Essen. Drohen in diesem Winter Stromausfälle wegen der Energiekrise? Eine repräsentative Umfrage des Civey-Instituts ergab jüngst, dass eine Mehrheit (53 Prozent) der Bürgerinnen und Bürger deswegen in großer Sorge ist. Doch wie wahrscheinlich ist ein Blackout tatsächlich? Ein Überblick.
Wie oft kommen Stromausfälle in Deutschland vor?
Der Bundesnetzagentur wurden 2020 bundesweit 162 224 Stromausfälle in 868 Stromnetzen bekannt, etwa 2400 mehr als 2019. Bezogen auf den einzelnen Kunden bedeutete das im Schnitt 10,73 Minuten lang keinen Strom, wohlgemerkt im ganzen Jahr. Dies war die bisher geringste Ausfallzeit seit der ersten Erhebung 2006. Der Mittelwert der Jahre 2010 bis 2020 liegt bei 14,05 Minuten. Die Bundesnetzagentur sprach von einem „konstant hohen Niveau“ der „Versorgungszuverlässigkeit“.
Besteht in diesem Jahr eine größere Stromausfall-Gefahr?
Der Strommarktexperte Christian Rehtanz geht nicht von einer größeren Stromausfall-Gefahr aus. „Das Stromsystem wird in der Spitze durch Gaskraftwerke abgesichert, um die benötigte Leistung zu decken“, sagt der Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dortmund. Daher seien Gas- und Stromsektor gekoppelt. „Aufgrund der immensen Wichtigkeit des Stromsektors wird man alles tun, um dieses lauffähig zu halten.“ Er geht davon aus, dass sogar im Fall einer Gasknappheit Gas vorrangig zur Stromerzeugung eingesetzt wird und eher Industriekunden nicht mehr mit Gas versorgt werden.
Muss also kein Blackout befürchtet werden?
Auch Strommarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool befürchtet keinen Blackout, also einen unkontrollierten Zusammenbruch der Elektrizitätsversorgung. „Möglich ist allenfalls ein sogenannter Brownout, bei dem die Übertragungsnetzbetreiber einzelne Großverbraucher oder Regionen stundenweise vom Netz nehmen müssten“, sagt Huneke. Dies könne bei großer Kälte etwa am frühen Abend geschehen, wenn der Haushaltsstromverbrauch stark zunehme. Die Haushalte in Frankreich spielten dabei eine wichtige Rolle: „Gerade in Frankreich wird viel mit Strom geheizt.“ Wenn dort nicht genügend Atomstrom vorhanden sei, könne die Lastunterdeckung in die Nachbarmärkte herüberschwappen.
Wer kümmert sich darum, dass immer genug Strom da ist?
Auf der einen Seite sind das die Stromproduzenten – angefangen bei Privathaushalten mit Solardach bis hin zu großen Stromerzeugern wie RWE. Um den Stromtransport zu den Verbrauchern kümmern sich die Netzbetreiber, allen voran vier große Unternehmen, die das sogenannte Übertragungsnetz unterhalten. Die Firmen 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW sind für die Überlandleitungen zuständig, durch die der Strom mit Höchstspannung fließt. Die Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, ein „sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz“ zu betreiben.
Wie blicken die Übertragungsnetzbetreiber auf den Winter?
Das wollte das Wirtschaftsministerium im Sommer auch wissen. Für den Stresstest spielten die Übertragungsnetzbetreiber (ÜBN) drei Szenarien mit unterschiedlich schwierigen Bedingungen durch. Es ging dabei um Annahmen zum Pegelstand der Flüsse, über die Kohlekraftwerke mit Brennstoff beliefert werden. Auch Annahmen zur Verfügbarkeit der französischen Atomkraftwerke, zum Einsatz von Heizlüftern und zur Gasverfügbarkeit in Süddeutschland wurden gemacht.
Und was war das Ergebnis des Stresstests?
Die Netzbetreiber bewerten die Versorgungssituation im Winterhalbjahr unter den schwierigen Bedingungen aller drei Szenarien als „äußerst angespannt“. In den kritischeren Szenarien träten in einigen Stunden mehrstündige „Lastunterdeckungen“ auch in Deutschland auf. Das bedeutet: Die Stromnachfrage wäre höher als das Angebot – nicht alle könnten versorgt werden. Im schwierigsten Szenario könnte das in Deutschland im gesamten Winter für 3 bis 12 Stunden Unterdeckung bedeuten. Die Netzbetreiber haben auch die Transportsicherheit im Stromnetz untersucht. Ergebnis: In keinem der drei Szenarien steht in Deutschland genug Kraftwerksleistung zur Verfügung, um Engpässe zu vermeiden. Es würden im Ausland mindestens 5,8 Gigawatt gesichertes Ausgleichspotenzial benötigt. Das entspricht etwa der Leistung von vier großen Kernkraftwerken.
Was empfehlen die ÜNB als Gegenmaßnahmen?
„Dringend empfohlen“ wird die „Nutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung der Strom-Erzeugungs- und Transportkapazitäten“. Sie sprechen sich dafür aus, die Nutzung weiterer Kraftwerkskapazitäten abzusichern, etwa durch eine Marktrückkehr von Kohlekraftwerken aus der Reserve oder durch die Sicherung der Gasversorgung von Gaskraftwerken. Die Verfügbarkeit der noch laufenden Kernkraftwerke bezeichnen sie als weiteren „Baustein“. Skizziert wird auch, was passieren würde, wenn alle empfohlenen Maßnahmen nicht ausreichen: Dann müssten „Exporte beschränkt oder Großverbraucher kontrolliert und temporär abgeschaltet werden“.
Wie hat die Politik auf Ergebnisse des Stresstests reagiert?
Das Wirtschaftsministerium teilte bei der Vorstellung des Stresstests mit: „Eine stundenweise krisenhafte Situation im Stromsystem im Winter 22/23 ist zwar sehr unwahrscheinlich, kann aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden.“ Etliche Maßnahmen, die der Stresstest als notwendig erachte, seien in der Umsetzung, wie beispielsweise die Marktrückkehr der Kohlekraftwerke, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
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