Essity

Ab 2023 gibt es "Tempos made in Mannheim"

Klopapier geht immer. Obwohl viele Leute aktuell lieber sparen, wird hochwertiges Toilettenpapier von Essity gekauft. Mannheim-Standortleiter Roger Schilling erklärt, welche wichtige Rolle Gas bei der Produktion spielt

Von 
Tatjana Junker
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Das Mannheimer Essity-Werk hat eine integrierte Produktion: Der gesamte Herstellungsprozess – vom Holzstamm bis zum fertigen Toilettenpapier – findet hier statt. © Essity

Mannheim. Herr Schilling, in der aktuellen Krise halten viele Menschen das Geld zusammen. Wird auch beim Klopapier gespart?

Roger Schilling: Im Gegenteil, unser Absatz entwickelt sich positiv. Mit unserem Sortiment sind wir gut gewappnet: Essity produziert sowohl eigene Marken wie Zewa oder Tempo als auch Produkte für den Handel und dessen Eigenmarken. Deshalb können wir viele Bedürfnisse abdecken, auch beim Preis.

Greifen Kunden jetzt öfter zu günstigeren Handelsmarken?

Schilling: Bisher gibt es dafür jedenfalls keine Anzeichen.

Essity hat die Preise in den vergangenen Monaten erhöht, weitere Steigerungen sind angekündigt. Haben Sie keine Sorge, dass der Handel Ihre Produkte aus dem Regal wirft, wie es anderen Markenherstellern passiert ist?

Schilling: Die höheren Preise waren immer getrieben durch massive Kostensprünge auf der Produktionsseite - in einem Maß, wie man es bisher nicht für möglich gehalten hätte. Da geht es nicht nur um teure Energie oder das Allzeithoch beim Zellstoffpreis. Auch für Transporte müssen wir deutlich mehr bezahlen. Was ich damit unterstreichen möchte: Im Moment holen wir beim Preis immer noch das nach, was wir als Unternehmen in Vorlage gegangen sind. Natürlich hoffen wir alle, dass der Berg der Kostensteigerungen bald überschritten ist. Aber ich persönlich glaube: Was wir alle als Verbraucher über viele Jahre gewohnt waren, werden wir nicht mehr sehen.

Größtes Werk in Europa



Roger Schilling (Jahrgang 1961) leitet den Mannheimer Essity-Standort seit 2008.

Der gebürtige Heidelberger kam 1985 als Verfahrenstechniker zum Vorgängerunternehmen PWA.

Mannheim ist das größte Hygienepapierwerk von Essity in Europa. Die Anfänge des Standorts liegen im Jahr 1884, als die Zellstofffabrik Waldhof gegründet wurde.

1915 wurde die Marke Zewa eingetragen, die bis heute in Mannheim produziert wird. tat

Sie argumentieren mit dem Zellstoffpreis am Weltmarkt - aber in Mannheim, Ihrem größten Hygienepapierwerk in Europa, machen Sie doch Ihren eigenen Zellstoff …

Schilling: Das stimmt. Aber dafür brauchen wir Holz, und auch das hat sich stark verteuert. Selbst für Restholz, das wir ja verwenden, gibt es heute viel Konkurrenz, zum Beispiel durch die Pellet-Industrie. Die aktuelle Energiekrise hat das verschärft: Jeder hat sich jetzt schnell einen Ofen gekauft und entsprechendes Holz dazu. Außerdem sind wir hier am Standort nicht völlig autark. Über zwei Drittel unseres Zellstoffbedarfs decken wir selbst, den Rest müssen wir zukaufen. Wir versuchen, diese Lücke aber zu schließen, auch durch unsere neue Stroh-Zellstoff-Fabrik. Damit können wir ein weiteres Rohmaterial nutzen, das hier in Deutschland jedes Jahr verfügbar ist.

Die 40-Millionen-Euro-Anlage dafür wurde im vergangenen Jahr eingeweiht. Wie läuft die Produktion?

Schilling: Wir haben seit einiger Zeit das erste Zewa-Toilettenpapier mit zehn Prozent Strohanteil im Markt. Bei der Anlage sind wir noch in der Optimierungsphase, das ist aber normal bei einer völlig neuen Technologie. Wir sehen da viel Potenzial, nicht nur für Zellstoff, sondern auch für das Nebenprodukt Lignin, das bei der Herstellung anfällt. Dafür gibt es viele Interessenten aus anderen Industriezweigen, die schauen, welche Anwendungen möglich sind. Wir selbst haben schon Versuche gemacht und das Lignin als Kunststoffersatz in unseren Papierhandtuchspendern oder in Folie eingesetzt.

Wie viel Zellstoff aus Stroh können Sie produzieren?

Schilling: Die Anlage ist auf 35 000 Tonnen jährlich ausgelegt. 220 000 Tonnen stellen wir aus Holz her. Insgesamt produzieren wir rund 280 000 Tonnen Papier im Jahr.

Die Hygienepapier-Produktion braucht sehr viel Energie, die hohen Kosten treffen die Branche stark. Mit Hakle hat jetzt ein bekannter Hersteller Insolvenz angemeldet. Wie ist die Lage am Essity-Standort Mannheim?

Schilling: Wir haben hier einen Energiemix: Mehr als die Hälfte unseres Bedarfs decken wir durch die Verbrennung von Holzresten aus dem Zellstoffprozess im eigenen Kraftwerk. Dazu kommen Gas, Öl und Strom. Im Kraftwerk haben wir Kraft-Wärme-Kopplung: Mit dem Dampf, der entsteht, erzeugen wir nicht nur Strom, sondern verwenden ihn auch in der Produktion, zum Beispiel zur Papiertrocknung. Technisch ist unsere Energienutzung also auf einem sehr guten Stand. Trotzdem zwingen uns der Ukraine-Krieg und seine Folgen zum Handeln, vor allem bei der Gasversorgung.

Ohne Gas kein Klopapier?

Schilling: Mit der heutigen Technologie ist ohne Gas zumindest kein vernünftiger Betrieb unserer Papiermaschinen möglich. Wir brauchen es vor allem im Trocknungsprozess. Also haben wir überlegt, wie wir die Produktion sicherstellen können, falls kein russisches Gas mehr kommt.

Mit welchem Ergebnis?

Schilling: Wir bauen am Standort die Infrastruktur auf, um künftig mit LNG, also Flüssigerdgas, arbeiten zu können. Da sind wir im Moment an der Technik und haben schon einzelne Verträge geschlossen. Außerdem sprechen wir mit den Genehmigungsbehörden, um das Equipment aufzubauen. Das LNG könnte per Bahn oder Lkw angeliefert werden. Aber zuerst einmal bedeutet das natürlich namhafte Investitionen im Werk - die wir rein vorsorglich betreiben müssen.

Was bedeutet „namhaft“ konkret?

Schilling: Wir sprechen auf jeden Fall über Millionenbeträge.

Am Standort gibt es noch weitere Veränderungen: Die bekannte Taschentuch-Marke Tempo wird künftig in Mannheim produziert. Wann geht es los?

Schilling: Die ersten Tempo-Produkte werden Anfang 2023 vom Band laufen. Im Moment bereiten wir die Verlagerung der Anlagen in beide Richtungen vor: Bisher wird Tempo ja noch am Standort Neuss hergestellt. Künftig wird die Produktion der Marken - also Zewa und Tempo - dann hier in Mannheim gebündelt. Neuss fokussiert sich auf Handelsmarken, da geben wir einen Teil ab. Insgesamt bedeutet der Tausch für Mannheim eine leichte Steigerung des Volumens. Für die Verlagerung haben wir auch neue Mitarbeiter eingestellt.

Was hat das Werk Mannheim von dem Tausch?

Schilling: „Tempo aus Mannheim“, das klingt natürlich toll. Wir mussten vor einigen Jahren ja unsere bekannte Marke Softies aus Wettbewerbsgründen abgeben, das hat viele hier im Werk geschmerzt. Mit Tempo und Zewa haben wir jetzt gleich zwei starke Marken in Mannheim. Als Marken-Standort hat man zudem den Vorteil, Innovationen im Konzern als Erstes zu kriegen und Zukunftsprodukte ins Werk zu holen.

Zum Beispiel?

Schilling: Wir bekommen in Mannheim eine Coreless-Linie: Damit produzieren wir ab Ende 2023/Anfang 2024 Zewa-Toilettenpapier-Rollen, die keine Papphülse mehr in der Mitte haben. Das spart Müll, hat aber auch viele andere Vorteile. Bisher kommt das Produkt aus einem Werk in Frankreich, künftig läuft es bei uns. Mit der Marke Tempo kommt außerdem noch ein weiteres Produkt nach Mannheim, das wir bisher hier nicht haben: Kosmetiktücher aus der Pappbox. Das ist ein wachsendes Marktsegment für uns.

Wer Innovationen am Standort hat, trägt aber auch das Risiko, dass ein Produkt mal floppt, oder?

Schilling: Das kann passieren, auch wenn man vorher natürlich jede Menge Marktforschung betreibt. Manches akzeptiert der Kunde einfach nicht. Wir hatten zum Beispiel mal Papierküchentücher, in die schon ein Reinigungsmittel integriert war. Die konnte man anfeuchten und dann damit wischen. Das hat sich nicht durchgesetzt. Das ist aber schon viele Jahre her. Insgesamt kann ich sagen: Unser Standort ist hier mit seiner integrierten Zellstoffproduktion und der breiten Produktpalette sehr gut aufgestellt, da ist mir für die Zukunft überhaupt nicht bange.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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