Rhein-Neckar. Sechs bis acht Wochen warte er inzwischen auf seine bestellten Flaschen, sagt Michael Acker, Kellermeister beim renommierten familiengeführten Pfälzer Weingut Bremer. Mehrere Fülltermine habe er bereits verschieben müssen. Normalerweise sei die Füllsaison im April beendet, sagt er. Aber dieses Jahr bekommen die Winzer die Keller nicht leer.
Grund ist nicht etwa mangelndes Interesse der Weinliebhaber, sondern ein landesweiter Engpass an Flaschen. Die Glashütten kommen mit der Produktion nicht mehr nach. Außerdem seien Lieferungen aus der Ukraine und aus Russland weggebrochen, erklärt der Pfälzer Weinbauverband. Eine große französische Glashütte nehme inzwischen keine Aufträge mehr aus dem Nachbarland an, um wenigstens die heimischen Winzer versorgen zu können, heißt es.
Selbst Etiketten, Verschlüsse und Draht sind derzeit schwer zu bekommen
„Die Schmelzwannen laufen im Dauerbetrieb“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Wie den Bremers ergeht es Winzern in allen deutschen Anbauregionen. Es komme zu Zwangspausen beim Abfüllen, mitunter müsse der Wein in andere als die bestellten Flaschen gefüllt werden. Aber nicht nur Glas ist knapp, auch Etiketten, Verschlüsse oder Draht sind schwer zu bekommen.
Zusätzlich zum Zeitverzug ziehen die Preise empfindlich an: Vor allem bei der energieintensiven Glasproduktion schlagen die explodierenden Kosten voll durch. Außerdem fehlen Lkw-Fahrer und Frachtkapazitäten: Dem Vernehmen nach haben viele Weinproduzenten angefangen, Flaschen über Bedarf zu bunkern. In jedem Fall werde früher geordert als sonst, bestätigt Branchenexperte Büscher. Aus Sorge vor künftigen Engpässen habe er alle Bestellungen sehr frühzeitig aufgeben, sagt Winzer Sebastian Fürst aus dem fränkischen Bürgstadt. Das aber kann nur, wer dafür genug Platz hat.
Das Zweieinhalb- bis Dreifache des Vorjahrespreises zahlen Weinbaubetriebe aktuell nach Verbandsangaben allein für Verpackungsmaterial aus Karton. Auch die Preise für Edelstahltanks haben deutlich angezogen.
Winzer müssten Preise um 30 Prozent erhöhen, um gestiegene Kosten zu kompensieren
Um die gestiegenen Kosten zu kompensieren, müssten die Winzer die Preise für ihren Wein um 30 Prozent erhöhen, rechnet der Verband für Prädikatsweingüter (VDP) vor. Illusorisch, sagt Büscher: Der Preisdruck im Markt ist vor allem wegen des großen Anteils an günstigen Übersee-Weinen im Lebensmittelhandel (LEH), wo über 60 Prozent des in Deutschland konsumierten Weines abgesetzt wird, immens: Gerade einmal 3,78 Euro koste eine Flasche im LEH im Durchschnitt, rechet Büscher vor. In den beiden Pandemiejahren hätten vor allem die Discounter ihren Anteil am Weinabsatz in Deutschland noch ausbauen können.
Etwa 15 000 Weinerzeuger gibt es nach Angaben des Deutschen Weininstituts in Deutschland, nur die Hälfte davon biete überhaupt noch Flaschenweine an. Die Rebfläche bleibt dagegen konstant. Die Durchschnittsgröße der Betriebe steige als Folge des großen Drucks auf Mengen und Preise, sagt Büscher.
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Auch in der aktuellen Lage sind große Abnehmer im Vorteil. Außerdem wird eine präzise Planung immer wichtiger: Auf ständige Aktualisierungen und regelmäßige Absprachen mit den Lieferanten bauen die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach im Rheingau: „Wichtig ist, die Lieferkette für bestimmte Materialien nicht zu einseitig aufzustellen und frühzeitig für Alternativen zu sorgen“, sagt die stellvertretende Marketingchefin Jasmin Bähr. „Wir müssen ständig improvisieren“, meint sie: „Wenn wir sehen, dass es eng wird, müssen wir unsere Kunden früh darauf hinweisen und am besten eine Alternativlösung anbieten, damit sie nicht ohne Wein dastehen“.
Für die Weinbauern kommt der Materialengpass zur Unzeit. Schließlich müssen wichtige Abnehmer wie Messeveranstalter, Gastronomie und Hotels noch die Folgen der Pandemie verdauen. Im vergangenen Jahr fing noch der Onlinehandel für viele Weinbauern die Umsatzeinbrüche durch geschlossene Restaurants und Hotels auf. Doch Inflation und explodierende Gaspreise trüben die private Kauflaune. Die wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Situation mache allen Sorgen, sagt Jasmin Bähr: „Lieferanten, Kunden, Produzenten: Alle durchleuchten derzeit ihre Produktionsprozesse.“ Investitionen kämen auf den Prüfstand.
Eine Alternative zumindest für den schwierigen Glaseinkauf wäre das Recycling. „Wir sollten uns darauf besinnen, verstärkt auf Glasrecycling zurück zu gehen,“ empfiehlt unter anderem der Pfälzer Weinbauverband. Doch gibt es in Deutschland derzeit kein funktionierendes Kreislaufsystem für Weinflaschen. Schuld ist auch der LEH, dem ein Rücknahmesystem für Weinflaschen zu aufwendig ist. Das liegt wiederum an der großen Formenvielfalt bei den Weinflaschen und den damit verbundenen kleinen Stückzahlen.
Für die Winzer ist das Entfernen der Etiketten, das Spülen und die Kontrolle der Flaschenverschlüsse für eine Wiederverwertung aufwendig zu organisieren und teuer. Dennoch habe ein Umdenken eingesetzt, vermutet Experte Büscher. Bereits vor drei Jahren hatte eine sehr gute Ernte dazu geführt, dass Glas knapp wurde. „Wir müssen weg von der großen Formenvielfalt bei Weinflaschen“, sagt auch Kellermeister Acker.
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