Rhein-Neckar. Als am 15. Dezember 2024 die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt nach fünfmonatiger Vollsperrung wieder freigegeben wurde, atmeten alle Fahrgäste auf. Nicht nur, weil die Züge seitdem wieder weitgehend nach Fahrplan unterwegs sind. In Erinnerung ist den Bahnreisenden die mehrfache Zusage der Deutschen Bahn (DB), dass nach der Generalsanierung – mit Ausnahme kleinerer Arbeiten – für die nächsten zehn Jahre Baufreiheit auf der Strecke herrsche. So war es zumindest zu Beginn der Generalsanierung im Juli 2024. Im weiteren Verlauf der Bauarbeiten korrigierte die Bahn das Ziel schließlich herunter auf lediglich fünf Jahre.
Nur ein dreiviertel Jahr später steht die Zusage vollständig infrage. soll die Riedbahn - das Pilotprojekt aller rund 40 Generalsanierungen bundesweit - Anfang 2028 vor einer erneuten Vollsperrung stehen. Ein Grund dafür sei die Leit- und Sicherheitstechnik. Die Bahn widerspricht dem Planungsstand, wie er der dpa vorliegt. Laut Konzern ist keine zeitweise Totalsperrung geplant.
Im Zuge der Generalsanierung sollen die Strecken mit elektronischen Stellwerken ausgestattet werden, jeweils zum Ende der Bauzeit. Bereits bei der Riedbahn stellte sich die Umstellung als komplexer heraus, sodass das europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS doch erst schrittweise und nach der Vollsperrung im laufenden Betrieb installiert wurde. Die Folge für die Fahrgäste: Regional und S-Bahnverkehr fuhren anfangs nur sehr eingeschränkt.
Laut dpa hat die Bahn der Eisenbahnbranche jetzt für einige Strecken mögliche Baustellen angemeldet, um die Inbetriebnahme erst einige Monate später vorzunehmen. Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, zieht gegenüber dieser Redaktion dafür zwei Gründe in Betracht: „Es könnte an den Finanzen oder daran liegen, dass die Industrie die für ETCS notwendigen Teile nicht liefern kann. Ich habe aber die Vermutung, dass es am Geld liegt. Schließlich hat die Bahn auch die Generalsanierungen zeitlich gestreckt.“ Für Reisende sei die Ankündigung eine „Katastrophe“.
Stadt Mannheim und Regionalverband fürchten wirtschaftliche Folgen
In der Region reagiert man überrascht auf die Nachricht. Eine Sprecherin der Stadt Mannheim und Ralph Schlusche, Direktor des Verbandes Region Rhein-Neckar, äußern sich gleichlautend. Die Bahn habe noch keine Information zu einer erneuten Sperrung gegeben. Schlusche betont: „Generell ist jede Streckensperrung zu vermeiden. Folgen sind, wie immer, erhebliche Einschränkungen im Fern- und Nahverkehr mit entsprechenden wirtschaftlichen negativen Folgen für die Region.“
Aufmerksam verfolgt Schlusche, was sich auf der generalsanierten Riedbahn tut. „Positiv ist, dass technische Störungen abgenommen haben und die Pünktlichkeit im Fernverkehr zugenommen hat“, sagt er – und schränkt ein: „Diese liegt jedoch noch nicht auf einem Niveau, das die Region und die Fahrgäste zufriedenstellen kann.“ Hauptproblem ist aus seiner Sicht die nach wie vor „massiv überlastete“ Strecke. Schlusche spricht von einer Auslastung von mehr als 140 Prozent.
„Die Zuverlässigkeit, insbesondere im Regionalverkehr, bleibt leider weiter eine große Problematik, die nur die Neubaustrecke durch ihre zusätzlichen Kapazitäten verbessern kann“, ergänzt die Sprecherin der Stadt Mannheim. „So erleben wir ja mit der Streichung des Halts des RE70 in Mannheim-Waldhof ab 2026 gar eine Verschlechterung.“ Sowohl Stadt als auch Verband sehen die Engstellen nicht auf der Strecke, sondern in den Knoten Mannheim und Frankfurt.
Wegen unsicherer Finanzierung steht die geplante Neubaustrecke auf der Kippe. Die Planungen hierzu seien seitens der DB InfraGO zügiger durchzuziehen und die Finanzierung der Planung und die Realisierung durch den Bund sicherzustellen, fordert der Verbandsdirektor. Auf einen gemeinsamen Brief von Oberbürgermeister Christian Specht und dem Landrat des Rhein-Neckar-Kreises, Stefan Dallinger (beide CDU), in dem sie Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) um ein Gespräch bitten, gibt es laut Stadt und Schlusche noch keine Antwort.
Das Bahn-Projekt Generalsanierung bekommt Schrammen
Gerade erst laufen die Streckenerneuerungen Nummer zwei und drei (Hamburg-Berlin, Emmerich-Oberhausen), da trägt das auch im Ausland aufmerksam beachtete Konzept der Generalsanierungen bereits einige Schrammen. Nicht nur von der Zusage, wie lange sanierte Strecken baustellenfrei bleiben, ist die Bahn abgerückt, auch der Zeitplan zieht sich hin.
Als das Konzept 2022 unter dem damaligen Verkehrsminister Volker Wissing (inzwischen parteilos) und Bahnchef Richard Lutz vorgestellt wurde, lautete das Ziel: mehrere Strecken jährlich unter einer halbjährigen Vollsperrung, bis 2030 sollten alle wichtigen Korridore saniert sein. Im Sommer dann meldete die Bahn, die Generalsanierungen bis ins Jahr 2036 zu ziehen. Anfang der Woche haben sich Bahn und Bund auf den neuen Zeitplan verständigt.
Für Fahrgäste stellt sich nun die Frage, wie verlässlich die Aussagen der Bahn noch sind. Was die Einhaltung der Fahrpläne angeht, sind sie ja nichts anderes gewohnt, im Juli war nur gut die Hälfte der Fernzüge pünktlich. Sicher, viele Aussagen wurden getroffen, als auf der Riedbahn noch nicht gebaut wurde. Die Kapazitäten bei der Planung und Ausführung der Arbeiten sind begrenzt, sodass sich die ursprünglichen Pläne im Nachhinein als zu ambitioniert erweisen. Zumindest in einer Sache herrscht Klarheit: Mit den Umplanungen ist über einen noch viel längeren Zeitraum mit Einschränkungen zu rechnen. „Aus Kundenperspektive ist das keine gute Sache“, kritisiert Naumann. „Die Zahl der Baustellen wird weiter massiv zunehmen.“
Weitere Generalsanierungen rund um Mannheim aufgeschoben
Der neue Ablaufplan bleibt nicht folgenlos für die Rhein-Neckar-Region: Die einst für 2027 anvisierte Generalsanierung der Main-Neckar-Bahn (Frankfurt-Heidelberg) ist auf 2030 verschoben, Forbach-Ludwigshafen von 2028 auf 2029 und Mannheim-Karlsruhe von 2029 auf 2031. Davon am härtesten für Reisende dürfte die Sperrung der Pfälzer Hauptstrecke Forbach-Ludwigshafen werden, für die eine vorweggenommene, zweimonatige Sperrung 2028 im Gespräch ist. Parallel verlaufende Ausweich- und Umleitungsrouten wie bei den anderen Strecken existieren hier nicht.
Wie all die Berufspendler, Schüler und an Wochenenden Ausflugsgäste und rund 45.000 Fußballfans nach Kaiserslautern in Bussen durch die Region gekarrt werden sollen, ist völlig offen. Der Zweckverband ÖPNV Rheinland-Pfalz Süd hat bereits Widerstand angekündigt. Karl-Peter Naumann weiß um die Schwierigkeiten, gibt aber zu bedenken, dass eine abschnittsweise Sanierung noch länger dauern könnte. Für alle Generalsanierungen gelte: „Es bedarf einer sehr guten Planung. Alle müssen an einen Tisch.“ (mit jung)
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