Deutscher Biotechnologietag

Warum in der Biotechnologie eine Jetzt-erst-recht-Mentalität herrscht

Beim Treffen der Hightech-Branche in Heidelberg stehen die enormen Chancen für Deutschland im Vordergrund. Das hat auch mit den Verwerfungen in den USA zu tun - die in der Region schon konkret spürbar sind.

Von 
Joachim Klaehn
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Beim Messerundgang: OB Eckart Würzner (M.) am Stand eines Start-ups. Links davon erklärt BIMOVIS-Projektmanagerin Dr. Aleksandra Bebel Anwendungsbeispiele aus der Strukturbiologie. © Joachim Klaehn

Im Zeichen der Wissenschaft, Wirtschaft und der globalen Erschütterungen standen die Deutschen Biotechnologietage (DBT) im Heidelberg Congress Center. Veranstalter BIO Deutschland e.V. und das Life Science Cluster bioRN lockten 1.100 Teilnehmer und 77 Aussteller in den Hotspot Metropolregion an. Neue Rekordzahlen - seit der Erstauflage 2010 hatten sich noch nie so viele Experten zu diesem Branchentreffen verabredet.

Die Botschaften der Biotech-Kenner fielen deutlich aus. Zwangsläufig richtete sich der Blick gen Welt- und Wirtschaftsmacht USA. Denn die Zoll-Maßnahmen der Trump-Regierung, ob realisiert, angekündigt oder zurückgenommen, irritieren heftig. Die Mission um Stärkung der Biotech-Branche trifft auf die Neuvermessung, Ausbalancierung und Zäsur der Weltordnung. „Silicon Valley, Boston – das ‚Schlaraffenland‘, das wir uns alle nach Heidelberg, München oder Berlin gewünscht haben – diese Bilder, dieses Image ist gewichen“, sagte Julia Schaft, Geschäftsführerin von bioRN, „die neue Ordnung bringt viele Herausforderungen, aber auch für Deutschland und Europa. Sie zwingen die Politik nun zu Weichenstellungen, die bioRN und BIO Deutschland seit Jahren fordern.“

Engagiertes Dreigestirn bei den Deutschen Biotechnologietagen 2025 in Heidelberg: OB Eckart Würzner (v.r.n.l.), bioRN-Geschäftsführerin Dr. Julia Schaft und Dr. Viola Bronsema, Geschäftsführerin von BIO Deutschland, verfolgen aufmerksam eines der über 30 Veranstaltungsformate. © Zoehre Kurc

Oliver Schacht, bis 2024 in den USA lebender Verbandschef von BIO Deutschland, drückte es vor den DBT-Teilnehmern drastisch aus. Er sprach vom „Beginn eines globalen Handelskrieges“ und „drohenden Zusammenbruch des US-Wissenschaftssystems“. Es sei eine historisch-strategische Chance, die Biotechnologie hierzulande neu zu denken und zu positionieren. „Wir müssen endlich die Weichen auf Translation und Technologietransfer stellen“, so Schacht.

„Sprunghafter Anstieg von Bewerbungen hoch qualifizierter Wissenschaftler“

Derweil knüpfen regionale Biotech-Unternehmen Kontakte zu amerikanischen Forschern. Europa und Deutschland könnten zur neuen Heimat für die wissenschaftliche Elite aus Übersee werden, sofern sich die Bedingungen im „Biotech-Eldorado“ USA zuspitzen. „Ein sprunghafter Anstieg von Bewerbungen hoch qualifizierter Wissenschaftler auf internationale Programme wie am EMBL oder dem BioMed X Institut ist bereits eingetreten – ein Zustrom an Talenten, Know-how und Mentalität. In der Rhein-Neckar-Region empfangen wir sie mit offenen Armen!“, bekräftigte Julia Schaft.

Schaufenster der Biotechnologie: 1100 Teilnehmer und 77 Messestände im Heidelberg Congress Center bedeuten Rekord für das seit 2010 bestehende Event. Den Biotech-Experten aus 20 Nationen gefallen dabei die kurzen Wege in der Bahnstadt. © Joachim Klaehn

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Heidelbergs OB Eckart Würzner verschaffte sich beim Messerundgang durch das aus 19 Unternehmen, Institutionen und Start-ups bestehende bioRN-Village einen Cluster-Überblick. Start-ups wie etwa BIMOVIS oder PHABIOC genossen die Aufmerksamkeit der Messebesucher. BIMOVIS nutzt BioLabs, das Gründerzentrum im Heidelberg Innovation Park (hip), um Strukturbiologie markttechnisch zu platzieren. „Wir bestimmen die exakte Struktur von Proteinen, die wie Werkzeuge in unserem Körper funktionieren, und machen diese sichtbar“, erklärt BIMOVIS-Projektmanager Dr. Mathias Gschell, „damit können Wirkstoffe entwickelt werden“. Die Bestimmung biologischer Strukturen auf atomarer Ebene ist Bestandteil der Forschung, Entwicklung und biopharmazeutischen Industrie. Das Faszinosum ist indes die Visualisierung und Modellierung der Proteine dank hochpräziser Illustrationen, einer Virtual-Reality-Brille und des 3D-Drucks: Wissenschaft zum Anschauen und Anfassen.

Lobeshymnen auf Heidelberg als Gründungshochburg

PHABIOC ist aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entstanden. Das Start-up bietet innovative Verbrauchsmaterialien und Analysewerkzeuge für die Medikamentenforschung und -entwicklung an. Beispielsweise eine „SpecPlate“ (Platte aus gespritztem Kunststoff), die auf bessere Standards in der Spektroskopie setzt, Laborprozesse optimiert und Tierversuche reduziert. „Gesundheit ist ein Riesenmarkt“, sagt Co-Founder und CEO Jannik Jungmann von PHABIOC. Kommunikation und Übersetzung von Wissenschaft hält er für grundlegend: „Biotechnologie ist für viele Leute wie Science-Fiction. Wir müssen vermitteln, dass sie eine Menge mit Alltagsprodukten, Lebensmitteln, Ernährung und Gesundheit zu tun hat.“

OB Würzner versteht sich in der Kunst des Herunterbrechens. Die Lobeshymnen auf Heidelberg als Gründungshochburg freuten ihn. „Wir sind die Biotech-Stadt Deutschlands, wenn nicht Europas“, meinte Würzner. Deutschland besitze keine natürlichen Rohstoffe, sondern Wissen. Mahner Würzner zur Wissenschaft und Wirtschaft: „Wenn wir aus dem Wissen keine systemrelevanten Produkte machen, dann haben unsere Kinder auch keine Zukunftsperspektive. Wir müssen den Elfenbeinturm verlassen, mehr Translation wagen – Forschung, die in Wirtschaft übergeht und in der Region bleibt. In Heidelberg überlegen wir, einen Venture-Capital-Fonds aufzulegen.“

Die Risiken sind in der Metropolregion überschaubar, die Chancen hingegen enorm. Vor einigen Jahren wurde die Health & Science Alliance Heidelberg Mannheim zur Kräftebündelung und Innovationsbeschleunigung gegründet, der Klinikverbund Mannheim/Heidelberg ist beim baden-württembergischen Sozialministerium beantragt. Der Stellenwert von Medizin und Biotechnologie ist unverkennbar – sie sorgen für Wachstum, Wertschöpfung, Wohlstand und mehr Gesundheit.

Die Jetzt-erst-recht-Mentalität gilt es in der begeisterungsfähigen, vielfältigen Biotech-Szene zu bewahren. Nach Heidelberg ist Leipzig als Ausrichter der DBT 2026 dran. Eine gute Wahl - und das richtige Zeichen.

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