Rhein-Neckar. Derzeit herrscht Hochbetrieb in der Börsen-Berichterstattung. Kein Wunder, US-Präsident Donald Trump hat mit seinem Zickzack-Kurs bei den Zöllen in Rekord-Zeit ein dramatisches Auf und Ab der Kurse provoziert. Inzwischen hat sich der Aktienmarkt wieder beruhigt, doch die Medien sind weiter voll mit Berichten, weil die Lage brenzlig bleibt. Der Grund: Niemand weiß, welchen Unsinn Trump morgen wieder anstellt, und ob dann wieder das Chaos an den Börsen ausbricht.
Wie sich der fiktive Dax-Kurs im „heute journal“ entwickelt hat
Die Gefahr, dass Trump womöglich sogar die ganze Weltwirtschaft ins Verderben stürzt, ist zwar kein Hirngespinst, aber der Mensch neigt natürlich auch gerne zur Übertreibung. Und lautet der klassische Leitsatz des anglo-amerikanischen Journalismus nicht: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“? Die Ökonomen Antonio Ciccone und Felix Rusche von der Universität Mannheim haben jedenfalls untersucht, ob das mit Blick auf die Börse zutrifft. Als Untersuchungsobjekt nahmen sie sich das „heute journal“ im ZDF vor. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die Berichterstattung in den mehr als 1800 ausgewerteten Sendungen zwischen 2017 und 2024 tatsächlich überwiegend einen negativen Zungenschlag hatte. An etwa 30 Prozent der Börsentage war auch die Tagesveränderung des Deutschen Aktienindex (Dax) Thema des meistgesehenen Nachrichtenmagazins im Fernsehen.
Obwohl der Dax im untersuchten Zeitraum rund sieben Prozent pro Jahr zulegte - das sind vier Indexpunkte pro Tag - mussten die Nicht-Börsianer vor dem Bildschirm den Eindruck gewinnen, dass es immer schlecht um den Dax steht. Der Grund: Das heute-journal erwähnte den Dax-Kurs in der Berichterstattung nur dann, wenn dieser um durchschnittlich minus zehn Punkte in den Keller ging.
Zwischen 2017 und 2024 weicht die Berichterstattung systematisch von der tatsächlichen Marktentwicklung ab. Während der reale Dax von 11.481 auf 16.000 Punkte stieg, fiel der Dax auf 5.845 Punkte – ein fiktiver Rückgang von acht Prozent pro Jahr.
Die Analyse der Mannheimer Wissenschaftler zeigt, dass das heute-journal größere negative Entwicklungen etwas wichtiger und berichtenswerter einstuft als vergleichbare positive. Doch das Problem liegt nach Darstellung der Forscher nicht nur in der Auswahl der Redaktion des Börsenberichts. Es gibt nämlich auch eine statistische Besonderheit am Aktienmarkt. Größere Verluste treten etwas häufiger auf als gleich große Kursgewinne.
Gleichzeitig konzentriert sich die mediale Börsen-Berichterstattung vor allem auf starke Bewegungen – unabhängig von ihrer Richtung. Diese Kombination führt dazu, dass besonders große und häufig negative Veränderungen überproportional in den Fokus geraten. Das Ergebnis ist ein medial verzerrtes Bild der Dax-Entwicklung, das mit der tatsächlichen positiven Marktentwicklung nicht übereinstimmt.
„Eine grundlegende Änderung der Berichterstattung wird kaum möglich sein. Doch schon kleine Anpassungen könnten das verzerrte Bild auflösen“, so Ciccone. Sein Vorschlag: TV-Nachrichten-Redaktionen könnten die tägliche Berichterstattung mit langfristigen Perspektiven verbinden – selbst wenn dies nur in knapper Form geschehen würde.
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