Gastbeitrag - Zum Abschluss der Serie "Zukunft der Arbeit" entwirft Personalexpertin Ana-Cristina Grohnert ein Bild der neuen Arbeitswelt

Auch in der digitalen Welt geht uns die Arbeit nicht aus

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Ana-Cristina Grohnert
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Zusammenarbeit wird künftig noch wichtiger sein, sagt Personalexpertin Ana-Cristina Grohnert voraus.

© Thinkstock, EY/Umbach

Hamburg. Sind Sie auch schon vom digitalen Wandel betroffen? Haben Sie vielleicht einen dieser Kühlschränke, der selbständig per Internetverbindung beim Supermarkt Milch bestellt, schon lange, bevor Ihnen diese auszugehen droht? Oder einen 3-D-Drucker, der das Gesicht Ihrer Kinder zum Geburtstag als plastisches Porträt aus Schokolade herstellen kann? Vermutlich nicht, dennoch ist die Digitalisierung eine der großen Veränderungen, die den Arbeitenden auch Sorgen bereitet.

Fast täglich erreichen uns Berichte über neue technologische Möglichkeiten, und die digitale Transformation ist auf allen großen Wirtschaftskonferenzen das beherrschende Thema. Meist hören wir in diesem Zusammenhang auch Vorhersagen über die Zukunft der Arbeit. Und immer wieder taucht die utopische Vorstellung auf, die Arbeit würde in Zukunft nur noch von Maschinen gemacht und deshalb ständig weniger werden. Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat erst kürzlich festgestellt, dass 2015 in Deutschland mit 59 Milliarden Stunden so viel gearbeitet wurde wie nie zuvor. Und das, obwohl viele Transformationsprozesse in Unternehmen bereits im Gange sind.

Die utopischen Prognosen übersehen zudem etwas Grundsätzliches: Menschliche Arbeit ist die Basis der Wertschöpfung. Sie ist nicht nur notwendig für die Existenzsicherung jeder und jedes Einzelnen, sondern auch für die Weiterentwicklung in Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt. Kurz gesagt: Maschinen erfinden nichts, aber sie müssen erfunden und produziert werden. Maschinen übernehmen im Laufe der Zeit diejenigen Tätigkeiten, die standardisierbar sind und in Computerprogramme übersetzt werden können.

Wenn wir zurückschauen, dann basiert unsere Ökonomie des vergangenen Jahrhunderts auf der industriellen Massenproduktion und der sogenannten "Economy of scales". Es wurden bestimmte Güter in gleicher Form für eine möglichst große Masse an Menschen hergestellt, wodurch die Produktionskosten niedrig waren und die Preise günstig. Das ändert sich gerade. Beim Konzept "Industrie 4.0" geht es ja nicht einfach nur darum, mehr Informationstechnologie einzusetzen, sondern es gibt ein ganz bestimmtes Ziel. Hinter dem Begriff der "Losgröße 1" verbirgt sich der Gedanke, jedes Produkt nach den höchst individuellen Vorstellungen einzelner Kunden herstellen zu können.

Und diese wiederum sind bereit, für ihr ganz spezielles Produkt einen höheren Preis zu zahlen als für einen Massenartikel. Zum Beispiel für das dreidimensional gedruckte Schokoladengesicht ihres Kindes, das ihnen möglicherweise mehr Wert sein wird, als die gleiche Menge Blockschokolade. In Zukunft wird also nicht mehr die "Economy of scales" bestimmen, sondern die "Economy of accuracy", eine Ökonomie der bestmöglichen Erfüllung individualisierter Kundenbedürfnisse. Was bedeutet das nun für die Zukunft der Arbeit? Erst einmal, dass uns die Arbeit nicht ausgehen wird.

Aber sie wird ihren Charakter verändern. Der Schwerpunkt wird sich von einfachen zu komplexeren und höherwertigen Tätigkeiten verlagern. Dies löst eine Notwendigkeit zur ständigen Weiterqualifizierung aus. Aber auch eine Notwendigkeit, über bestimmte Kompetenzniveaus hinweg konstruktiv zusammenzuarbeiten. Es bedeutet gerade nicht, dass Menschen mit weniger Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden.

Freiheit für Kreativität

Sie müssen von Unternehmen nur besser eingebunden und beteiligt werden. Zugleich müssen wir mehr Freiheit für Kreativität schaffen und Experimentierfreude wecken. Dazu gehört auch eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern. Denn Experimente können auch schief gehen, aber dies darf kein Argument gegen neue Experimente und die Suche nach besseren Lösungen sein. Helfen kann den Unternehmen dabei auch das Konzept der Vielfalt. Die Zusammensetzung von Organisationen aus Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Lebensläufen und Persönlichkeitsstrukturen stärkt die Leistungsfähigkeit.

Insgesamt wird die Arbeitswelt der Zukunft geprägt sein durch mehr Kooperation, mehr Flexibilität und einem höheren Qualitätsanspruch an Arbeitsergebnisse und Nachhaltigkeit. Das ist kein Nachteil für Beschäftigte. Die Arbeit wird abwechslungsreicher und interessanter werden, sie wird sich besser mit dem Privatleben vereinbaren lassen, sie wird mehr Sinn haben als in der Vergangenheit und sich auch verstärkt am gesellschaftlichen Nutzen messen.

"New Work", wie diese Entwicklung auch genannt wird, ist eine neue Art der Organisation von Arbeit, die sich generell stärker an den verschiedensten Bedürfnissen von Menschen orientiert, ob das nun Kunden oder Mitarbeiter sind. Der Mensch im Mittelpunkt, auf Augenhöhe mit den Führungskräften, eingebettet in die Geschäftsstrategie mit allen Möglichkeiten und viel Raum für Gestaltung. Diese Art der Arbeit sollte uns gar nicht ausgehen!

Ana-Cristina Grohnert

Die Personal- und Finanzexpertin Ana-Cristina Grohnert ist Managing Partner Talent bei der Unternehmensberatung EY.

Zudem ist sie Mitglied der Geschäftsführung der Ernst & Young GmbH.

Für Diversity-Themen, wie etwa Demografie, interkulturelle Öffnung, gleiche Bezahlung der Geschlechter und Gleichstellung, engagiert sie sich außerdem als Vorstandsvorsitzende des Vereins Charta der Vielfalt.

Grohnert lebt und arbeitet in Hamburg. be

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