Stuttgart/Tübingen. Wieder gibt es Aufregung um den Tübinger Impfstoffhersteller Curevac. Jüngst sprach Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha über „Komplikationen“ im Zulassungsprozess. Der Grünen-Politiker berief sich auf eine Information von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Hinweis, dass „erst realistisch im August“ mit einer Genehmigung zu rechnen sei, schickte den Aktienkurs von Curevac auf Talfahrt, in der Spitze um 16 Prozent. Tags darauf verweigerte Spahn-Sprecher Hanno Kautz mit Verweis auf die vertrauliche Sitzung der Gesundheitsministerkonferenz nähere Erklärungen. Luchas Aussagen bestritt er aber nicht.
Wo liegen die Probleme?
Immer wieder hatte Curevac als Termin für die Zulassung Ende Juni angegeben. Die Bundesregierung hatte für das laufende Quartal schon die ersten 1,4 Millionen Dosen des Vakzins eingeplant. Nach Luchas öffentlichen Einlassungen korrigiert das Unternehmen seinen Zeitplan. Man habe die klinischen Daten der Phase-3-Studie nicht so schnell an die europäische Arzneimittelbehörde EMA liefern können wie geplant, räumt Sprecherin Sarah Fakih ein. Der Grund sei, „dass bisher nicht genügend Infektionen unter den Teilnehmern aufgetreten sind“. Die EMA verlangt 160 Infektionen, um die Wirksamkeit im Vergleich zur Placebogruppe beurteilen zu können. Laut Protokoll für die entscheidende Zulassungsstudie mit knapp 40 000 Teilnehmern waren für die erste Stufe mindestens 59 Corona-Fälle notwendig, die hat man auch erreicht. Für die zweite Stufe sind mindestens 111 Fälle vorgesehen. Man erwarte ein Update zur zweiten Stufe im Laufe des Junis. Als Termin der Datenlieferung für die 160 Fälle nennt man jetzt Ende Juni. Einige Wochen wird sich die EMA dann aber Zeit für die Prüfung nehmen.
Wie kam Spahn auf das Datum August?
Das ist zweifelhaft. Denn: An der Datenlage hat sich nichts geändert. Wo keine Daten, da keine Aussage möglich – offensichtlich tätigte Spahn sie dennoch. Auch ein Curevac-Sprecher sagte: „Wir können in der Tat bestätigen, dass sich an der uns vorliegenden Datenlage bislang nichts geändert hat.“ Aus dem Bundesgesundheitsministerium kamen kaum Antworten auf Fragen dazu. Auf mehrere Nachfragen hin hieß es dann: „Dem BMG liegen keine aktuellen Informationen der EMA dazu vor. Das Zulassungsverfahren bleibt insoweit abzuwarten.“ Die EMA schreibt auf Anfrage: „Während die Evaluierung eines Covid-19-Impfstoffs im Gange ist, können wir die Daten/Informationen, die wir überprüfen, nicht kommentieren.“ Zu Fristen für eine Zulassung könne man sich erst äußern, wenn ein Antrag eingereicht wurde.
Welche Folgen haben die Verzögerungen?
Spahn hat seinen Kollegen in den Ländern bereits mitgeteilt, dass er für die laufende Impfkampagne in Deutschland nicht mehr mit Curevac plane. Das sei „eine der größeren Enttäuschungen“. Frühere Lieferprognosen enthielten für die Monate bis September 9,4 Millionen Dosen, im letzten Quartal sogar 28,9 Millionen. In seiner Regierungserklärung Mitte Januar sagte der CDU-Minister, der Bund habe sich 60 Millionen Dosen von Curevac gesichert. Sein Sprecher lässt sich jetzt nicht festlegen, wie sich der Ausfall beim Impfen auswirkt. Die Lage verschärft sich offenkundig, weil Deutschland ab Mitte des Jahres auf den Stoff von AstraZeneca verzichten will. Schon jetzt klagen die Ärzte über den Impfstoffmangel, auch die Impfzentren sind nicht ausgelastet.
Warum wachsen jetzt die Zweifel?
Die Zahlenbasis für die Curevac-Zulassung verschlechtert sich durch die lange Ungewissheit zusätzlich. Immer öfter lassen sich Teilnehmer der Studien „entblinden“. Wer ein Placebo bekommen hat, ist nicht geschützt und bei den Öffnungsschritten außen vor. Wer Sicherheit und seine Freiheit zurückhaben will, scheidet aus dem Programm aus. Einzelne Ärzte äußern angesichts der langen Studiengeschichte hinter verdeckter Hand Zweifel an der Wirksamkeit des Impfstoffs. „Ich vermute, dass der Stoff nicht so wirksam ist“, sagt einer dieser Mediziner.
Gibt es auch hausgemachte Probleme?
Sowohl Curevac als auch Biontech hatten an mRNA-Impfstoffen für Krebspatienten gearbeitet, bevor Corona kam. Zunächst hatte man größte Hoffnungen in Curevac gesteckt, dessen Hauptaktionär Dietmar Hopp mit seiner Beteiligungsgesellschaft dievini ist. Im März 2020 gab es Gerüchte, der damalige US-Präsident Donald Trump hätte versucht, den USA Exklusivrechte bei den Tübingern zu sichern. Curevac dementiert ein solches Angebot. Die Bundesregierung stieg im Sommer mit 300 Millionen Euro bei Curevac ein. „Man hätte schneller sein können, wenn wir die Mittel früher gehabt hätten“, sagte Vorstandschef Franz-Werner Haas nun. Biontech hatte aber die gleiche Ausgangssituation. Man setzte nur seine Prioritäten anders, konzentrierte sich voll auf Corona. Diese Entscheidung traf der Ex-Curevac-Vorstandschef Daniel Menichella nicht, wollte parallel Krebsforschung betreiben. Unter Experten heißt es, dieser Kurs habe eine Rolle dabei gespielt, dass Menichella gehen musste. Auch das frühzeitige Bündnis, das Biontech mit dem Pharmariesen Pfizer geschlossen hatte, verschaffte den Mainzern Vorteile – finanzielle, aber auch operative, etwa beim Rekrutieren von Studienteilnehmern. Die für eine Zulassung nötigen Daten aus der Phase-3-Studie konnte Biontech also schon Ende 2020 liefern. Da begannen die Tübinger erst mit dieser Studienphase. Einen großen und hilfreichen Partner holte sich Curevac erst Anfang 2021: Bayer.
Warum braucht Curevac bei der Studie länger als die anderen?
Das ist einerseits damit zu erklären, dass Curevac bei der Teilnehmersuche noch keinen großen Partner an Bord hatte. Der zweite Punkt hat mit dem Verlauf der Pandemie zu tun: Als Biontech und der US-amerikanische Hersteller Moderna mitten in ihren Studien waren, gab es lange nicht so viele Virusvarianten, wie heute. Jeder Corona-Fall in der Studie wird demnach genetisch sequenziert. Das heißt, es wird für jede Infektion die Virusvariante bestimmt. Das kostet zusätzliche Zeit.
Wie erklärt das Unternehmen seinen Kurs?
Die Curevac-Sprecher haben Fragen nach dem langsamen Vorankommen in der Vergangenheit damit erklärt, dass man nach dem besten Kandidaten suchte. Der große Vorteil soll nun sein, dass der Impfstoff in haushaltsüblichen Kühlschränken gelagert werden kann, während das Produkt von Biontech eine aufwendige Logistik für tiefe Temperaturen erfordert. Außerdem benötige das Vakzin nur sehr wenige Mengen des Botenstoffs mRNA.
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