Mannheim. Alle reden von der Künstlichen Intelligenz (KI). Auch der Kanzler. Olaf Scholz wünscht sich eine „Begeisterungswelle“ für die KI, die Experten mit Schlüsseltechnologien wie der Dampfmaschine, Elektrizität oder Internet vergleichen.
Scholz: „Alle sollten wissen, was Künstliche Intelligenz bedeutet. Ich wünsche mir, dass genauso gut von allen mitgeredet werden kann, wie das wahrscheinlich alle in Deutschland zum Autofahren können.“
Da erwartet der Kanzler von den Bürgerinnen und Bürgern ein bisschen viel. Immerhin können Interessierte auf der Homepage der Bundesregierung nachlesen, was KI genau ist. „Sie beschreibt die Fähigkeit von Maschinen, basierend auf Algorithmen Aufgaben selbstständig auszuführen. Dabei werden die Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten des menschlichen Verstandes nachgeahmt.“
Deutschland und die EU liegen bei KI hinter den USA und China
Die KI kann Inhalte wie Texte oder Bilder, Video, Audio oder Computercodes selbst erzeugen oder bearbeiten. Man kann sie trainieren, dann wendet die KI das Gelernte auf neue Daten an. Und dann gibt es noch die großen Sprachmodelle, die Texte verfassen und übersetzen sowie Fragen beantworten. Diese Anwendungen haben sich alle schon in unserem Alltag ausgebreitet. Und die KI lernt ständig dazu.
„Sie kann in vielen Technologiebereichen und Branchen wie etwa in der Produktionstechnik oder in der pharmazeutischen Industrie Innovations- und Wachstumspotenziale eröffnen“, sagt Irene Bertschek vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Dahinter setzt sie jedoch ein großes Aber.
Um die Potenziale der KI nutzen zu können, muss sie auch in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen
Deutschland und die Europäische Union fallen im internationalen Vergleich zurück und laufen Gefahr den Anschluss zu den USA und China zu verlieren, die an der Spitze liegen. Bertschek ist übrigens auch stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Das Gremium teilt den Optimismus des Kanzlers nicht in diesem Maße, wie dem Jahresgutachten zu entnehmen ist.
Der Grund: „Um die Potenziale der KI nutzen zu können, muss sie auch in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen“, fordert Bertschek. Eine Umfrage des ZEW im Auftrag der EFI liefert ein zwiespältiges Ergebnis: So haben 2023 zehn Prozent der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe und 30 Prozent der Betriebe in der Informationswirtschaft Künstliche Intelligenz verwendet.
Ein weiteres Drittel in beiden Bereichen plant zumindest den Einsatz. Allerdings bescheinigen sich nur sehr wenige Unternehmen eine hohe Wettbewerbsfähigkeit.
Offensichtlich gibt es große Hemmnisse. „Den Mangel an zeitlichen und persönlichen Ressourcen nehmen Unternehmen sowohl im verarbeitenden Gewerbe mit 72 Prozent als auch in der Informationswirtschaft mit 68 Prozent als größtes Hindernis wahr“, sagt Bertschek. Zudem herrschen nach ihrer Darstellung bei vielen Betrieben Unsicherheit über den zu erwartenden Nutzen sowie Bedenken hinsichtlich der Reife und Zuverlässigkeit von KI.
Studie: Mehrheit der Unternehmen hat keine KI-Strategie
Der Mannheimer Personaldienstleister Hays hat in einem Report mit dem Titel „Wie Künstliche Intelligenz die Unternehmenswelt beeinflusst“ das Thema tiefer beleuchtet. „Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Mehrheit der befragten Betriebe hat überhaupt keine KI-Strategie. Und wenn es eine gibt, wird diese in der Regel von den IT-Experten erarbeitet, dabei müsste doch die Unternehmensleitung die Fäden ziehen. Es fehlt also der Blick fürs große Ganze.
Dazu passt, dass die Mehrheit der Betriebe in der KI eher einen Prozessbeschleuniger und keinen Innovationstreiber sieht. „Dadurch werden die Möglichkeiten mit Hilfe von KI Innovationen zu generieren und sich strategisch neu aufzustellen, eher vernachlässigt“, sagt Jutta Rumpf, Direktorin des Ludwigshafener Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE).
Viele Firmen bewerten die KI auch kritisch
Die Unternehmen wünschen sich mehr Effizienz und Geschwindigkeit in den Abläufen (45 Prozent), schnellere Verarbeitung von großen Datenmengen (34) und die Reduzierungen von möglichen Fehlerquellen (32). Im Hinterkopf schwirrt dann auch noch die Angst mit, dass die KI nicht nur Vorteile bietet, sondern auch zu einem Kompetenzverlust führt. Das befürchtet immerhin knapp ein Drittel der befragten Betriebe. Auch gibt es die Sorge, dass der KI-Einsatz zu Sicherheitsproblemen sowie Schwierigkeiten bei der Integration der Technik (jeweils 46 Prozent) führen kann.
Moralische Bedenken spielen ebenfalls eine Rolle, darunter Diskriminierung durch Algorithmen und die Verbreitung von Falschaussagen (30 Prozent). Die Reaktionen der Beschäftigten unterscheiden sich je nachdem, ob die Unternehmen bereits KI einsetzen oder nicht. Firmen mit Erfahrung erkennen doppelt so viele Vorteile und Chancen, sehen aber auch die Herausforderungen.
„Unser Report zeigt, dass Unternehmen und Führungskräfte durch Künstliche Intelligenz in vielerlei Hinsicht unter Druck stehen. Wichtig ist jetzt für sie, sich darauf zu konzentrieren, wie diese Technologie bestmöglich in ihre Organisation verankert werden kann, um den größtmöglichen Nutzen zu stiften“, sagt Hays-CEO Alexander Heise. Fazit: Eine „Begeisterungswelle“ gibt es in den Betrieben nicht.
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