Mannheim. Wer einen Einkaufsbummel durch die Innenstadt unternimmt, sieht es fast an jeder Ecke: Leere Schaufenster und geschlossene Lokale. Immer mehr Unternehmen schließen und scheiden aus dem Markt aus. Aber nicht nur Betriebe im Einzelhandel, in der Gastronomie oder konsumnahe Dienstleister geben auf. Auch in der Bauindustrie und im verarbeitenden Gewerbe steigen die Schließungszahlen deutlich. Eine Auswertung des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zeigt, wie stark inzwischen die industrielle Basis des Mittelstands in Deutschland schwindet.
Insolvenzen nehmen zu, sind aber eher die Ausnahme
Allein im vergangenen Jahr haben 176 000 Unternehmen ihren Laden dicht gemacht. Die meisten davon still und leise, nur bei elf Prozent der Schließungen lag eine Insolvenz vor. Im Vergleich zum Jahr 2022 ist die Zahl der Betriebe, die aufgaben, um 2,3 Prozent gestiegen. Die Zahl der Insolvenzanmeldungen ist dagegen um neun Prozent - also deutlich stärker - gestiegen. Da Unternehmen, die Insolvenzen anmelden, in der Regel mehr Mitarbeiter haben, gehen die Wissenschaftler vom ZEW und Creditreform davon aus, dass eher größere Unternehmen von der Schließungswelle betroffen sind.
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Alarmierend ist es nach den Erkenntnissen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass damit nicht nur die Basis der Industrie in Deutschland schrumpft. Im verarbeitenden Gewerbe gibt es nämlich eine Entwicklung, die ihnen besonders große Sorgen bereitet. Die Zahl der Schließungen in den forschungsintensiven Wirtschaftszweigen liegt mit einem Plus von 12,3 Prozent deutlich höher als in den nicht forschungsintensiven.
„In Branchen wie der Möbelherstellung oder der Produktion von Spielwaren und Sportgeräten verzeichnen wir sogar sinkende Schließungszahlen“, sagt ZEW-Expertin Sandra Gottschalk. Dagegen würden in anderen Bereichen mehr Unternehmen aus dem Markt verschwinden. Dazu zählen nach Gottschalks Angaben die Chemie- und Pharmaindustrie, der Maschinenbau und technologieintensive Dienstleistungen. In diesen Branchen sei der Effekt zudem besonders stark, weil den Schließungen stagnierende Gründungen gegenüberstehen, wie eine andere Studie des ZEW Mannheim ergeben hat. „Wenn der Bestand nicht nachwächst, steigt die Zahl der Schließungen überproportional“, erläutert die Expertin.
Der inhabergeführte Herrenausstatter, der Italiener um die Ecke oder der Traditionsfriseur sind die sichtbarsten Opfer der sich verschlechternden Wirtschaftslage. Im Jahr 2023 haben rund 37 000 Handelsunternehmen aufgegeben. Bei den konsumnahen Dienstleistungen waren es gut 51 000 Betriebe. Das sind deutlich mehr als 2018, im Vergleich zum Vorjahr ist der Trend im Handel (minus 0,8 Prozent) und bei den konsumnahen Dienstleistungen (minus 0,5 Prozent) ebenfalls leicht rückläufig.
Verarbeitendes Gewerbe besonders stark betroffen
„Verwaiste Ladenlokale und leere Schaufenster treffen die Menschen in der Umgebung, die Schließungen in der Industrie gehen aber an den Kern unserer Volkswirtschaft“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. So stieg die Zahl der Schließungen im Baugewerbe von 2022 auf 2023 um 2,4 Prozent auf 20 000 Unternehmen - im verarbeitenden Gewerbe sogar um 8,7 Prozent auf 11 000 Schließungen. Das ist der höchste Stand seit 2004.
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