Gesundheit

Apotheken klagen über Engpässe

Bundesweit sind knapp 500 Medikamente nicht lieferbar. Experten sagen, was im Herbst und Winter droht

Von 
Beate Kranz
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Der Winter hat noch nicht begonnen – und bereits jetzt sind schon knapp 500 Medikamente nicht lieferbar. © Monika Skolimowska/dpa

Berlin. Mal fehlt ein Medikament gegen Krebs oder Diabetes. Mal ist ein Cholesterin- oder Blutdrucksenker nicht vorrätig oder ein Impfstoff für die nächste Fernreise. Damit Patienten dennoch für ihr Rezept schnell den passenden Wirkstoff bekommen, reißen sich viele Apotheker förmlich die Beine aus. Sie rufen Großhändler, benachbarte Apotheken an, um das Arzneimittel doch noch zu erhalten. Treiben sie den Wirkstoff unter einer anderen Marke auf, kontaktieren sie die behandelnden Ärzte, um sich rückzuversichern, ob sie den Ersatzstoff aushändigen dürfen. Dies alles ist Alltag in Deutschland und kostet Ärzte sowie Apotheker viel Zeit und Kraft.

„Immer wieder ist ein Medikament nicht lieferbar. Das ist für uns seit Jahren ein ständiges Thema“, berichtet eine Berliner Hausärztin. Oft setzt sie sich persönlich für ihre Patientinnen und Patienten ans Telefon, um eine Apotheke aufzutreiben, die das Arzneimittel doch noch in ihren Regalen hat. Wenn nicht, muss die Ärztin ihre Patienten auf neue Medikamente umstellen. „Das macht uns viel zusätzliche Arbeit.“

Betroffen seien viele wichtige Medikamente

Von solchen Lieferengpässe sind „alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte in Praxen und Krankenhäusern betroffen“, sagt Susanne Johna, Erste Vorsitzende des Marburger Bundes. „Eine Umgewöhnung auf andere Präparate ist in vielen Fällen unproblematisch, kann aber auch vereinzelt zu Beschwerden führen.“

„Wenn Patienten wiederum nicht ihre angestammten Medikamente bekommen, sondern ein Ersatzprodukt, sind sie oft extrem genervt und misstrauisch, weil die Tabletten anders aussehen, eine andere Farbe haben oder größer sind“, berichtet die Apothekerin Hannah Stauber aus ihrem Alltag.

Aktuell sind knapp 500 Medikamente von Lieferengpässen betroffen. „Das sind allerdings nur die freiwilligen Meldungen der Hersteller für rezeptpflichtige, versorgungskritische Wirkstoffe, so dass der wahre Umfang des Problems noch viel größer sein dürfte“, sagt der Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Mathias Arnold. Betroffen seien viele wichtige Medikamente von Antibiotika über Insuline bis zu Schmerz- und Betäubungsmitteln.

„Der Trend bei den Lieferengpässen geht grundsätzlich leider in den vergangenen Jahren nach oben“, berichtet Arnold. Und er werde im Herbst und Winter durch die höhere Nachfrage wegen Infektionen oft noch saisonal verstärkt.

In Europa gibt es nur noch ein Werk in Österreich für Antibiotika

Die Gründe für Engpässe sind vielfältig, meistens handelt es sich um Produktionsprobleme. „Die Lieferengpässe sind kein aktuelles, sondern ein strukturelles Problem“, sagt Hannes Hönemann vom Herstellerverband Pharma Deutschland. Wesentliche Ursachen seien „die überdrehte und komplexe Preisregulation bei gleichzeitigem stetig steigenden Kostendruck auf die Hersteller“.

Viele der unterschiedlichen Wirkstoffe und Generika werden aus Kostengründen nicht mehr in Deutschland oder in Europa hergestellt, sondern kommen aus Indien und China. Irgendwo gibt es immer Produktionsprobleme, betont der Vize-Apothekerverbandschef Arnold: „Diese lassen sich angesichts von Sparzwängen der Krankenkassen und Globalisierung der Hersteller dann auch nicht kurzfristig durch eine europäische oder gar deutsche Produktion auffangen.“

In Europa gibt es nur noch ein Werk in Österreich, das Antibiotika produziert. Fast alle Generika – wie Blutdrucksenker oder Paracetamol gegen typische Krankheiten – kommen aus Asien, weil die Produktion dort billiger ist.

Nachdem im Winter 2022/2023 sogar Basismedikamente wie Fiebersäfte für Kinder fehlten, wurde Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) 2023 mit einem Gesetz gegen Lieferengpässe („ALBVVG“) aktiv. Allerdings bringt dieses bisher keine spürbare Entlastung, sagt der ABDA-Vizepräsident. Es reiche vor allem nicht, um eine „umfassende Versorgung mit generischen Arzneimitteln zu gewährleisten“, so der Pharmaverband.

Stattdessen müssten Apotheken weiter jeden Tag nach Alternativmedikamenten suchen. Für die Lösung solcher Engpassprobleme, die schnell mal eine halbe Stunde kosten können, erhalten die Apotheker 50 Cent Honorar. „Das ist keine angemessene Vergütung für eine lebenswichtige Versorgungsleistung“, kritisiert Arnold.

Insgesamt werden in Deutschland jährlich 310 Milliarden Euro für die Gesundheit ausgegeben – etwa 17 Prozent davon für Medikamente. Die Mehrheit von 70 Prozent der verabreichten Arzneimittel sind Generika. Auch wenn es für die Versorgungssicherheit wünschenswert wäre, ist kaum davon auszugehen, dass Produktionen aus Asien zurückgeholt werden. Für Konzerne wäre dies wirtschaftlich nicht rentabel.

„Europa muss Abhängigkeit von Drittstaaten deutlich verringern“

Die Ärzteschaft im Marburger Bund fordert dagegen die Rückverlagerung der Produktion von Wirkstoffen und Medikamenten nach Europa sowie den Aufbau strategischer Reserven von wichtigen Medikamenten. „Zur sicheren Patientenversorgung gehören sichere Medikamente, die verlässlich verfügbar sind“, sagt Johna. Hierfür müsse Europa seine Abhängigkeit von Drittstaaten deutlich verringern.

Zumindest bei Fiebersäften für Kinder gibt es derzeit eine gewisse Entwarnung. Aktuell sind Lieferengpässe „nicht bekannt oder vorhersehbar“, so der Pharmaverband. Dennoch können sie nicht ausgeschlossen werden. Auch Johna schließt nicht aus, dass bei einer größeren Erkältungswelle Tropfen und Zäpfchen für kleine Kinder knapp werden könnten.

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