Mannheim. Im vergangenen Juni hatte der Bundestag ein Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in der Lieferkette verabschiedet. Deutsche Unternehmen haben nun bis zum 1. Januar 2023 Zeit, ihre globale Wertschöpfung auf die neuen Anforderungen einzustellen.
Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, sich ihre Liefer- und Produktionsketten im Hinblick auf mögliche Menschenrechtsverstöße genau anzusehen, Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und Beschwerdeverfahren aufzusetzen. Die Unternehmen sollen Verantwortung übernehmen für den Schutz von Leben und Gesundheit ihrer Mitarbeiter und die Verhinderung von Kinder- und Zwangsarbeit -auch im Ausland.
Damit steigen die Anforderungen an das Risikomanagement. Ähnliche Regelungen werden auch auf Ebene der EU vorbereitet. „Deutsche Unternehmen und Tochtergesellschaften ausländischer Firmen in Deutschland, die ihre Abläufe nicht an die neue Gesetzeslage anpassen, gehen ein hohes finanzielles Risiko ein“, warnt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC.
Internationale Lieferketten würden immer fragiler, registriert Stefan Wawrzinek, Mitbegründer des auf das Management besagter Lieferketten spezialisierten IT-Dienstleisters Osapiens. Lieferengpässe, Epidemien, Klimakatastrophen: Gefahren drohen auf vielen Ebenen. Wichtig sei es deshalb, Transparenz zu schaffen und das Geschehen auch im erweiterten Produktions- und Vertriebskreislauf im Blick zu behalten, sagt der Manager.
Die junge Firma Osapiens, angesiedelt im Mannheimer Gründer- und Technologiezentrum Mafinex, hat mehr als 100 große Unternehmen zu den erwarteten Auswirkungen des LkSG befragt. Die Studie sollte zeigen, wie gut die Unternehmen vorbereitet sind und was sie planen, um sich auf die neuen Anforderungen einzustellen.
Bei den Befragten handelte es sich mehrheitlich um Konzerne mit mehr als 5000 Beschäftigten. In einer zweiten Erhebung, die noch im Mai starten soll, wird der Mittelstand im Fokus stehen. Das Gesetz formuliere verbindliche Standards für alle Unternehmen, betont Anosha Wahidi vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das an der Konzeption der Studie beteiligt war: „Alle Branchen sind tangiert“.
An der Erhebung beteiligten sich Firmen aus dem Automobilsektor, der Nahrungsmittel- oder Getränkeindustrie, Gesundheit und Pflege, Elektronik, Textilien, Transport, Energie, Finanzen oder der Bauwirtschaft. „Das LkSG betrifft alle Branchen“, sagt auch Wawrzinek. Der Aufwand, der auf die Unternehmen zukommt, ist erheblich: Mehr als ein Drittel der befragten Konzerne haben nach eigenen Angaben bis zu 10 000 Zulieferer.
Die meisten Unternehmen stellen sich laut Studie zwar auf die veränderte Gesetzeslage ein, beschränken sich aber noch vorwiegend auf den unmittelbaren Wirkungskreis. Schutzmaßnahmen wie die Einführung eines verbindlichen Code of Conduct, Schulungen oder Audits hat die Mehrheit der befragten Unternehmen bislang nur für den eigenen Geschäftsbereich oder unmittelbare Zulieferer implementiert. Auch ein Beschwerdemanagement erstreckt sich bislang mehrheitlich auf den eigenen Geschäftsbereich.
Schon um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden brauche man künftig internationale Standards, sagt Ministeriumsvertreterin Wahidi. Verhandlungen laufen deshalb auch auf internationaler Ebene. Die Europäische Kommission hat im Februar einen Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt. Damit sollen in der EU einheitliche Regeln für nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln durchgesetzt werden.
Laut einer Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) geht dieser sogar über die deutschen Bestimmungen hinaus. So soll die Richtlinie für alle Unternehmen in der EU mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresumsatz von 150 Millionen Euro gelten. Das wären laut EU-Kommission rund 13 000 Unternehmen in Europa. Die vorgesehenen Sorgfaltspflichten beziehen sich auf die gesamte Wertschöpfungskette einschließlich etwaiger Tochterunternehmen oder Handelspartner.
„Die schlimmsten Risiken sind zumeist am Beginn der Lieferkette, in den Produktionsländern“, betont Wahidi: „Je mehr Sie outsourcen, umso größer wird Ihre Überwachungspflicht. Die Sorgfaltspflicht fällt durch Outsourcing nicht weg“.
Die neuen Auflagen machten Lieferketten aber auch robuster, betont sie. Die durch die neuen Verpflichtungen ausgelösten Veränderungen würden sich voraussichtlich positiv auswirken auf das Produkt- und Markenimage. Überdies gelte eine Bemüh-, und nicht eine Ergebnispflicht: Die Betriebe müssen darlegen, dass sie alles in ihrer Kraft Stehende versucht haben.
Die Unternehmen befürchten dennoch Grauzonen: Fast alle befragten Konzerne gaben an, sie erwarteten Risiken durch unklare Anforderungen darüber zum Beispiel, wo die Sorgfaltspflicht endet: So sei es nicht ungewöhnlich, dass Zulieferer vor Ort, wenn sie eine Monopolstellung haben, den Zugang zu den Produktionsstätten verweigern oder die geforderten Informationen nicht herausgeben.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-bedingt-verantwortungsbereit-_arid,1953110.html