehen. © dpa

Berlin. Es ist ein gespaltenes Bild, das die deutsche Autoindustrie in diesen Tagen abgibt. Auf der einen Seite stehen Milliardengewinne der deutschen Autobauer. Auf der anderen Seite trüben der Chip- und Rohstoffmangel die Aussichten. Mit Argusaugen blickt die Schlüsselindustrie zudem auf den Wahlkampf. Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), positioniert sich eindeutig.

Frau Müller, in der Automobil- industrie brummt es. Ist die Krise überwunden?

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Hildegard Müller steht seit Februar 2020 an der Spitze des Verbandes der Automobilindustrie.

Zuvor arbeitete die 54-Jährige beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft sowie als Vorständin für die RWE-Tochter innogy.

Von 2005 bis 2008 war Müller Staatsministerin für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). tki (BILD: dpa)

Hildegard Müller: Das wäre schön. Der chinesische Markt liegt bereits wieder auf dem Niveau des Jahres 2019, auch Amerika erholt sich, Europa liegt dagegen noch mehr als 20 Prozent darunter. Und 2019 war schon kein gutes Jahr auf den Automobilmärkten. Für die Unternehmen, die viele Märkte bedienen, ist die Lage besser geworden als im Vorjahr. Aber: Viele Zulieferer, und da sind sehr viele Arbeitsplätze in Deutschland, leiden nach wie vor erheblich – und sind zusätzlich durch die größte Transformation in ihrer Geschichte gefordert. Hinzu kommt, dass die aktuelle Rohstoffknappheit den Aufschwung bremst.

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Werden die Bänder bald wieder stillstehen?

Müller: Es stehen bereits Bänder still, weil Bauteile fehlen. Ich rechne nicht mit einer Verschlechterung der Lage, aber die Situation ist schwierig, wir sind abhängig vom Weltmarkt. Künftig müssen Deutschland und Europa Rohstoffsicherheit anders denken. Wir brauchen heimische Chip-Fabriken. Genauso wichtig sind neue Handelsabkommen und eine aktivere Außenpolitik für Rohstoffsicherheit als bisher.

VW, Daimler und BMW haben Milliarden an Dividende ausgeschüttet – obwohl jeweils Kurzarbeitergeld bezogen wurde. Halten Sie diese Aktionärsförderung auf Staatskosten für gerechtfertigt?

Müller: Die Autoindustrie zahlt doch viel mehr ein, als sie entnimmt in Krisenzeiten. Seit 2005 haben die Unternehmen rund 4,7 Milliarden Euro mehr in die Sozialkassen eingezahlt, als an Leistungen für die Automobilindustrie im Rahmen von Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld und anderen Leistungen ausgezahlt wurden. Zudem: Kurzarbeitergeld ist vergleichbar mit einer Feuerversicherung. Wenn das Haus abbrennt, dann zahlt die Versicherung. Es wird nicht geprüft, ob der Kunde Geld auf dem Konto hat und das Haus aus eigener Tasche wieder aufbauen könnte. Das ist das Prinzip einer Versicherung.

Die EU-Kommission hat die CO2-Vorgaben verschärft. Was heißt das für die Branche?

Müller: Die Autoindustrie unterstützt ausdrücklich die Klimaziele und wir wollen bei klimaneutraler Mobilität die Maßstäbe setzen. Die deutschen Hersteller sind bereits Europameister bei E-Autos und wir wollen Weltmeister werden und damit weltweit am meisten neue E-Autos auf den Markt bringen. Gleichzeitig ist die deutliche Verschärfung der CO2-Reduktion für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zum Jahr 2030 ein extremer Eingriff in den Markt. Da noch nicht alle Länder in Europa so weit sind wie wir, müssen mit dieser Vorgabe ab 2030 etwa 80 Prozent elektrische Autos in den deutschen Markt. Und bereits zwei Jahre später werden in Deutschland de facto keine neuen Benziner und Diesel mehr verkauft werden können, vielleicht sogar auch keine Hybride. Das wird für die Menschen nur funktionieren, wenn wir eine gute Ladesäuleninfrastruktur und ausreichend Ökostrom haben.

Was muss jetzt bei den Ladesäulen passieren?

Müller: Wir brauchen bis 2030 allein in Deutschland mindestens eine Million Ladepunkte, mit den verschärften Vorgaben voraussichtlich sogar deutlich mehr. Zum Stand Juli gibt es aber gerade einmal 39 000 normale Ladepunkte und 6500 Schnellladepunkte. Um das Ziel zu erreichen, müssten pro Woche 2000 neue Ladepunkte gebaut werden. Es werden aber nur um die 300 gebaut. Die Konsequenz: Die Schere zwischen Ladepunkten und E-Autos wird größer statt kleiner, das ist schlecht für den Verbraucher. Wir brauchen hier mehr Anstrengung.

Können Sie garantieren, dass ich, wenn ich mir heute einen neuen Diesel kaufe, diesen auch in sieben Jahren noch fahren kann?

Müller: Technisch ja. Die deutschen Hersteller bauen die besten Autos. Das Primat der Politik liegt natürlich beim Gesetzgeber, also kann ich nichts garantieren. Aber: Mobilität ist soziale Teilhabe. Sollte wirklich ernsthaft jemand ein Fahrverbot erhalten, weil er in ein paar Jahren aus finanziellen Gründen sein Verbrennerauto nicht gegen ein Elektroauto eintauschen kann, bekommen wir ein gewaltiges soziales Problem. Das wäre nichts anderes als eine Enteignung.

Wie viele Zulieferer werden beim Wandel auf der Strecke bleiben, wie viele Jobs wird es kosten?

Müller: Ein Elektromotor hat viel weniger und andere Komponenten als ein Verbrennungsmotor. Der Wandel zur E-Mobilität wird Jobs kosten, allen Umschulungsmaßnahmen zum Trotz. Nicht jeder kann Softwarespezialist werden. Entscheidend sind deshalb jetzt die Standortbedingungen. Davon ist abhängig, wo die neuen Jobs entstehen. Wir wollen natürlich, dass das in Deutschland ist. Der beste Klimaschutz entsteht am besten Standort. Wir Deutschen haben das Auto erfunden. Und wir erfinden es ständig neu. Angst ist kein gutes Unternehmertum.

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