Yasin Shabanov war 16 Jahre alt, als ihn seine Eltern von Sofia, der bulgarischen Hauptstadt, nach Deutschland schickten. „Sie wollten, dass ich eine gute Ausbildung bekomme“, sagt Yasin, der im März 19 Jahre alt wird. Er wohnt mit seiner Schwester, die inzwischen in Mannheim an der Universität studiert, in einer WG, geht auf die Internationale Gesamtschule in Heidelberg und spielt für den SG Kirchheim in der Landesliga Fußball. „Meine Eltern sind froh“, sagt Yasin, der noch nicht perfekt, aber sehr gut Deutsch spricht. Er vermisst seine Heimat und seine Eltern, aber er ist auch stolz, dass er die Herausforderung gemeistert hat. Er hat Freunde gefunden, er hat sich beim Fußball weiter entwickelt, er hat eine Schiedsrichterausbildung absolviert. Und er ist einer der Schützlinge von „Anpfiff ins Leben“.
Frühe Kontakte
Der gemeinnützige Verein unterstützt an zwölf Standorten in der Rhein-Neckar-Region gemeinsam mit Partnervereinen junge Sportlerinnen und Sportler. In sportlicher Hinsicht durch eine professionelle Jugendsportförderung vor Ort. In beruflicher Hinsicht unter anderem mit der Aufstiegshelfer-Initiative, bei der Unternehmen eine Sportlerin, einen Sportler unter ihre Fittiche nehmen. Bedeutet: Die jungen Leute machen ein Praktikum in den Unternehmen und werden über mehrere Monate von den Betrieben sowie jungen Auszubildenden oder dual Studierenden, die bereits dort tätig sind, begleitet. Im vergangenen September lernten sich die jungen Sportler und Vertreter der Unternehmen bei einem Soccer Golf-Match kennen. Jetzt im Frühjahr finden die Praktika statt, im Sommer gibt es einen abschließenden Coaching-Tag. Acht Aufstiegshelfer sind in diesem Jahr dabei: Fuchs SE, SAP SE, AOK Rhein-Neckar-Odenwald, Volksbank Kraichgau, die IT-Unternehmen Hochwarth und Rodias, die Lenz Energie AG sowie Screenday Productions.
„Die Zukunft liegt in den Händen der Generation Z, wir müssen uns auf die jungen Menschen einstellen und nicht versuchen, sie in unser Raster zu pressen“, sagt Stefan Fuchs, Vorstandsvorsitzender von einem der weltweit größten Schmierstoffhersteller bei einer Veranstaltung zum zehnjährigen Bestehen der Aufstiegshelfer-Initiative. Das sieht auch André Panné, Geschäftsführer der Rodias GmbH, so. Er ermuntert junge Menschen ausdrücklich, alles in Frage zu stellen: „Bringt das, was ihr an Veränderung braucht, in den Betrieb rein, so dass ihr auch noch in zehn oder zwanzig Jahren hier arbeiten wollt.“ Joachim Bader, Geschäftsführer der AOK Rhein-Neckar-Odenwald, setzt auf „Reverse Mentoring“, einen Ansatz, bei dem beide Seite, Auszubildender und Ausbilder, voneinander lernen und die Perspektiven wechseln. „Was müssen wir bieten, damit sich junge Menschen für uns als Arbeitgeber entscheiden?“, ist für Bader die ausschlaggebende Frage.
Bevor sich junge Menschen diese stellen, müssen sie aber erst noch eine andere Frage beantworten, nämlich, was sie überhaupt machen wollen. Angesichts von mehr als 300 Ausbildungsberufen und 9300 Bachelor-Studiengängen eine große Hürde. So mancher findet keine passende Antwort – und taucht ab. Für diese Gruppe gibt es sogar einen eigenen Namen: NEETs, „Not in Education, Employment or Training“. Nach Schätzungen arbeiten rund 630 000 Jugendliche oder junge Erwachsene nicht, sind aber auch nicht in Schule, Ausbildung oder Studium aktiv.
Aus dem System gefallen
Solche NEETs aufzuspüren, ist nahezu unmöglich, weiß Denny Krupp, Teamleiter Berufsberatung der Mannheimer Agentur für Arbeit. „Systemisch betrachtet sind die verloren.“ Um frühzeitig in Kontakt zu kommen und beim schwierigen Übergang von Schule zu Beruf zu unterstützen, ist die Mannheimer Arbeitsagentur seit ein paar Jahren stärker an den Schulen präsent, indem Berufsberater feste Bürozeiten vor Ort anbieten. „So ist ein einfacher und barrierearmer Zugang möglich, wer spontan eine Frage hat, muss keine Hotline wählen oder eine Behörde aufsuchen, sondern findet einen Berater in der Schule.“
Trotz aller Bemühungen von Eltern, Schulen, Berufsausbildern oder Unternehmen werden am Ende junge Menschen durchs Raster fallen. „Wir werden nie alle erreichen“, betont Denny Krupp. Was auch daran liegt, dass das Interesse fehlt. Zumindest an bestimmten Berufen. Solche Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt gibt es beispielsweise bei Bäckern, Konditoren, Fleischern, Fachverkäuferinnen und -verkäufern im Lebensmittelhandwerk, aber auch Restaurantfachkräfte sowie Sanitär- und Heizungstechniker werden händeringend gesucht, trotz guter Bezahlung schon in der Ausbildung oder prominenter Ausbildungsstätten etwa in Vier-Sterne-Hotels.
Yasin Shabanov hat jedenfalls einen ersten Anknüpfungspunkt zur Arbeitswelt gefunden: Er ist Schützling von Lars Lamadé, dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden von SAP, und wird in den Faschingsferien, Osterferien und noch einmal im Mai bei dem Softwarekonzern ein Praktikum machen. „Yasin zeichnet sich durch seine außerordentliche Freundlichkeit aus, er wurde sehr gut erzogen und ist zielstrebig und zuverlässig“, sagt Philipp Schmidt, einer der Koordinatoren bei Anpfiff ins Leben über den 18-Jährigen. Das klingt nach einem guten Start ins Berufsleben.
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